|
Trophäe. Ästhetisierung der Melancholie
Ordnung
Den Dingen eine Ordnung geben: Ich wähle aus, ich benenne,
ich bestimme Orte, ich halte fest. Dieses Ich mit seiner Sprache,
seinen Vorstellungen, mit seinen Händen hat es zu tun mit
Zerrissenheit, Zerstreuung, Verworrenheit in der Welt. Es glaubt,
mit seinem Vermögen der chaotischen oder gar katastrophischen
Wirklichkeit Widerstand geben zu müssen. Was tut dieses Ich?
Es nimmt die Dinge aus dem gewaltigen Leben, entreißt sie
der Zerrissenheit; es stellt sie auf, um sie zu betrachten und
Geschichten zu erzählen: Es war einmal …
Splitter
Die Frage ist aufgeworfen, was der Wert eines Gewinns ist, einer
Rettung in einer Welt der Verluste oder besser: der Haltlosigkeiten.
Der Stellungnahme zu Frage sollen zwei Begebenheiten vorangestellt
werden, in denen Welt als zerborstene erscheint und Mensch zwei
unterschiedliche Verhalten zeigt.
1.
Als der 50. Jahrestag der Gründung der Dada-Bewegung bevorstand,
wurde Max Ernst von einem Schweizer Museum gefragt, ob er bereit
sei, an einer Jubiliäumsausstellung teilzunehmen. Er antwortete:
"Dada war eine Explosion. Was Sie jetzt ausstellen wollen
und ausstellen können, das sind die Granatsplitter die noch
übrig geblieben sind, die Sie irgendwo im Feld aufraffen
und dann als wertvolle Objekte in ihren Museen ausstellen. Damit
will ich nichts zu tun haben."1
2.
Wir sind im Jahr 1991. Ein Journalist einer deutschen Fernsehanstalt
befindet sich als Korrespondent in Saudi Arabien, um vom Krieg
am Golf zu berichten. Auf einem Zettel am schwarzen Brett des
Hotels Dharhan International macht er folgende Annonce:
"Möchte Stücke aus der Berliner Mauer gegen solche
einer Patriot eintauschen."2 Der Journalist hatte mit seinem
Anliegen Erfolg: Es fanden sich zwei Sammler, die ein Stück
der mittlerweile berühmten Patriotraketen überzählig
hatten.
Daß
ich mir die Assoziation dieser beiden Begebenheiten erlaube, begründet
sich in dem Motiv des Splitters. Mauersplitter und Granatsplitter,
real und metaphorisch, erscheinen als Zeichen glorreicher Handlungen
oder errungener Siege. Die Sprachform Max Ernsts deutet ein Ereignis,
Geschichtliches als Krieg. Das Leben ist Gewaltakt, der Zerreißkräfte
gebiert, in dem die Dinge verglühen oder als Fragmente ausgestreut
werden. Der Korrespondent, Beobachter realer Kriegsereignisse,
erledigt die Arbeit der Vermittlung. Als Warenbesitzer historischer
Reste geht er auf den Markt, um Splitter gegen Splitter zu tauschen,
Sieg gegen Sieg in Form des Abgebrochenen. Die Stücke sind
Sinnbausteine: Wer sie in der Hand hält, zeigt sich als Überlebender
und steht imaginär auf Seiten der Gewinner.
Die
Konstruktion einer Äquivalenz zwischen dem Ereignis als Krieg
und dem Krieg als Ereignis hat faszinierende Effekte: Die Protagonisten
werden Helden und Geschichtsproduzenten.3 Doch ist neben der Übereinstimmung
das Augenmerk auf die Differenz zwischen den Beispielen zu lenken.
Max Ernst und der Journalist nehmen unterschiedliche Haltungen
zum Ereignis/Krieg ein: Der eine möchte die Splitter im Feld
belassen, der andere will sie auflesen und sie zu Besitzdingen
machen. Damit sind zwei Verhaltensmodalitäten bezeichnet
sammeln und zerstreuen , die ihre je eigene Stellung
zur Erinnerung und ihres Bedeutens einnehmen.
Trophäe
Ort des Sammelns und der Geschichte: das Museum. Ein heuristischer
Vorhalt sei dazu formuliert. Das Museum als Bewahr- und Ausstellungsort
für historisch bedeutsame Splitter zeigt den Charakter einer
Trophäensammlung. In diesem Blickwinkel auf die musealen
Gegenstände ist ein Entwurf von Wirklichkeit impliziert,
in dem Geschichte als eine Reihe kriegerischer oder jagdhafter
Ereignisse konstruiert wird. Diese Geschichte ist eine des Ruhms.
Das
Museum ist auf zweideutige Weise mit dem Ruhm verknüpft:
Es kann vergangene Siege dokumentieren, und es erringt selbst
Siege, indem es Erfolg bei der Arbeit des Aufhebens hat.
Von diesem mehrschichtigen Wort aufheben
möchte ich ausgehen, um die Physiognomie des Ruhms in Gestalt
der Trophäe zu charakterisieren.
Römisches tropaeum
Aufheben das Wort zeigt eine sinnreiche und widersprüchliche
Semantik, es bedeutet: etwas auflesen, bewahren und vernichten.
Betrachtet man den historischen Ursprung der Trophäe und
ihre Gestaltung, so offenbart sich eine überraschende Übereinstimmung
mit dem musealen Sammelobjekt. Im Gegensatz zur modernen Trophäe,
die eine sportliche Leistung dokumentieren soll und industriell
hergestellt wird, war das tropaion in der Antike ein Ding
zwischen Fundsache, Beute und Kunstobjekt.4 Nach einer Schlacht
nahm der Sieger dem Feind Dinge ab oder sammelte Stücke vom
Schlachtfeld auf, um sie als Siegeszeichen an einen Stamm zu schlagen.
Waffen, Schilde oder auch einfache Kleidungsstücke wurden
für die Erstellung der Trophäe benutzt. Dieser Stamm
wurde zuerst noch am Ort des gewonnenen Kampfes aufgepflanzt,
in späterer Zeit aber in die Stadt gebracht und in der Nähe
von Tempeln aufgestellt oder auf Stadttoren befestigt. Unverkennbar
sind die Elemente des Museums vertreten und man könnte das tropaion als protomusealen Gegenstand betrachten: Es werden
Gegenstände, Splitter zusammengesucht, um ein vergangenes,
triumphales Ereignis in Erinnerung zu halten. Die Dinge werden
ihrer eigentlichen Verwendung entzogen und einer anderen Ordnung
zugeführt. Sie werden neu montiert und zu Kunststücken
gemacht. In diesem Tausch der Ordnungen bekommen sie den Charakter
reiner Schaustücke; sie durchleben eine Metamorphose zum
Exponat. In antiker Zeit erhielt das tropaion zudem eine
Weihung, was es unmöglich machte, es niederzureißen.
Es wurde auratisiert, unberührbar gemacht. Die Analogie zur
profanen Heiligkeit der Museumswelt, die alles ins Bild rückt,
ist deutlich genug. "Alles Erinnerte, Gedachte, Bewußte
wird Sockel, Rahmen, Postament, Verschluß"5, schreibt
Walter Benjamin. Die Ästhetisierung heute entspricht dem
Prozeß der Weihung damals; beide entleiblichen die Gegenstände
und machen sie zu Zeichen. Dieser Aspekt der Umdeutung der Dinge
scheint mir zentral für den Vorgang der Trophäsisierung
zu sein, in dem auch etwas von der Schuldhaftigkeit in einer kriegerischen
Welt erscheint, die der Wahrnehmung entzogen wird. Vor der Heiligung
der Sachen liegt stets das Feuer, die ungehinderte Verfügung,
das Recht des Herrn auf Zerstörung und restriktionslosem
Genuß, auf Verschwendung, Verstümmelung und Einverleibung.
Die Dinge stehen in einem sklavischen Verhältnis. In dem
Moment, wo Sieg und Niederlage entschieden sind und das Schlachtfeld
geräumt werden kann, wandelt sich das Jagen und Plündern
in Sammeln und Bewahren. Das trophäisierte Ding wird von
der Sache zum Verkünder, vom Objekt zum Symbol. Man könnte
von einer magischen Praxis sprechen, denn die Zerstörung,
für die die Splittersache steht, erscheint nun als Sieg.
Dreck und Blut, die einmal am Ding klebten, sind vergessen im
Glanz der Aufhebung. Der Gegenstand wird in die Position
des Schatzes oder (Kultur-)Gutes erhoben, der Kostbarkeit
nicht der Köstlichkeit. Otto Fenichel hat in seiner Abhandlung
"Über Trophäe und Triumph" von dem "Hin
und Her zwischen gewalttätigem Oralsadismus und einer verdeckten
Hingabe"6 gesprochen. In der Auratisierung steckt die Anstrengung,
vergessen zu machen, daß das Ding einmal ehrfurchtslos behandelt
wurde. Der Sammler ist vielleicht nicht der Krieger, aber er ist
der Marodeur in der Nachhut. Bruce Chatwin hat in seinem Roman Utz die charakterliche Physiognomie des Sammlers ironisch
beschrieben. An einer Stelle des Romans heißt es: "Er
verabscheute Gewalt, doch hieß er jene Kataklysmen willkommen,
die frische Kunstwerke auf den Markt warfen. Kriege, Progrome
und Revolutionen, pflegte er zu sagen, offerieren
exzellente Gelegenheiten für den Sammler".7 Die
Arbeitsteilung zwischen Krieger/Jäger einerseits und dem
liebevollen Bewahrer andererseits, in der die Bemühung verborgen
ist, daß der eine mit dem anderen zusammenhängt, gibt
Ernst Jünger an Hand eines Beispiels zu Buche. Er schreibt:
"Daß der Jagdeifer sich zur Manie steigert, ist nicht
etwa die Ausnahme. Er scheint auch nicht auszusterben; noch in
unseren Tagen bereist Evelyn Cheeseman für das Britische
Museum als gewaltige Sammlerin [von Schmetterlingen] die pazifische
Inselwelt. Das anströmende Material wird in den Museen und
von Liebhabern mit großer Sorgfalt geordnet und bearbeitet."8
Die
Textzitate erzählen von der Ambivalenz zwischen Destruktivität
und Konservierung, Berührbarkeit und Unberührbarkeit.
Auf die Implikationen dieser Ambivalenz ist noch näher einzugehen;
wichtig zu bemerken ist zunächst, daß Chatwins und
Jüngers Aussagen mehr als singuläre Beobachtungen wiedergeben.
Sie interessieren als Hinweis auf eine kulturelle Verfassung,
die ihre Geschichte hat.
Die
Umdeutung von Verlust in Reichtum zeigt ihre umfassend kulturelle
Vergegenständlichung im 19. Jahrhundert. Bekanntlich entstehen
in dieser Zeit die Museen im modernen Sinne, eine Zeit, in der
auch die Produktionssphäre industriell revolutioniert wird.
Ungeheure Reichtümer werden hervorgebracht, aber im Gleichschritt
auch ungeahnte Zerstörungen im globalen Maßstab verursacht.
Das Museum scheint ein Ort zu sein, an dem vornehmlich die Reichtumsproduktion
imitiert wird. Valéry hat das Museum als Akkumulationsmaschine
charakterisiert: Was auch geschehe, ob Künstler Produzieren
oder reiche Leute sterben, es kommt den Museen zugute, die wie
die Spielbanken nicht verlieren können.9
Dieser
Vergleich ist mehr als eine Analogie. Gewinn und Gewinnen und
ihre Präsentation in Form des Ausstellungswesens haben in
der Tat einen gemeinsamen historischen Kontext. Walter Benjamin
notiert in seinem Passagen-Werk lapidar: "Die Ausstellungen
der Industrien als geheimes Konstruktionsschema der Museen
die Kunst: in die Vergangenheit projizierte Industrieerzeugnisse."
Und er fügt eine historische Beobachtung an: "Die erste
Londoner Ausstellung vereinigt die Industrien der Welt. Im Anschluß
daran Gründung des South-Kensington-Museums."10 Dieser
Aussage ist hinzuzufügen, daß Prinz Albert nicht nur
Anreger der Industrieausstellung im Crystal Palace war,
sondern die Gründung des South-Kensington-Museums mit Hilfe
des Gewinns dieser Ausstellung bewerkstelligte.
Es
hat den Anschein, als gingen Produktion und Konservation eine
Allianz ein, als träfen sich die Reichtümer aus Vergangenheit
und Zukunft zur Selbstglorifizierung.
Auch
wenn eine phänotypische Äquivalent bestehen mag, letztendlich
liegen Industrieausstellung oder Kaufhaus und Museum an gegensätzlichen
Polen. Der eine Ort ist ein Durchgangslager für die Begierden,
hier nimmt man von den Dingen, um an ihnen Kost zu haben. Das
Museum hingegen versammelt die "Aschen"11, die diese
Begierden hinterlassen haben: Ort der Splittersachen, des Abgefallenen
und Abgegriffenen, der Reste und des Verdauten. Das erwähnte
South-Kensington-Museum mag als Paradigma für diesen Sachverhalt
dienen. Am Beginn war es konzipiert worden als ein Museum für
das Handwerk, also genau für jenen Wirklichkeitsausschnitt,
der durch die Industrie zum Verschwinden gebracht werden sollte.
Die Industrie finanzierte die Historisierung und Ästhetisierung
ihres Opfers. So werden Trophäen gemacht, exponiert und gleichzeitig
der Schatten darüber geworfen, daß zwischen den Produktionsorten
und den Bewahranstalten die Brandstätten liegen, die Kriegsschauplätze,
die Jagdgründe. Der Verdacht liegt nahe, daß die Historische
Genese des Museums nicht nur in einer einfachen Kompensation für
gesellschaftliche Zerstörungskräfte begründet ist,
sondern darüber hinaus die Entlastungsfunktion des Vergessenmachens
der Zerstörung erfüllt. Zwar ruft das Museum ständig
etwas in Erinnerung, indem es das Abgelebte ausstellt, doch käme
es vielleicht darauf an, das Nicht-Ausstellbare, die Lücke,
den nicht gefundenen Splitter, das Verbrannte, ganz zur Asche
gewordene und Ungerettete zum Gedenken zu bringen. Was ist dieser
Körper, der in der Rüstung steckte, dieser tierische
Leib, der das Gehörn trug? Es mag eine paradoxe Forderung
darin liegen, das Nicht-Nennbare aufheben zu sollen, doch besteht
ohne sie die Gefahr einer Heroisierung des Erinnerns. Damit ist
das Sammeln eines Wissens gemeint, das sich reich und überlegen
dünkt. Das Wissen macht nicht denkbar, daß das Leben
in der Einzigartigkeit des Objekts bestand, die auf ewig verloren
und unvorstellbar ist. Die heroisierende Erinnerung weicht der
Vergeblichkeit aus. Indem sie die losgebrochenen Dinge inventarisiert
und als "Kostbarkeiten in die nüchternen Gemächer
unserer späten Einsicht"12 einlagert, wiederholt sie
den Gestus des Sieges, der schon einmal das Schicksal der Dinge
bestimmte. Die Buchstaben, die dem aufgerichteten Bild angeheftet
werden, machen die Erinnerung zu einer habhaften Sache.
Ernst
Jünger, der Krieger, Schriftsteller, subtile Jäger und
Sammler hat diesen zweiten Sieg durch die Insprachenahme deutlich
ausgedrückt: "Auch die Beschreibung gehört zur
Jagd. Sie krönt sich in der Benennung, die einer Handauflegung
gleicht. Ein neuer Name wird in Linnés großes Jagdbuch
eingetragen und mit dem eigenen verknüpft. Er bleibt dort
als Trophäe . [...] Höchst ungern läßt der
Subtile Jäger sich die Autorenschaft bestreiten; die Verleihung
von Namen ist sein Regal, sein Waidrecht, um das er, ohne es zu
merken, auf absonderliche und oft auch unduldsame Weise kämpft."13
Den
Sieg nehmen, das Namenlose bedeutsam machen und Ordnung herstellen
gehören einer Praxis an, die das andrängende Chaos und
das Rauschen vor der Tür hält. Man baut sich einen Raum,
ein Innen, wo die Objekte als beherrschte endgültig und begrenzt
ihren Platz finden. Alles wird Stilleben, nature morte.
"Die Natur", schreibt Jünger, "wird auf eine
neue Weise wohnlich und heimatlich. Ein vom Geist geschaffener
Trophäensaal reiht sich an den anderen."14
Doch,
so bleibt zu fragen, was das für eine Heimstätte ist,
in der die Objekte Ornament und Triumphzeichen sind?
Melancholie
Wenn die Bewegung der Trophäsisierung von der Zerstörung
zur Montage der Reste geht, vom Verlust zur Ordnung, dann haben
wir es unweigerlich mit der Spannung zwischen Triumph und Trauer
zu tun. Wenn Behauptung aufgestellt wird, daß die Trophäe
eine Ästhetisierung der Melancholie ist, dann ist damit nicht
gemeint, daß die Melancholie zu ihrem angemessenen Ausdruck
gebracht wird. Eher ist von einer Ummantelung und Unsichtbarwerdung
zu sprechen, von einem schönen Schein, mit dem sie bekleidet
wird. Die Ästhetisierung bewirkt eine Verstellung ins Gegenteil,
bewahrt aber gleichzeitig den unmerklich gewordenen Affekt in
ihrem Inneren auf. In Anlehnung an Freud möchte ich dieses
Verhältnis als manisch-melancholischen Komplex ausweisen.15
Nach
Freud ist der Triumph ein manischer Gegenwurf zur melancholischen
Verstimmung. Der Melancholiker ist bekanntlich jemand, der eine
Beziehung zu einem vernichteten Objekt unterhält. Er begräbt
das Bild des toten Objekts in seinem Inneren und trägt es
mit Traurigkeit jedoch ohne Trauer mit sich durch das Leben. Er
lebt in dieser Traurigkeit, unwissend, was ihn in diese Stimmung
bringt; er hat kein Symbol für seinen Affekt. Der Umschwung
zur Manie, zu Freude und Jubel, bildet nur scheinbar die Ablösung
von dem unsichtbaren Totenbild. Der rasche Wechsel von einem Objekt
zum Nächsten ist lediglich die verzerrende Gegenhandlung
zur zwanghaften Verknüpfung mit einem Objekt. Die behende
Gleichgültigkeit mimt den Sieg über das Objekt und vergißt
die Erledigung der Trauerarbeit für das Objekt. Julia Kristeva
sieht zum Beispiel im alltäglichen Terrorismus, im Amoralismus
und der Bereitschaft zum Quälen eine manische Abwehr gegen
die Depression.16 Abwehr heißt: Der Manische weiß
nicht, warum er mit einem Aufwand an Gewalttätigkeit den
Verlust und die Trauer über den Verlust gleichsam mit einem
Schlage aufheben möchte und in dieser Geste Verlust und Trauer
aufs neue einfordert.
Die
Trophäe als Symptom für den manisch-melancholischen
Komplex repräsentiert an ihrer Oberfläche die Manie
mit ihrem Triumphgefühl. Der Manische umstellt sich mit starren,
leblosen Lust-Objekten, mit Besitzdingen. Mrs. Gereth, die Sammlerin
in Henry James Roman The Spoils of Poynton, zeigt
diese manisch-megalomanische Symptomatik: "Es ging nicht
um die nackte Liebe zum Besitz [...] es war die Vorstellung von
Schönheit, jener Schönheit, die Mrs. Gereth so geduldig
und mit allen Fasern ihres Seins geschaffen hatte. Blaß,
aber doch strahlend [...] pflanzte sie sich wie eine Heldin auf,
die eine Schatz bewacht. [...] Ihr Fanatismus verlieh ihr etwas
Erhabenes [...] Sie bewegte sich auf dem Anwesen wie eine regierende
Königin oder ein Stolzer Eroberer."17
Gewiß
gehen auch wir dann und wann mit einem ähnlichen Gefühl
durch ein Museum oder eine Ausstellung. Die Dinge sind für
uns aufgereiht, in Ordnung gebrachte Augengeschenke, um uns ihre
Schönheit mitzuteilen. Die Museumsbauten der letzten Jahre
bestärken diese Tendenz; sie sind lichte Orte für die
festliche Zusammenkunft der Sieger. Im Inneren der Trophäe
und des Museums bleibt jedoch die Geschichte der Verlorenheit,
der Opferung und der zerbrochenen Bedeutung erhalten.18
In
John Fowles Roman The Collector betrachtet eine junge
Frau eine Schmetterlingssammlung. Stolz erklärt der Sammler
die verschiedenen Arten. Die Frau jedoch versteht zu sehen und
sagt: "Theyre beautiful. But sad."19
Ein
einfacher Satz, der die gemischten Gefühle im Angesicht einer
ambivalenten Sache ausspricht: Eros in der Schönheit des
Ornaments, verlorener Eros, Schwermut in der Starre der aufgereihten,
geordneten und bezeichneten Objekte. Die Schönheit als Bild
verspricht einen Genuß, der sein Objekt nicht finden wird.20
Die (scheinhafte) Eindeutigkeit der Trophäe als Siegeszeichen
hat Abwehrfunktion gegen die Sinnleerstelle, von der noch ihr
Fragmentcharakter sinnlichen Eindruck gibt. Chaos und Nicht-Sinn,
die dem Verlust notwendig entspringen, werden nicht bearbeitet,
sondern in einem Kunststück gebannt. Das Ding, das zum Bild
wird und damit eine illusionäre Ganzheit zugesprochen bekommt,
ähnelt dem Bild, das der Melancholiker in sich birgt. Das
einstmals lebendige Objekt ist erstarrt und ganz zum kryptischen
Symbol der Haß-Liebe und Halbtrauer geworden. Die Doppeldeutigkeit
hat darin ihre Intensität, daß das Bild sowohl Hingabe
als auch Herrschaft anzeigt. In der Melancholie wird das Bild
eingeschlossen und gleichzeitig ihm eine Unterwerfungsmacht zugeeignet.
Benjamin formuliert die Ambivalenz ähnlich: "Die Melancholie
verrät die Welt um des Wissens willen. Aber ihre ausdauernde
Versunkenheit nimmt die toten Dinge in ihre Kontemplation auf,
um sie zu retten."21
Allerdings
wird der Haßanteil in diesem Mischverhältnis versteckt;
er bleibt in der Vorzeitigkeit, als die Zerstörung wütete,
und im ästhetisierenden Festhalten verborgen. Freud merkt
an, daß das Festhalten am Objekt einer Abwendung von der
Realität gleichkommt. In dieser Figur der Fixierung bleibt
die Herrschaft und Aggressivität gegenüber dem Objekt
imaginär erhalten, das real längst nicht mehr existiert.
Und Herrschaft ist gewiß kein Zeichen von Liebe. Die museale
Trophäe imitiert die Fixierung: Der verlorenen Wirklichkeit
wird durch die Erhaltungsarbeit am Splitter und durch die Ikonisierung
der Schein der Kostbarkeit und der rühmlichen
Erinnerung umgelegt. Die museographische Melancholie mißachtet
den Sinnlichkeitswert der Sache, sie achtet allein das Bild der
Sache.22
In
dem Vorgang der Ästhetisierung und Trophäisierung liegt
eine Handlung vor, die den Verlust, die Abwesenheit zu verleugnen
sucht.23 Solange etwas Da ist, braucht man sich nicht um
das Fort zu bekümmern. Schuld und Angst werden von
der beruhigenden Präsenz überstrahlt. Der Affekt bleibt
hinter manisch-glänzenden Mauern versteckt. Ruth Klüger,
die als Kind die Realität der KZs kennenlernen mußte,
beschreibt den magischen Akt der Schreckensbannung in den musealisierten
Konzentrationslagern als ein Gefühligwerden, als narzißtisches
Gruseln: "Es liegt dieser Museumskultur ein tiefer Aberglaube
zugrunde, nämlich daß die Gespenster gerade dort zu
fassen seien, wo sie als Lebende aufhörten zu sein. Oder
vielmehr kein tiefer, sondern eher ein seichter Aberglaube, wie
ihn auch die Grusel und Gespensterhäuser in aller
Welt vermitteln. Ein Besucher, der hier steht und ergriffen ist,
und wäre er auch nur ergriffen von einem solchen Grusel,
wird sich dennoch als ein besserer Mensch vorkommen. Wer fragt
nach der Qualität der Empfindungen, wo man stolz ist, überhaupt
zu empfingen? Ich meine, verleiten diese renovierten Überbleibsel
alter Schrecken nicht zur Sentimentalität, daß heißt,
führen sie nicht weg von dem Gegenstand, auf den sie die
Aufmerksamkeit nur scheinbar gelenkt haben, und hin zur Selbstbespiegelung
der Gefühle?"24
Öffnung
Ich frage mich, ob es eine museale Ästhetik oder Nicht-Ästhetik
geben kann, die nicht harmonisiert, intellektualisiert oder pädagogisiert,
die vielmehr für die tragischen Erfahrungen und schmerzhaften
Affekte, für das Unennbare Öffnungen läßt.
Vielleicht wäre die Konzeption eines kritischen
Museums diejenige, die die unterdrückte Melancholie spürbar
machte und zwar bis zur Unerträglichkeit.
Aber
noch leben wir mit Museen, immer mehr Museen, die den Wohlstand
und das Wissen der Kultur dokumentieren. Wenig tritt an diesen
Orten davon hervor, daß auch die Angst vor dem Verlust in
ihnen haust. Die Musealisierung, die das kriegerische und Katastrophische
der Gesellschaft zu parieren sucht, bleibt ihr auf diese Art manisch-melancholisch
verbunden. Die zwanghafte Zerstörungswut zieht zwanghafte
Aufhebesucht nach sich. Auf der Strecke bleibt die Freiheit zu
erinnern und zu vergessen. Es tobt ein fetischistischer Kampf
um die Dinge. Der Raum zwischen Konsumieren und Konservieren wird
stets enger gehalten, was Kontemplation und Handlung in der Welt
den Garaus macht. Es hat den Anschein, als lebten wir in einem
Wahn der Bewahrung, der noch das Kleinste und Unbedeutenste zum
Zeichen dafür macht, daß es Existenz gab. Angestellte
des historischen Museums in Berlin wurden nach Öffnung der
Berliner Mauer ins Feld geschickt, d.h. auf den von Kunden belebten
Kurfürstendamm, um den Menschen aus Ost-Berlin Alltagsgegenstände
wie Einkaufsbeutel oder Stadtpläne abzujagen. Während
Geschichte gelebt wurde, begann man schon damit, die noch nicht
eingetreten Vergangenheit zu sichten und vorzubereiten. Eine ähnliche
Geschichte erzählt Walter Benjamin von dem Sammler Pachinger,
der kaum weiß, "wie die Dinge im Leben stehen".
Dieser Pachinger ging eines Tages über den Stachus. Er bückt
sich, um etwas aufzuheben: "Es lag da etwas, wonach er wochenlang
gefahndet hatte: der Fehldruck eine Straßenbahnbilletts,
das nur für ein paar Stunden im Verkehr gewesen war."25
Das
sind fürwahr melancholische Szenen: Weil alles vorbeigeht,
will man nichts liegen lassen. "Melancholie", schreibt
Alain Juranville, "gibt es nur, weil die Freiheit ausgeübt
werden kann und weil zugleich das Subjekt zögert, sich in
seiner Wahl für die Freiheit zu entscheiden und für
alles Zeiten die Prüfung zu fixieren, unter der es auch so
zu leiden hat."26
1
Zitat aus dem Film Max Ernst - Ein Selbstproträt aus
dem Jahre 1967.
2 dpa-Meldung vom 9. März 1991.
3 Siehe Oskar Negt/Alexander Kluge, Gechichte und Eigensinn,
Frankfurt/M. 1981, 855.
4 Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf Andreas Jozef
Janssen, Het Antieke Tropaion, Ledeberg-Gent 1957.
5 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Bd. 1, Frankfurt/M.
1983, 271.
6 Otto Fenichel, "Über Trophäe und Triumph", Ausätze, Bd. 2, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1985, 172.
7 Bruce Chatwin, Utz, London 1989, 21. (Übersetzung
des Zitats von mir.)
8 Ernst Jünger, Essays IV: Subtile Jagden, Sämtliche
Werke Bd. 10, Stuttgart 1980, 113.
9 Siehe Theodor W. Adorno, "Valéry Proust Museum", Prismen, Frankfurt/M. 1976, 218.
10 Benjamin, a.a.O. , 239.
11 Jacques Derrida, Feuer und Asche, Berlin 1988.
12 Walter Benjamin, Denkbilder, Frankfurt/M. 1974, 100.
13 Jünger, a.a.O., 29.
14 Jünger, a.a.O., 110.
15 Sigmund Freud, "Trauer und Melancholie", Sudienausgabe
III, Frankfurt/M. 1975, 193-212.
16 Julia Kristeva, "On the Melancholic Imaginary", Shlomith
Rimmon-Kenan (ed.), Discourse in Psychoanalysis and Literature,
London-New York 1987, 121.
17 Henry James, Die Schätze von Poynton, Köln
1977, 53-54.
18 Siehe Sarah Kofman, Melacnholie der Kunst, Graz-Wien
1986, 21-22.
19 John Fowles, The Collector, London 1974, 57.
20 Mit Blick auf den magischen Aspekt der Trophäe gibt Fenichel
folgende psychoanalytische Deutung der Ambivalenz: "Solange
man die Trophäe bei sich im Haus bewahrt, hat man damit den
Mächtigen bei sich im Haus und zwingt ihn, einen zu beschützen.
Aber wie hinter der friedlichen <Partizipation> immer die
ursprüngliche Raubabsicht lauert, so ist auch dieser Schutz
immer an Bedingungen geknüpft, und es droht, daß die
dahinter verborgene tiefere Schicht, die <Rache des Introjekts>
durchbricht." Fenichel, a.a.O., 177.
21 Walter Benjamin, Der Usprung des deutschen Trauerspiels,
Frankfurt/M. 1978, 136.
22 Siehe Henri Pierre Jeudy, Die Welt als Museum, Berlin
1987, 55-56.
23 Siehe Kristeva, a.a.O., 105.
24 Ruth Klüger, weiter leben, G öttingen 1992,
76.
25 Benjamin, Passagen-Werk, 275.
26 Alain Juranville, Lacan und die Philosophie, München
1990, 553.
© Gunnar Schmidt 2003 |

|