Die Macht der Medien?Kann man den Medien widerstehen? Seit die elektronischen Medien ubiquitär geworden sind, koppeln sich an sie nicht nur Vorstellungen von souveräner Selbstausdehnung und Fun. Ebenso grassiert die Befürchtung, das Subjekt könne Anhängsel von Apparaten werden, durch die unheilvolle Stimmen ihre manipulierenden Einflüsterungen ausüben. Das Buzzword von der Macht der Medien kursiert und meint ein Gemisch aus politischer Einflussnahme, Verlust von Literalität und Unmittelbarkeit, Errichtung künstlicher Paradiese und letztlich der Ohnmacht des Subjekts.

Die Konfiguration von Macht, Ohnmacht und Gegenmacht wird in einer frühen Episode der Superman-Comics zum Thema, sie zeigt in fantastischer Überhöhung etwas von der befürchteten Unheimlichkeit der Medienmacht. Gerade der Trivialmythos spiegelt in seiner farbigen Darstellungsform das Wissen einer Kultur, die sich als Empfänger undurchschaubarer Ströme erfährt.


Superman Action Comics, 1941

In „Hypnosis by Radio“2 wird selbst der Übermensch als jemand gezeichnet, der sensibel für einen medial übertragenen Sirenengesang ist. Ein betörender Klang beraubt ihn — wenn auch nur für kurze Dauer — seiner supranormalen Kraft: Ein berühmter Pianist hypnotisiert mit einer Melodie, die durch das Radio übertragen wird, eine ganze Stadt. Auch Superman verfällt dem Charme der Töne und wird zum willenlosen Gefolgsmann. Gut zwanzig Jahre bevor Marshall McLuhan in Understandig Media das Radio als „heißes Medium“ charakterisiert und in dem Aufheizen der Sinne eine Hypnose erkennt, zeigt der Comic-Held, dass es unwahrscheinlicher Kräfte bedarf, um der medialen Insinuation widerstehen zu können.2 Doch wäre er nicht der Übermensch, könnte er nicht mit seinem „Willen zur Macht“ aus der Hypnose erwachen. Superman betreibt — ganz altmodisch — Medienkritik in Gestalt eines Mediumoklasmus. Die Befreiung aus der Willenlosigkeit erfolgt durch die Zerstörung des Apparats. Nicht der Verursacher der Machtausübung ist das erste Ziel der Vernichtung, sondern die Übertragungstechnik.

Gewiss wohnt dem Trivialgenre die kalkulierte Tendenz inne, den sensationellen Überschwang literarisch in Szene zu setzen (wodurch es selbst in der Geschichte der Medienwahrnehmung von der konservativen Kulturkritik unter Beschuss geriet). Doch verfügen die paranoiden Ingredienzien, die in der Story anklingen, über eine Referenzialität, die auf konkrete Leben und ihre Tragik verweist:

Nachdem Timothy McVeigh 1995 das Regierungsgebäude in Oklahoma City in die Luft gesprengt hatte, beklagte er sich darüber, dass die Armee ihm Mikrochips eingepflanzt habe, wodurch er jeden Moment trackbar wäre. McVeigh Superman?

Wahn, Wissen, LiteraturDie plakative Gegenüberstellung von grafischer Trivialliteratur, Wahnbildung und Medientheorie initiiert eine Verschiebung der Frage danach, ob Medien und ihre Machthaber verwirrend, krankmachend oder realitätsverzerrend wirken. Das zweifellos wichtige Problem, welchen Einfluss Medien auf die sie nutzenden Subjekte haben, scheint für eine Beantwortung verstellt, denn die Opazität des Subjekts (als freies, komplex formiertes, sich wandelndes, multiple wünschendes, mit einem Unbewussten ausgestattetes, wissendes, unwissendes, träumendes etc.) kann kaum mehr als plausible Thesen zulassen. Stattdessen soll an einigen exemplarischen Diskursgegenständen gezeigt werden, dass zwischen Wahn, Literatur und medienanalytischen/-kritischen Äußerungen Signifikanten kursieren, die diese unterschiedlichen Äußerungsfelder miteinander verbinden. Methodisch wird ein paradiskursiver Kontext in den Blick genommen, in dem Wahrheitsmodelle über Medien kreiert, bearbeitet und reproduziert werden. Diese Bearbeitungen fügen sich zu einem kulturellen Komplex, der Auskunft über die Beschaffenheit von Wissen geben kann. Wissen wird in dieser Perspektive als ein Gefüge aus Aussagen (Beobachtungen, Behauptungen, Befürchtungen, Deutungen etc.) aufgefasst, die die benannten Felder symbolischer Produktion miteinander teilen. Um es deutlich zu sagen: Wissen wird hier nicht synonym mit Wissenschaft gesetzt. Vielmehr — ich zitiere Foucault — „lokalisiert sich Wissenschaft in einem Feld des Wissens und spielt darin eine Rolle.“3 Auch gilt nicht die vorschnelle Behauptung, dass Wahnwissen und Wissenschaft ineinander aufgehen4; doch vermag ein Lichtstrahl auf die enunziativen Similaritäten hervorbringen, von welchen Modellen sich das Denken über die Medien in unserer Kultur nährt. Dieser Perspektivenwechsel könnte zu der Skepsis führen, ob es tatsächlich Medien sind, die den Subjekten die Realität entwenden und Fremdheiten aufnötigen, oder ob es die Wirkungen von Diskursen sind, die behaupten, dass Medien dies vermögen.

Dass Verdachtsdiskurse den Medien gegenüber entstehen konnten, ist durchaus verständlich: Es existiert mittlerweile eine undurchschaubare Fremdwelt aus Telemedien, die auf Strom, Strahlen und geheimnisvollen Schaltungen beruht. Sie bieten sich geradezu an für paranoide Konzeptionen, weil ihr enigmatischer Charakter und ihre Kopplung mit politischen oder wirtschaftlichen Machtinteressen den Verdacht unheimlicher Wirkmächtigkeit provozieren. Da ihr Funktionieren und ihre Reichweite im Unsichtbaren liegen, schließt das interpretierende Verhalten — sozusagen zwingend — die Lücke der Unsicherheit. Dass Medien eine anthropologische Grundbedingung für Sozialisierung, Kommunikation, Subjektbildung darstellen (Sprache, Stimme, Gesten, Mimik), verhindert nicht, dass im Moment ihrer Künstlichwerdung immer auch die Befürchtung der Entstellung entsteht.

Die Unheimlichkeit des Medialen hat ihre diskursive Geschichte, die formierend auch auf aktuelle Deutungsmuster einwirkt. Manfred Schneider hat in einer Skizze dem Recycling von Kommunikationsidealen in der Historie nachgespürt.5 Er zeigt, dass sich gegen die evolutionäre Entwicklung immer wieder Aufbereitungen alter Referenzdiskurse geltend machen. Die gleiche Logik der zirkulären Erneuerung lässt sich auch für die Verdachtsdiskurse feststellen.

Im Folgenden werde ich kaum mehr als eine Konstellation von Tonlagen und Themen montieren. Diese Montage hat zum Ziel, einen Strang des kulturell manifestierten Medienwissens aufscheinen zu lassen. Im Zentrum soll ein Terminus stehen, in dem Medium, Wirkung und Psychopathologie zusammengefasst sind — der Begriff des Beeinflussungsapparates.

Beeinflussungsapparate im Wahn1919, in der Frühphase psychoanalytischer Theoriebildung und Nosographie hat Viktor Tausk den Begriff des Beeinflussungsapparates geprägt und damit imaginär-halluzinative Erfindungen von Paranoikern bezeichnet, die sich Beeinflussungen von Maschinen ausgesetzt sahen.6 Tausk gibt die grundlegenden Eigenschaften des Beeinflussungsapparates, wie sie von Patienten beschrieben werden, wie folgt wieder:

Der Apparat
_ produziert oder löscht Gedanken, Gefühle und innere Bilder.
_ ruft körperliche Sensationen und sexuelle Erregung hervor.
_ wird von Verfolgern bedient.
_ funktioniert auf Basis von Wellen, Strahlen oder Strom, ohne dass eine genaue Angabe der physikalischen Funktionsweise des Apparates gegeben wird.

Die psychoanalytischen Schlussfolgerungen, die Tausk aus diesen nosographischen Befunden zieht, sollen an dieser Stelle keine Rolle spielen. In Tausks Beschreibung der Symptome reflektiert sich eine Epoche, die neben der Elektrifizierung und Industrialisierung die Entstehung moderner Medien wie Telegraf, Telefon, Phonograph, Fotografie und Film erlebt sowie die Entdeckung von Röntgenstrahlen und Radioaktivität stattgefunden hat. Die Kranken koppeln ihre Wahrnehmung an Realitätspartikel, die zu systemähnlichen Konstruktionen aufgewertet werden.

Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts sind vereinzelt Berichte bekannt, in denen die neue Maschinen- und Medienwirklichkeit thematisiert wird. Bereits 1810, in einer der ersten modernen psychiatrischen Krankengeschichten, präfiguriert John Haslam die Tausksche Analyse.7 Beschrieben wird James Tilley Matthews, der sich von einer illustren Bande verfolgt sieht. Diese Gang bedient einen Apparat, den Matthews air-loom nennt. Der Signifikant kann als Referent auf die Webmaschine (loom) und gleichzeitig auf die unsichtbare Übertragungsmechanik (air) gelesen werden. Die Tele-Beeinflussung qua elektrischer Maschine und Magnetismus hat für Matthews zur Folge, dass er von einem ganzen Cluster aus Unannehmlichkeiten heimgesucht wird: Sprachbehinderung, brainsayings, Trennung von Gefühl und Intellekt, thigh-talking, Zwangsdenken, sudden death-squeazinglaugh-making und eine Reihe weiterer Leiden. Haslams Bemerkung, dass diese Kalamitäten bisher nie beobachtet wurden, deutet auf einen Paradigmenwechsel: Nicht religiöse Manie oder Hexenglauben, sondern profanes Medien- und Machtwissen bestimmen die paranoide Konstruktion. Der Beeinflussungsapparat ist eine hybride Mischung aus Elektrizität, Magnetismus, und Pneumatik. Betrachtet man die beigefügte Illustration, enthält der Apparat Anspielungen auf das Messmersche Baquet (Tonnen). Die Wirkungen bilden entsprechend einen Komplex aus physischen Kraftwirkungen, Gefühlsentfremdung, Krankheit und Fremdsteuerung: Kaum übersehbar ist die zeitgenössische Erfahrung mit industriellen Gegebenheiten, die sich in den Wahn eingeschrieben haben.


Air-Loom: John Haslam, Illustrations of Madness, 1810

Friedrich Krauß‘ notorischer Bericht Nothschrei eines Magnetisch=Vergifteten aus dem Jahr 1852 schließt sich nicht nur historisch, sondern auch motivisch an den Fall von Matthews an. Wie dieser wird auch er von Gesindel verfolgt, das ihn mit „magnetischem Feuer hinunterbrennt“.8 Der „Pöbel“ elektrisiert und magnetisiert ihn ebenfalls mit einem Apparat, der jedoch deskriptiv wenig ausgemalt wird. In seinen Illustrationen gibt er gängige Elektrisiermaschinen seiner Zeit wider.


Elektrisiermaschinen: Friedrich Krauß, Nothschrei eines Magnetisch=Vergifteten, 1852

Dennoch ist klar: Kraft und Gedanken werden mit ihm übermittelt, ohne dass eine direkte Berührung notwendig ist. Der Magnetiseur fixiert sein Opfer oder „schwätzt“ mittels seiner Apparatur auf es ein. Denken, Affektivität, der Blick und der Leib werden beeinflusst: Eine Energieübertragung findet mit der Maschine statt, was bewirkt, dass dem Opfer Worte und Gedanken unterlegt, Bilder und Leidenschaften in ihm aufgestellt, Gedächtnis und „Facultäten“ gehemmt, Sensationen mitgeteilt werden. „Sie belagern mich wie Stechfliegen, stellen die ärmlichen Bilder ihrer abgeschmackten, obscönen Phantasie in mir auf, verunstalten, verdrehen und verspotten meine Gedanken, durchkreuzen sie, wehren sie ab […]“9 Was bleibt, ist ein „automatisiertes“ Subjekt. Krauß resümiert: „Es umstrickt diese Magnetisierte eine gewisse starre Ergriffenheit, die sie zur Maschine stempelt.“10

Der Mensch gleicht sich mimetisch der Maschine an. Der Sachverhalt erinnert an Marx’ Beschreibung des Arbeiters im industriellen System: „In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen [den Arbeitern], und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt.“11 Der Verlust von Handlungsfreiheit, Denk- und Gefühlsräumen, der von Krauß drastisch erlebt und angeklagt wird, betont einen Aspekt von Maschinisierung/Medialisierung, der mit dem Prothesen-Theorem (z.B. McLuhan, Freud) nicht abgedeckt wird: Die Apparatur erschöpft sich nicht in instrumentalistischer Handlungsverlängerung, sie tritt in ihren kontingenten Anschlussmöglichkeiten und Wirkungen als Passivierungs- und Strukturierungsinstanz auf.12

Für das 19. Jahrhundert figuriert der Magnetismus als materialistische Chiffre für diese unsichtbare, unstoffliche Einflussnahme; sie verbindet unterschiedliche Diskurse der Epoche — Physik, Medizin, Spiritismus/Okkultismus, Wahn — und gibt damit einen interpretativ ausbeutbaren Signifikanten vor.

Auch Franz Wollny verfasst in den 1880er und 90er Jahren eine Reihe von Abhandlungen über Telepathie, Suggestion und Hypnose. In einem geschraubten, manieristischen Stil sucht er „sogenannte übernatürliche […] Wirkungen“13 als physische Sachverhalte zu begründen. Im Hinblick auf die medialen Wirkungen reiht sich sein Verdacht in das bekannte Muster: Magnetische Einflüsse erweisen sich als gefahrbringend „für das öffentliche, wie für das Privatleben in dem Sinne […], dass sie die Freiheit und Sicherheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, Gesundheit und Leben des Bürgers auf die aggressivste Art und Weise in Frage zu stellen scheinen“.14 Vermutungen kann er allerdings nur darüber anstellen, dass die telepathischen Effekte durch Apparate zur Ausführung gelangen. So sieht er sowohl in dem „dichten Netz über unseren Häuptern sich ausbreitender Drähte [er meint die Telegrafendrähte], künstliche Vorrichtungen“, die zu Betrügereien Gelegenheit geben, als auch im neuen Medium des Telefons eine Zurüstung, mit der Regierungen und Kirche gewalttätige Zwecke verfolgen.15 Man sieht: Wollny ist auf der Höhe der Zeit, wenn er die „mechanischen Einrichtungen und ersonnenen Apparate“, die „das ganze System von geheimen Einwirkungen“16 stützen, zu erfassen sucht. Neben Telegrafie und Telefonie stellt er sich eine „Art von Instrumenten“ vor, „die dem neuerdings erfundenen Phonographen“17 verwandt zu denken sind. Er unterscheidet zwei Typen: Einen Apparat, der ein allgemeines Gepräge hat, ein anderer, der auf einzelne Individuen abgestimmt ist. Der letztere ist — in moderner Internet-Terminologie gesprochen — eine personalisierte Anwendung. Letzthin zielen aber beide Apparaturen auf die Aufhebung des Individuellen. Die katastrophische Fantasie Wollnys hat die Degradierung des Menschen zu „lebenden Maschinen“ zum Inhalt, die Beförderung der Unsittlichkeit und die „monströseste Geistesverstümmelung“.18

Zweifellos nimmt Wollny in seiner Kritik die Diagnose der Vermassung auf, die die konservative Kulturkritik des 19. Jahrhunderts motiviert. Zu erinnern ist, dass zeitgleich Gustave Le Bons Psychologie der Massen erscheint, in der die Masse als das verschlingende Kraftfeld beschrieben wird, welches das Individuum in einen Reflex-Organismus verwandelt (siehe dazu die Ausführungen weiter unten). Wollnys Konzeption einer ‚Soziologie‘ der Medien zeigt eine generelle Richtung auf, die die Paranoia bis heute verfolgt: Nicht die Beschränkung auf die individuelle Erfahrung steht im Zentrum, eingenommen wird vielmehr die Großperspektive auf die gesellschaftliche Gesamtbeeinflussung. Kurzum: Medien machen Massen.

Eine psychologische Theorie der Medien in nuce bietet Clifford Beers in seinem Bericht einer Paranoia, den er 1908 veröffentlicht hat. Auch Beers inkorporiert die neueste Medienentwicklung in seinen Wahn. So sieht er seine Halluzinationen hervorgerufen durch eine Kombination aus Laterna Magica und Film. Er antizipiert damit den Farbfilm, in dem lebhafte Horrorvisionen von zerstückelten Körpern mit frohen Bildern heiler Kindheit wechseln.

„I imagined that these visionlike effects […] were produced by a magic lantern controlled by some of my myriad persecutors. The lantern was rather a cinematographic contrivance. Moving pictures, often brilliantly colored, were thrown on the ceiling of my room and sometimes on the sheets of my bed.“19

In nachträglicher Reflexion erklärt Beers diese Projektionen als Abkömmlinge der während der Kindheit konsumierten Sensationsnachrichten der Presse. In seiner Konstruktion schießen also tradierte und aktuale Medieneinflüsse zusammen, die eine inkonsistente Bilderflut generieren, von der sich das Subjekt überschwemmt und verfolgt sieht. Beers Schilderung und Selbstanalyse ist interessant, weil die im Wahn erdachten Medien nachträglich als Resultat von Medienkonsum gedeutet werden. Als habe die Verfolgung und zerrüttende Wirkung bereits in der prä-psychotischen Phase begonnen.

Die Literatur des Wahns ist bis heute eine der Einzelkämpfer mit Outsiderstatus geblieben. Psychiatrie oder Psychoanalyse haben sie zuweilen als Objekt ihrer Wissenschaftsinteressen genutzt.

Inzwischen hat sich die Situation durch das Internet verschoben. Das Web ist zu einem Diskursort geworden, an dem sich paranoide Konzepte in iterativen Schleifen gegenseitig stützen und befruchten.20 Eine quasi-wissenschaftliche Community der mind control victims bzw. psychotronics victims ist entstanden, die Erfahrungsberichte, Analysen, Artikel, Forenbeiträge, technische Zeichnungen, Fotografien, Diagramme erstellt, verarbeitet und austauscht. Domains, Hypertextverlinkungen und Email-Kontakte sind mittlerweile zu einem unüberschaubaren Netz aus Verweisungen geknüpft worden. Eine Verallgemeinerung hat stattgefunden, in der der Diskurs sich seinen Rahmen für seine Normalisierung schafft und seinen exotischen Status abzulegen sucht.


Infografik: mindcontrolforums.com (1.3.2004)

Neben der Menge an Material und der rekursiven Diskursbildung zeichnet sich die „neue“ Paranoia vor allem durch eine technische ‚Informiertheit‘ aus. Dies wird zum einen an einer technoiden Begrifflichkeit deutlich und am Einsatz von Infografiken, die detailliert Auskunft über die Funktionsweise von Beeinflussungsapparaten geben.
Mikrowellen, Gehirnimplantate, brainwave analysis and hard-disk storage, Telemetrie, Computer, neuronale Telekommunikation, Mobiltelefone, Abhöranlagen, psychotronische Bildgebung, ultra sound, Neuroradio, elektromagnetische Strahlung, Aufnahme- und Abspielgeräte für subliminale Botschaften etc. — die Paranoia reagiert sensibel auf den Umstand, dass wir von Technologie umgeben sind, die uns auf den Leib rückt und zur zweiten Natur geworden ist.

Die paranoide Gemeinschaft ist bekümmert über diese Strahlen und Ströme und betreibt durch die hypertrophe Diskurswucherung eine Aufwertung des Verdachts zur Gewissheit: dass Medien für eine umfassende Bewusstseinskontrolle eingesetzt werden. Der Topos der Beeinflussung wird aber trotz rhetorischer und argumentativer Neuausrichtung letztlich recycelt. Krankheiten, Verlust der Individualität, Gedanken- und Gefühlsklau sind die wiederkehrenden Klagen, wie sie seit dem 19. Jahrhundert bekannt sind.21 Als exemplarisch können folgende Zitat gelesen werden. Am Ende einer langen Ausführung zu Mind-Control-Technologien schreibt Kathy Kasten, die sich selbst als „researcher and targeted individual“ bezeichnet:

„It should be apparent that humanity has had both the technology and the will to manipulate each other remotely. Information about the possibility of mind control has surfaced with regularity every few years. Yet, there is no public outcry en masse of the incredible invasion of privacy, and emotional and physical manipulation of everybody on the planet.“22

In einem ähnlichen Wissenschaftssound artikuliert sich Rauni Leean Kilde; ihr Artikel trägt den programmatischen Titel „Microwave Mind Control: Modern Torture and Control Mechanisms Eliminating Human Rights and Privacy“:

„When the use of electromagnetic fields, extra-low (ELF) and ultra-low (ULF) frequencies and microwaves aimed deliberately at certain individuals, groups, and even the general population to cause diseases, disorientation, chaos and physical and emotional pain breaks into the awareness of the general population, a public outcry is inevitable.“23

Eine geheime Eschatologie liegt dem paranoiden Diskurs zugrunde: Es möge der Tag kommen, an dem der Widerstand („outcry“) den Menschen aus seiner Vermassung und Erniedrigung befreit. Die Wiederholung letzter Wahrheiten und das Wuchern der stereotypen Diskurse mag Langeweile produzieren, ihr Sinn liegt jedoch darin, dass die Menge der Belege die ausweglose Gegenwärtigkeit der Beeinflussungsapparate widerspiegeln soll.

Implizit und explizit betreibt die Paranoia eine „Medientheorie“, die eine geschlossene Ordnung von Rezeptions-, Produktions- und Sendetechnologien hypostasiert. Der Paranoiker findet sich darin eingefangen — und revoltiert gleichzeitig gegen die Geschlossenheit. Er steht auf der Seite einer Aufklärung, die das Subjekt als mündiges, selbstverantwortliches und frei denkendes herbei wünscht. Der Paranoiker tritt als Kultur- und Machtkritiker auf; seine Anstrengung zielt darauf, den Verblendungszusammenhang zu durchbrechen.

Die Opposition zwischen unterwerfender Medienmacht und autonomem Subjekt ist grundlegend: Sie treibt nicht nur die Paranoia an, sie bestimmt auch eine Reihe medientheoretischer Ansätze.

Beeinflussungsapparate in der TheorieMit der Zunahme an Mediendichte, -konsum und -abhängigkeit erlangt auch die Medienwissenschaft und -kritik einen tragkräftigen Resonanzboden. Inzwischen ist das, was über Medien gesagt und geschrieben wurde und wird, nicht mehr zu überblicken. Die Grenzen zwischen Wissenschaft, Essayistik und Journalismus sind dabei äußerst fließend. Wie immer man nun die medienreflektierende Tätigkeit klassifiziert, sie muss sich auf ihre Grundlagen hin befragen lassen. Die folgenden Stichproben (die nicht auf eine Systematik oder Vollständigkeit ausgerichtet sind) wurden im Hinblick auf ihre Korrelierbarkeit mit dem Thema der Beeinflussung ausgewählt. Sie sollen die These stützen, dass intertextuelle Referenzen zwischen unterschiedlichen Deutungssphären vorliegen, die an der Kreation einer Wissenskonfiguration über Medien beteiligt sind. Vor allem geraten medientheoretische Diskurse in den Blick, da ihnen ein konstruktivistischer bzw. beziehungsbildender Impetus unterstellt werden kann. Meine Intention ist es nicht, durch Nachbarschaft von Wahn und Reflexion die letztere zu diskreditieren und sie dem Pathologischen zu unterstellen. Doch mögen Ähnlichkeiten die Frage aufwerfen, ob man beruhigt von klaren Diskursgattungen sprechen kann.

Mit Nietzsches Kulturkritik tritt zeitversetzt zu den frühen Wahntexten ein vehementer Diskurs auf, der um die Themen Degeneration, Willensschwäche und moderne Nervosität kreist. Wenn er in seinem generalisierenden Duktus die Moderne angreift, kommt auch die Maschine in den Blick: „Die Maschine controlirt furchtbar, daß alles zur rechten Zeit und recht geschieht. […] Die Maschine erzieht nicht den Willen zur Selbstbeherrschung.“24 Das klingt im ersten Satz nach Marx, verwandelt sich dann jedoch in eine Psychologie, die eine Situation beklagt, in der der Mensch sich verliert. Die Maschine kann als Platzhalter für weitere Imperative gelesen werden, zu denen auch die Medien gehören, an die der Mensch sich angeschlossen findet und die ihn „reizen“. Denn nicht die produktiv-zweckrationale Seite kommt bei Nietzsche in den Blick, sondern die Durchschlagkraft transmaterieller Effekte. Um den Begriff der Reizung, der gegen den des Erlebens abgesetzt wird, kreist die Kritik Nietzsches: „Die Sensibilität [ist] unsäglich reizbar […]. Er [der Mensch] reagiert nur noch auf Erregung von außen her.“25 In dieser Sprachform adaptiert Nietzsche einerseits die Sicht einer materialistischen Physiologie, andererseits klingt aber der Kanon der paranoischen Klage an: die Fremdbestimmung, die (sexuelle) Reizung, die Entleerung, die Schwächung des Willens. „Eine Art Anpasssung an diese Überhäufung mit Eindrücken tritt ein: der Mensch verlernt zu agieren.“26

Nur wenige Jahre nach Nietzsches Diagnose, im Jahre 1895, nimmt Le Bon in Psychologie der Massen den Topos der Erregung und Willenlosigkeit auf. Bemerkenswert ist die Zeitgleichheit des Erscheinungsdatums und der Erfindung des Massenmediums Film. Wenn auch Le Bon auf diesen Beeinflussungsapparat noch nicht eingehen kann, stellt sich dennoch eine Relation her. Denn die Machtdimension des Bildes hat in seiner Theorie einen herausragenden Stellenwert. Mag seine Soziologie auch nicht als Medientheorie zu lesen sein — Le Bon ist an den inneren Funktionsmechanismen der Masse interessiert — so ist sie bedeutsam als Schnittstelle zwischen der alten Magnetismusepisteme und kommenden mediensoziologischen Konzepten des 20. Jahrhunderts.

Bereits in den ersten Sätzen seines Traktats formuliert Le Bon seine Grundannahme einer Opposition von Masse und Individuum, Unbewusstheit und Bewusstsein: Das Kennmerkmal der Epoche ist die Ersetzung der bewussten Aktivität des Einzelnen durch die unbewusste der Masse. Diese Unbewusstheit vergleicht Le Bon mit dem Zustand der Hypnose und der Suggestion, der ein Individuum unterliegen kann. In der Masse wirkt eine Art Feedback-Mechanismus, durch den die individuellen Partikel in eine Richtung dirigiert werden. Am Ende steht der Automatenmensch: Der Einzelne ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb sein Wille nicht mehr in der Gewalt hat.27

Le Bon integriert das Vokabular der Epoche in seinen Diskurs: Magnetismus, Hypnose, Suggestion, Maschine. Ähnlich wie Nietzsche, Krauß oder Wollny sieht er aus Menschen Maschinen werden, die untereinander nur noch per Reiz-Reaktionsmechnik funktionieren: „Die Masse ist der Spielball aller äußeren Reize, deren unaufhörlicher Wechsel sie widerspiegelt. Sie ist also die Sklavin der empfangenen Empfindungen.“28

Anders als seine Vorläufer erwähnt Le Bon nicht den Apparat/die Maschine als äußere mediale Verursachung, er nennt lediglich den Redner und das populäre Theater. Beide sind dafür verantwortlich, dass ein irrationales Imaginäres induziert wird:

„Sie [die Masse] denkt in Bildern, und das hervorgerufene Bild löst eine Folge anderer Bilder aus, ohne jeden logischen Zusammenhang mit dem ersten. […] Sie nimmt die Bilder, die ohne Bewusstsein auftauchen und sehr oft nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der beobachteten Tatsache haben für Wirklichkeit.“29

Bei Le Bon ist ebenfalls das aufklärerische Ideal die Basis der Konstruktion: Urteilskraft, Wahrheitsliebe, Realitätsbewusstsein werden durch die Bilderflut negiert. Was sich für Le Bon im Inneren der Psyche abspielt, gibt ziemlich genau wieder, was zeitgleich mit dem aufkommenden Kino, mit sich ausweitender Werbung und fotografischer Bilderflut im Äußeren geschieht. In der Folge entsteht entsprechend am Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kulturkritik des „Schundfilms“, die das Arsenal bekannter Klagen enthält. Thorsten Lorenz hat in einem Artikel die frühe Filmkritik von Seiten der Medizin, Psychiatrie und Kinoreformbewegung nachgezeichnet. Diese sieht in dem Medium die Ursache für Nerven- und Geistesstörung, Denkunterbrechung und sogar Mörderproduktion.30 Das projizierte Bild legt sich nicht nur auf die Leinwand, es dringt ins Innere der Seele und frisst sie auf.

Auch Jacques Lacan hat in den 50er Jahren in seinem Seminar zur Psychose die Verbindung vom Film zum Wahn hergestellt: Dort vergleicht er die platonischen Verrücktheiten der mittelalterlichen Troubadoure, die das Bild (und eben nicht die fleischliche Realität) einer Dame besingen, mit dem Bild auf der Leinwand. Er spricht zusammenfassend von den „Verrücktheiten des reinen Trugbilds“.31

Artverwandt argumentiert die kulturkonservative Fototheoretikerin Erna Lendvai-Dircksens. In ihrem Artikel mit dem Titel „Zur Psychologie des Sehens“ (1931) nimmt sie die Neue Sachlichkeit ins kritische Visier. Sie entdeckt unter anderem eine Einseitigkeit im Ausdruck, eine Vorliebe für das Gegenständliche in verzerrten Perspektiven, eine ornamentale Vordergründigkeit, wirklichkeitsabweichendes Schwarzweiß und maskenartige Porträts. Der Verlust der Tiefe im Ausdruck wird rezeptionstheoretisch rückgekoppelt an seelische Verwerfungen bei den Subjekten, die diesen Eindrücken ausgesetzt sind: Die Empfindungsseele stumpft ab, falsche Schlüsse werden merkfähig, Hypothesen werden Wahrheit. Ohne Gefühlstiefe sei der Mensch ratlos und preisgegeben.32 Lendvai-Dircksens meint, eine mediale Entfremdung entdecken zu können, die den Menschen aus seinem Eigentlichen reißt. Eine paranoische Klage?

Diese punktuellen Medienkritiken geraten unter der Wucht und Unerbittlichkeit der Kritischen Theorie in den Sog des Generellen. Bereits in den 40er Jahren gehen Adornos gemeinsam mit Horkheimer gemachten Ausführungen zur Kulturindustrie von einem sich schließenden Kosmos aus, in dem der Mensch zum Konsumenten degradiert wird und einer industriell gelenkten Zurichtung unterliegt. In seinen Einlassungen zum Fernsehen der 50er Jahre verschärft sich die Diagnose — die Medienwelt (Fernsehen, Radio, Film, illustrierte Zeitschriften, Comics, Reklame) umzingelt das Individuum und verstopft den Zugang zur Privatexistenz.33 Adorno sieht das „Ganze des Systems“ am Werk. Bis in die individuelle Triebökonomie des Unbewussten reichen die Einflussnahmen. Die Institutionen der Kulturindustrie nehmen die Triebe in ihre Regie — „zum Vorteil der Institutionen und der mächtigen Interessen, die hinter ihnen stehen.“ Adorno sieht das Individuum, das sich das Medium der Geistlosigkeit in die Wohnstube stellt, umfassend zerstört: Verlust der Sublimationsfähigkeit, Trug, Standardisierung, eine auf den Leib gerückte erkaltete Welt, Verlust der Grenze zwischen Realität und Gebilde, Regression, Stumpfsinnigkeit und Vernebelung realer Entfremdung, Süchtigkeit, Entwöhnung von Sprache, Konformismus, Erstarrung, in Betrieb gesetzte Reaktionsformen. Adornos furiose Aneinanderreihung von Verdikten kulminiert in einem Bild, das erschreckende Deckung mit den paranoiden Konstrukten aufweist:

„Entzauberter Zauber, übermitteln sie [die archaischen Bilder] kein Geheimnis, sondern sind Modell eines Verhaltens, das der Gravitation des Gesamtsystems ebenso wie dem Willen der Kontrolleure entspricht.“34
Unermüdlich lassen sie [die Lenker] den Betrachtern mit einem Schlag offene und verborgene ‚Botschaften’, messages, zukommen. Vielleicht haben letztere, als die psychotechnisch wirksameren, im Planen den Vorrang.“35

Wie ein Nachhall auf all die Texte der voraus gelaufenen Medienepoche klingt die Analyse Adornos: die Allgegenwart der Kontrolle durch Medien, das Herrschen der Mächtigen, die Auslöschung des Individuellen und des Geistes, die konformistische Vermassung. Adornos aufklärerischer Gestus setzt als Gegenmodelle die reflektierende Sprache und eine auf Distanzierung bedachte Kunst, die durch Protest gegen das „von der Zivilisation verschandelte Unbewusste“ sich auszeichnet. Adorno scheut sich nicht, die neue Medienwirklichkeit mit den beiden totalitären Staaten zu vergleichen: Diktatorialer Wille herrscht, um alles zusammenzufügen, um Eigenheiten auszuradieren.

Ähnlich totalitär wie Adorno entwirft Jean Baudrillard seine postmoderne Medienwelt unter dem Stichwort Hyperrealität. Die Theorie unterscheidet sich von der adornoschen darin, dass sie Begriffe wie Ideologie oder politische/repressive Macht auslöscht, wodurch sie nicht in den Ruch des Paranoid-Verschwörerischen gerät. Doch durch diese Auslassung erscheint die Medienwelt nun wie von Aliens in die Welt gebracht, als Gegebenheit ohne Ursache. Die Beschreibung des Medialen bekommt einen sonderbaren Zug, der zum science-fictionhaften tendiert. Die Grundthese Baudrillards ist bekannt: Eine zweite simulative Wirklichkeit ist installiert worden, die als „Dispositive des Ambientes“ auf die Vorstellungen, die Bedürfnisse, das Begehren und die Wahrnehmung einwirken. Es gibt kein Außerhalb mehr, wir alle stecken im Gefängnis der Simulation. Die Dimension der Betrachtung wird eingezogen, es gibt keinen Raum mehr zwischen den Bildern und dem Selbst, der eine distanzierende Reflexion ermöglichen würde. „Es gibt nur noch das totale, fusionierende, taktile, ästhesische (und nicht mehr ästhetische) Environment.“36 Damit wird der Realität der Garaus gemacht. Baudrillard scheut sich nicht zu behaupten, dass wir in einer „Halluzination der Realität“ leben würden.37 Anders als in der Kritischen Theorie geht es nicht mehr darum, eine falsche Wirklichkeit zu erkennen, die dem Bewusstsein oktroyiert wird, die Wirklichkeit ist tot:

„Von Medium zu Medium verflüchtigt sich das Reale, es wird zur Allegorie des Todes, aber noch in seiner Zerstörung bestätigt und überhöht es sich: es wird zum Realen schlechthin, Fetischismus des verlorenen Objekts — nicht mehr Objekt der Repräsentation, sondern ekstatische Verleugnung und rituelle Austreibung seiner selbst: hyperreal.“38

Die logische Inkonsistenz dieser Konstruktion, die ja noch den Außenbetrachter benötigt, der in der Theorie schon ausgelöscht ist, schließt sie mit dem paranoischen Diskurs kurz, wo ja auf ähnliche Weise eine ausweglose Medienumzingelung angenommen wird und gleichzeitig die Sehnsucht nach dem Wahren wach bleibt. Baudrillard nimmt eine Art Gottposition ein, von der aus er erkennt, wie die Menschwesen einer unfühlbaren „Ausdrucksteuerung“, einer „Steuerung durch Information“ unterliegen und zu einer Anpassung genötigt werden, die der des „animalischen Mimetismus“ gleicht.39 Diese Medienlandschaft ohne Ausgänge kann als theoretischer Schlusspunkt verstanden werden: Subjekt und Umwelt sind total verkünstlicht, ein interesseloser Mechanismus ohne Beweger hält das Ganze in Bewegung.

Der kritische Ton aller Theorien klingt laut. Gewiss nur eine Variante in der Stimmenvielfalt. Diese Tonlage verwischt in der Literatur, wo neben der Kulturkritik auch das Faszinosum für Beeinflussungsapparate Platz hat. Aber gerade diese Heroisierung scheint zu belegen: Es gibt ein machtvolles Wirkfeld, das die Wirklichkeit in Gefahr bringt.

Beeinflussungsapparate in der FiktionDie Faszination für Beeinflussungsphänomene und -apparate hat in der Literatur vor allem die Science Fiction und Ufologie zu Geschichten motiviert.40 Mag auch die Trivialliteratur diese Thematik äußerst fruchtbar bearbeiten, so hat auch die so genannte Hochliteratur ihre Fantasien über die Manipulation mit Medienmaschinen entwickelt. Dieser Paralleldiskurs zur Medienkritik kann hier nur punktuell am Beispiel einiger bekannter Texte angespielt werden.

Lange vor der Erfindung von Film und Fernsehen treten Strahlen und elektrische Ströme in einem literarischen Text auf, ganz von finsteren Mächten darauf abgestellt, Menschen etwas vorzumachen. In Friedrich Schillers Der Geisterseher (1787-88) versucht ein Vertretet der Gegenaufklärung (zunächst) sehr erfolgreich mit Laterna Magica, Elektrisiermaschine und viel Nebel eine Gesellschaft zum Gespensterglauben zu bewegen.

In einer pseudo-religiösen Inszenierung mit Symbolen und Beschwörungen lässt der Magier, wie er genannt wird, das Bild eines Toten entstehen. In eben diesem Moment werden die Beteiligten, die einander an den Händen fassen, von einem elektrischen Schlag gerührt, Donner erschallt. Der Magier beginnt seinen Dialog mit dem Toten.

Die Wirklichkeit bricht in dieses synästhesische Theater ein in Gestalt eines Gerichtsdieners mit Wache; der Magier wird im Namen der Regierung verhaftet. Alles erweist sich als Betrug. Die Erzählung benötigt im Anschluss mehrere Seiten, um alle Phänomene als Effekte einer unsichtbaren Maschinerie zu erklären. Das Außerordentliche, das Wunderbare, die Verwirrung der Einbildungskraft müssen einerseits als geheimnislose Banalität entlarvt werden. Andererseits ist das evozierte Gespenst mehr als ein Symbol der Anti-Aufklärung, hinter ihm steckt das Schreckgespenst des Medialen selbst. Es vermag seine Wirkungen zu haben, wenn es ihm gelingt, seine Mechanismen zu verbergen. In diesem Sinne resümiert der Prinz, der das Opfer der „Seltsamkeit der Mittel“ geworden war: „Ich leugne nicht, dass ich mich einen Augenblick habe hinreißen lassen, dieses Blendwerk für etwas mehr zu halten.“41 Die platonische Bildkritik hallt hier nach, die später im Text noch einmal aufgenommen wird, als der schwärmerische Prinz ein Madonnenstück betrachtet: „[…] bei diesem vergaß er den Künstler und seine Kunst, um ganz im Anschauen seines Werks zu leben.“42 Es wiederholt sich die Gespenstererscheinung; der Rezipient ist im Modus der Distanzlosigkeit dem Bild gegenüber. Er besetzt die Kunsterscheinung fetischistisch, die, folgte man Adorno, darin in ihrer Eigentlichkeit verfehlt wird. Das Medium hängt wie ein Vampir am Körper; eine erotische Verbindung, die letztlich den Bildverehrer ins Verderben führt.

Schiller schreibt seinen Roman mit dem Ziel, „alle Wahnbegriffe aus dem Gedächtnis herauszureißen“.43 Der Intellektuelle als Medienmahner. Ganz anders agiert der Intellektuelle in Strindbergs Erzählung Tschandala (1889), wo er als grausamer Medienmacher auftritt. Auch hier spielt die Laterna Magica die Rolle der mächtigen Bildmaschine zur Erzeugung entmenschlichter Affekte und Gesten. Das Opfer entspricht dem Typus des ungebildeten, regressiven Menschen, der mit Bildern gelenkt werden kann und in eine zweite Wirklichkeit entführt werden kann. Dieser Tattare wird als verschlagener Mensch geschildert, der den Magister hintergeht und grausame Spielchen mit diesem treibt. Am Ende der Erzählung holt der Magister zum Gegenschlag aus: Er bereitet seinen Opponenten vor, in dem er ihm Alkohol gibt und unheimliche Geschichten erzählt. Dann lockt er ihn in die Nacht. Dort projiziert der Magister mit der Laterna an eine Wand aus Nebel und Rauch zunächst eine schwarz gekleidete Frauengestalt, dann (wie der schillersche Magier) das Riesenbild eines Toten. Auf der bewegten Wand und durch drehen an der Linse scheinen die Gestalten zu leben. Der Tattare erschreckt, beginnt zu jaulen wie ein Wahnsinniger. Der Magister hält sein Opfer wie an einer Schnur: Schiebt er das Glas in der Laterne hin und her, setzt sich auch der Tattare in Bewegung. Er lässt das Bild einer Natter entstehen, danach das einer Maus. Der Betrachter wird in eine Mimesis ans Erblickte gezogen, er geht in die Knie, stößt Quieklaute aus und möchte in einem Maulwurfsloch sich verkriechen. Diesen Augenblick des Ichverlusts nutzt der Medienmagier und projiziert das Bild eines Hundes, zunächst auf die Nebelwand, dann auf die weiße Decke, in die der Tattare sich eingehüllt hat. (Ich erinnere daran: In Beers Bericht wurde ebenfalls eine Laterna auf die Bettdecke gerichtet). Der Hund gewordene Mensch beginnt zu bellen. Der Moment der Apotheose ist gekommen: Acht ausgehungerte Haushunde stürzen heran, direkt auf das Bild auf der weißen Decke und zerfleischen ihren Herren, den sie als lästigen fremden Artgenossen verkennen. Strindberg lässt es an Deutlichkeit nicht missen: Sogar die niedere Kreatur ist dem Bild verfallen, wie der durchs Bild zur Kreatur erniedrigte Mensch: „Paria war tot, Aria hatte gesiegt; gesiegt mit Hilfe seines Wissens und seiner geistigen Überlegenheit über die niedere Rasse.“44


Panoramatische Projektion: Albert A. Hopkins, Magic: Stage Illusions, Special Effects and Trick Photography, 1898

Strindberg zeigt — in moderner Terminologie gesprochen — wie die Immersivität, das Eintauchen in eine medial generierte Bildwelt, einen Prozess der Regression in Gang setzt. Die Kopplung von Medium und Machtwissen kulminiert zum Inbild finaler Grausamkeit. Man könnte sagen, dass die strindbergsche Erfindung das Supplement zur paranoiden Wahrnehmung darstellt: Findet sich der Paranoiker in der Rolle des Opfers, wird hier das Gleiche aus Sicht des Siegers mitgeteilt. Das Bildmedium fungiert bei Schiller wie auch bei Strindberg weder als spielerischer Zeitvertreib noch als Erkenntnisinstrument.45 Indem sie es als Beeinflussungsapparat ausweisen, nehmen sie eine Tendenz vorweg, die im 20. Jahrhundert dominant werden wird.

Bekanntlich hat George Orwell in 1984 (1949) die mediale Immersivität als totalitäres Horrorszenario beschrieben, das sich aus der Erfahrung sowjetischer Aktualerfahrung und dystopischer Zukunftsangst zusammensetzt. Bemerkenswert ist die technische Fantasie Orwells, die bis heute immer dann aufgerufen wird, wenn die Medien in Verdacht geraten. Im ersten Kapitel des Romans wird die Funktionsweise des Telescreens beschrieben, über den Big Brother nicht nur seine Botschaften verbreitet, sondern der darüber hinaus in seiner Struktur darauf gerichtet ist, ein Jenseits des Medialen nicht zuzulassen. Senden und Empfangen erscheinen als technische Einheit, die kaum etwas anders als Paranoia realisiert.

„The telescreen received and transmitted simultaneously. Any sound that Winston made, above the level of a very low whisper, would be picked up by it, moreover, so long as he remained within the field of vision which the metal plaque commanded, he could be seen as well as heard. There was of course no way of knowing whether you were being watched at any given moment. How often, or on what system, the Thought Police plugged in on any individual wire was guesswork. It was even conceivable that they watched everybody all the time. But at any rate they could plug in your wire whenever they wanted to. You had to live — did live, from habit that became instinct — in the assumption that every sound you made was overheard, and, except in darkness, every movement scrutinized.“46

Dagegen nimmt sich die Negativutopie Huxleys in Brave New World (1932) noch vergleichsweise harmlos aus, sie scheint eher dem 19. als dem 20. Jahrhundert verhaftet zu sein. Huxley greift nämlich das Motiv der Hypnose auf und wertet sie zu einer Psychotechnik via Radio-Übertragung auf: Schlafenden werden Messages eingetrichtert, die auf eine Inskription von Reflexen hinauslaufen. Hypnopaedia oder moral education, wie der offizielle Euphemismus im Text diese Form der Unterwerfung bezeichnet, zielt auf eine fugenlose Anpassung ans Bestehende. Was bei Adorno der objektive Geist der Industrie ist, dass nennt die literarische Figur des Direktors des Central London Hatchery and Conditioning Centres ohne Umschweife: „Suggestions from the State.“47

Anders als die früheren Texte von Schiller und Strindberg sind die beiden Texte des 20. Jahrhunderts darin identisch, dass sie von einer Systematizität der Beeinflussungstechniken ausgehen. Die finsteren Machenschaften einzelner oder Gruppen ist gewichen zugunsten einer totalen Unterwerfung. Flucht, die Schiller noch in den Blick nehmen konnte, erscheint seit Strindberg nicht mehr möglich. Der Medienpessimismus erstarkt mit der Ausweitung der Technologien und Machtkonzentration.

Dass das Thema der Medien auch in der literarischen Avantgarde Spuren hinterlassen hat, soll an zwei konträren Beispielen angedeutet werden. Ein Entrealisierungsschub geht von dieser Literatur aus, der die Frage aufkommen lässt, ob sie als Bestandteil des paradiskursiven Kosmos‘ über Beeinflussungsapparate gelten können.

Die Literatur Raymond Roussels, dessen Texte nach eigenem Bekunden der Imagination alles und der Wirklichkeit fast nichts verdanken, kann als Testterrain angesehen werden. Im vierten Kapitel von Locus Solus (1914) stößt der Autor zum Thema vor: Ein bizarres Experiment wird an einem Geisteskranken durchgeführt. Roussel entwirft ein surrealistisches Wissenschaftssetting, das von seinem zwanghaft-minutiösen Beschreibungsstil formal flankiert wird.

Der Kranke, dessen Kopf ein sonderbarer Helm bedeckt, in dem eine Nadel mit mächtiger magnetischer Kraft eingelassen ist, wird in einen Käfig geleitet. Der mediale Kerker enthält eine Linse (1) mit daraus entströmendem blauen Licht (2), das der Doktor in seiner Intensität an Knöpfen reguliert (3), sowie zwei Bilder (4), auf die der Mann mit seinem Magneten (5) die Nadel (6) im Helm des Gefangenen ausrichtet. Der Doktor führt seine Lichtmanöver aus, die Bilder verblassen unter dem Einfluss der Einstrahlung und der Kranke steigert sich mehr und mehr in eine Erregung und gerät vor Angst schließlich außer Rand und Band. Er reißt an den Gittern, eine Befreiung gibt es nicht.48

Diese traumartige Sequenz in einen linearen Sinn zu zwingen, in dem jedes Element seinen symbolischen Wert bekommt, würde wohl den Gehalt des Textes verfehlen. Aber ist nicht dieser Albtraum vergleichbar mit der strindbergschen Erfindung? Vorgeführt wird ein kalkulierter Eingriff mit Wellen und Licht, der dem Opfer die letzten Verstandeskräfte zu rauben scheint. Roussel montiert eine pseudowissenschaftlichen Anordnung, in der all die Aspekte von Wichtigkeit sind, die aus dem Reservoir der Medienangst gespeist sind: der mächtige Lenker, das Eingeschlossensein, der Beeinflussungsapparat, die Kräfte, die Bilder, der Verlust von Vernunft und Selbstbestimmung.

Was Roussel aus der Außenposition zum Opfer in unterkühltem, fantastischem Ästhetizismus vorführt, das wiederholt vierzig Jahre später William Burroughs aus der Innenperspektive, heiß und psychedelisch. In The Ticket That Exploded, einem wirren Cut-up-Text, sind Tonbandmaschinen, Kameragewehr, Radio, Klang-Bild-Bäder, Fotografien, die im Orgonakkulmulator verschweißt werden, Soundtracks und Film allesamt Mittel zur Erzeugung von sexuellen Halluzinationen, zur Kriegsführung, telepathischen Kommunikation, Manipulation und Herrschafts-gewinnung. Diese fiktive paranoische Welt hat Burroughs in seiner Abhandlung Electronic Revolution ‚theoretisch‘ gegründet.49 In einer Mischung aus Poetologie zur Cut-up-Technik, Medientheorien und Wahnsinn wird einerseits eine subversive symbolische Praxis entwickelt, die gegen die Kontrolle der Massenmedien gerichtet ist, und stellt andererseits das Fantasma einer unbeschränkten Manipulationsmacht aus. Burroughs beschreibt eine Reihe von einfachen Tonbandexperimenten, die auf einem angenommen Feedbacksystem basieren: Man nehme einen Verkehrsunfall auf, spiele das Ganze in die Straße hinein. Der Effekt: ein neuer Unfall. Oder man nimmt Stimmen von Freunden oder Feinden auf, zerhacke das Ganze, setze die Teile neu zusammen, mische Sexsounds hinein. Das äußere Klanggewirrwarr streut symbolische Viren aus, die subliminal empfangen werden und sogar als innere Stimmen wahrgenommen werden können: „the human nervous system unscrambles a scrambled message this will seem to the subject like his very own ideas which just occured to him.“50 Burroughs nimmt die Schizo-Gottposition ein, der alles lenken kann, um im nächsten Moment den Paranoiker zu geben, der erkannt hat, dass CIA und andere Dienste längst von dieser Technik Gebrauch machen. Sex, Gewalt, Krankheit, Wahnsinn werden mit der Scramble-Technik viral verbreitet. Burroughs visioniert zum gleichen historischen Zeitpunkt, als Baudrillard die Abschaffung der Wirklichkeit behauptet, die Entdifferenzierung von Bild und Leben: „there is no way to distinguish film from flesh“51 heißt es im Roman. Im Essay fantasiert er ein gigantisches Festival mit 100.000 Menschen, von denen jeder zerhackte, rauschende Sexvideos mitbringen, die miteinander gemischt werden. Dann beginnt die Show:

„Projected on vast screens, muttering out over the crowd, sometimes it slows down, so that you see a few seconds, than scrambled again, then slow down, scramble. Soon it will scramble them all naked. The cops and the National Guard are stripping down. […] Now a thing like that could be messy, but those who survive it recover from the madness.“52

Massenekstase, Hysterie, „war game“53. Was bei Roussel als piktureske Skurrilität erscheint, reflektiert sich bei Burroughs in Gestalt einer endzeitlichen Massenbeeinflussung, in der Unterhaltung und Machtpolitik ununterscheidbar werden.

Am Ende des 20. Jahrhunderts wird diese Sicht in einer (vorerst) letzten Drehung der Schraube radikalisiert: Als apokalyptische Kulmination kann die Filmerzählung The Matrix (1999) von Larry und Andy Wachowski betrachtet werden. Einer zur bloßen Biomasse reduzierten Menschheit, die schlafend in einer Nährlösung lebt, um den Aliens als rohstofflliche Lebensgrundlage zu dienen, wird eine perfekte Welt ins Gehirn simuliert. Als hätten die postmodernen Simulationstheoreme bei der Abfassung des Skripts Pate gestanden, wird am Ende des 20. Jahrhunderts die Utopie einer Künstlichkeit evoziert, die den Menschen nicht mit dem Inkommensurablen konfrontiert, sondern die ihn vollständig einpuppt und die Frage nach Realität und Irrealität nicht mehr aufkommen lässt. The Matrix kann als ultimative Metapher einer Medienkonzeption gelesen werden, die eine mehr als zweihundertjährige Geschichte hat: Hinter dem Glanz der Medieneffekte wird den Menschen das Leben ausgesaugt.

In diesem Bild verdichtet sich auf krasse Weise, was alle Verdachtsdiskurse zu sagen nicht müde wurden: Anthropos wird zum Kampfplatz der Medien, die auf nichts anderes hinaus wollen, als ihn zu schwächen.

FinaleFolgte man den vorgestellten Dokumenten, so wäre mit dem Erscheinen der Medienmaschinen der Mensch der Aufklärung verschwunden. Anstatt mündiges Wesen zu sein, wird er als Funktion gesehen: Der Mensch wird zum Teil einer Maschine, die ihn programmiert; er soll wünschen, was die Maschine wünscht. Die Rede über die Medien, die als überaus mächtig entlarvt werden, entwickelt implizit eine pessimistische Anthropologie: Darin wird der Mensch als offen für seine Pervertierung beschrieben. Degradiert zum Automaten, zur Puppe, zum Tier, zum vegetable. Die vorausgesetzte Beeindruckbarkeit und Formbarkeit des Menschen ist die Basis für die Ausarbeitung totalitärer Fantasien, die mit der Fortentwicklung und Allgegenwart der Medien zunehmen. Fiktion, Theorie und Wahn erweisen sich in ihren Blicken auf den Sachverhalt zwar nicht als gleich — stilistisch, begrifflich und erzählerisch sind Differenzen nicht zu übersehen —, aber thematische Angleichungen treten deutlich hervor; die Texte sind paradiskursiv aufeinander beziehbar. Ob Anleihen, Übernahmen oder kontingente Gleichzeitigkeiten vorliegen, das muss nicht entschieden werden. Die Kultur ist von einem Fantasma durchwirkt, das sich als Wissen darstellt. Aber gerade diese Häufung des Ähnlichen über Diskursgrenzen hinaus, von dem hier nur ein Bruchteil vorgestellt werden konnte, erzeugt keine Gewissheit. Es sind die Similaritäten zwischen Dichtung, Wahn und theoretischer Konstruktion, die die Frage nach dem Status des Wissens provozieren und Skepsis hervorrufen: Die Grenzlinie zwischen Einsicht und Imagination erscheint verwischt. Muss man also zu einer epistemologischen Offensive gegen diese Unklarheit aufrufen? Vielleicht wäre eine Fantasie zu malen, die ausführte, wie es wäre, ohne Satelliten, Übermittler, elektrische Engel und Stimmen, Projektionen, Drähte und Speicher zu leben.


1 Leo Novak (art), Jerry Siegel (script), „Hypnosis by Radio“ in: Superman Action Comics, no. 38 (July 1941).

2 Siehe Marshall McLuhen, Die magischen Kanäle (1964), Dresden, Basel 1995, 61.

3 Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1986, S. 262.

4 Die m.E. riskante Entdifferenzierung von Wahn und Wissenschaft scheinen Hahn, Person, Pethes für das 19. Jahrhundert zu betreiben, wenn sie gegen die Pathologisierung die „wissenschaftliche Dimension der ‚Wahnsinnsautobiographien'“ ins Licht rücken möchten und eine „Archäologie dieses vergessenen Wissens“ anstreben. Ganz ohne Anführungszeichen sprechen die Herausgeber von „Theorien“, die „als das Unbewußte der Wissenschaft betrachtet werden“. Der Wahn als Psychoanalyse der Wissenschaft? Siehe das Vorwort in: Torsten Hahn, Jutta Person, Nicolas Pethes (Hg.), Grenzgänge zwischen Wahn und Wissen. Zur Koevolution von Experiment und Paranoia 1850-1910, Frankfurt, New York 2002.

5 Manfred Schneider, „Kommunikationsideale und ihr Recycling“: in: Sigrid Weigel (Hg.), Flaschenpost und Postkarte, Köln, Weimar, Wien 1995, 195-221.

6 Victor Tausk, „Über die Entstehung des ‚Beeinflussungsapparates‘ in der Schizophrenie“, in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 5 (1919), 1-33.

7 John Haslam, Illustrations of Madness (1810), edited by Roy Porter, London, New York 1988.

8 Die einzige in Deutschland zugängliche Originalausgabe des Werks von Krauß in der Universitätsbibliothek Tübingen konnte von mir für diesen Aufsatz nicht eingesehen werden. Ich beziehe mich auf die Quellenauszüge in Hahn, Person, Pethes und die von Ahlenstil, Meyer herausgegebene Auswahl.

9 Friedrich Krauß, Nothschrei eines Magnetisch=Vergifteten (1852), ausgewählt und kommentiert von H. Ahlenstil, J.E. Meyer Göttingen 1967, 56.

10 Friedrich Krauß, Nothschrei eines Magnetisch=Vergifteten (1852), in: Torsten Hahn, Jutta Person, Nicolas Pethes (Hg.), Grenzgänge zwischen Wahn und Wissen. Zur Koevolution von Experiment und Paranoia 1850-1910, Frankfurt, New York 2002, 43.

11 Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 23, Berlin (DDR) 1962, 445.

12 Diesen Gedanken zur Technik als Medium übernehme ich von Gerhard Gramm, „Zirkular der modernen Gesellschaft. Abkehr von der klassischen Handlungstheorie“, in: Frankfurter Rundschau, 7. Oktober 2003, 19.

13 F. Wollny, In Sachen der Hypnose und Suggestion. Ein Vademecum für Herrn Prof. Wundt, Leipzig 1893, 11.

14 Ebenda, 14.

15 F. Wollny, „Hypnose und Suggestion, in neuem Licht betrachtet“, in: ders., Vermischte Abhandlungen und Aufsätze, Leipzig 1892, 114-115.

16 F. Wollny, Historisch-psychologischer Traktat, Leipzig 1892, 26.

17 Wollny, In Sachen der Hypnose, 18.

18 Ebenda, 21, 22, 24.

19 Clifford Beers, „A Mind That Found Itself (1908), in: Dale Peterson (ed.) A Mad People’s History of Madness, Pittsburgh 1982, 167.

20 Ein Knotenpunkt ist http://mindcontrolforums.com.

21 Krauß, Wollny und heutzutage Mike Coyle („The Influencing Machine“ (1996), in: www.pd.org/totpos/perforations/perf5/inlfu.html, 1.3.2004) beziehen sich auf den Fall von James Tilley Matthews denn auch als Beleg für die Existenz von Beeinflussungsapparaten und nicht als Krankengeschichte:.

22 Kathy Kasten, „Timothy McVeigh Was Telling The Truth — It’s Not Your Father’s Mind Control Technology“ (2000), in: http://www.rense.com/general2/truth.htm, 2.3.2004.

23 Rauni Leean Kilde, „Microwave Mind Control: Modern Torture and Control Mechanisms Eliminating Human Rights and Privacy“ (1999), in: http://mindcontrolforums.com/microwave-mindcontrol.htm. Einen geradezu naturwissenschaftlichen Furor zeigt Dorothy Burdick in ihrem Buch Such Thing are Known (New York 1982), das stakkatohaft technologische Fakten an Fakten reiht, um die „tools of mind attack“ zu erfassen.

24 Friedrich Nietzsche, Fragmente Juni – Juli 1879, Notizbücher Juni – Juli 1879

25 Friedrich Nietzsche, Umwertung aller Werte, Bd. 2, München 1969, S. 480.

26 Ebenda.

27 Gustave Le Bon, Psychologie der Massen (1895), Stuttgart 1951, 19.

28 Ebenda, 22.

29 Ebenda, 26.

30 Siehe Thorsten Lorenz, „Wenn das Kino töten könnte. Medien-Mörder: Über den Ursprung eines pädagogischen Wahns“, in: Frankfurter Rundschau, 2.11.2002, 19.

31 Jacques Lacan, Die Psychosen, Weinheim, Berlin 1997, 301.

32 Erna Lendvai-Dircksens, „Zur Psychologie des Sehens“ (1931), in: Wolfgang Kemp, Theorie der Fotografie II: 1912-1945, München 1999, 158-162.

33 Theodor W. Adorno, „Prolog zum Fernsehen“ (1953), in: ders., Eingriffe, Frankfurt/M. 1963, 69.

34 Ebenda, 77.

35 Theodor W. Adorno, „Fernsehen als Ideologie“ (1953), in: ders., Eingriffe, Frankfurt/M. 1963, 83-84.

36 Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982, 113. Hier ist anzumerken, dass der Signifikant total in Baudrillards Schriften eine erhebliche Rolle spielt.

37 Ebenda, 116.

38 Ebenda, 113-114.

39 Ebenda, 113.

40 Hierzu liegt von Martin Kottmeyer eine kommentierte Bibliografie vor: „Alienating Fancies: „The influencing machine fantasy in ufology and the extraterrestial mythos“, in: Magonia 49/50 (1994). Ebenfalls in: www.magonia.demon.co.uk/arc/90/mkinf1.htm.

41 Friedrich Schiller, Der Geisterseher (1887-88), Stuttgart 1996, 7, 68.

42 Ebenda, 124.

43 Ebenda, 162.

44 August Strindberg, Tschandala (1889), Frankfurt/M. 2001, 162.

45 Dass Medien sowohl als Erkenntnis- als auch als Illusionierungstechnologien wahrgenommen wurden, zeige ich exemplarisch in „The Peculiar Effect. Nathaniel Hawthornes Medien- und Modernitätskritik“, in: Ulrich Stadler, Sabine Haupt (Hg.), Das Unsichtbare sehen. Bildzauber, optische Medien und Literatur (erscheint im Frühjahr 2004 in der Edition Voldemeer).

46 George Orwell, 1984 (1949), in: http://www.online-literature.com/orwell/1984/1/ (16.3.2004). Die totale Überwachung hat Mynona in seinem Roman Graue Magie bereits 1922 als Möglichkeit des Films beschrieben. Dort bedient sich der Filmgigant Morvitius „der neuesten elektronischen Erfindungen. Seine Kurbler hantieren überall, an jeder Straßenecke, in den Lüften, im Inneren der Häuser. Ja, er stellt Kurbel-Automaten auf, welche die Vorgänge ohne persönliche Bedienung festhalten.“ Mynona, Graue Magie, Berlin 1998, 114.

47 Aldous Huxley, Brave New World (1932), New York 1989, 28.

48 Raymond Roussel, Locus Solus (1914), Frankfurt/M. 1977, 134-138.

49 Ich unterlasse die Diskussion, ob Electronic Revolution als Wissenschaftsparodie oder als authentischer Essay einzustufen ist. Siehe William S. Burroughs, Die elektronischen Revolution (1970-76), Bonn 2001.

50 Ebenda, 24.

51 William S. Burroughs, The Ticket That Exploded (1968), New York 1987, 69.

52 Burroughs, Die elektronischen Revolution, 36.

53 Ebenda, 58.

© Gunnar Schmidt