Begriffe
Der etymologische Ursprung des Begriffs Medienfassade
ist nicht genau zu bestimmen; doch beginnt er um 1990, allmählich
an Popularität zu gewinnen.[1] Seine Herkunft aus der zweiten
Hälfte der 1990er Jahre ist nicht verwunderlich, war dies
bekanntlich die Zeit, in der der Begriff des Mediums durch die
Verbreitung des Internets und die Computerisierung weiter Lebensbereiche
ubiquitär wurde. Aufgrund der historischen Diskursbindung
verstehen wir darunter vornehmlich vielfältige Formen von
informationstechnologisch gesteuerten Monumental-Displays, die
symbiotisch mit Architektur verbunden sind. So neu die medientechnischen
und -ästhetischen Sachlagen sind, so alt ist die Sache
selbst. Seit den zwanziger Jahren gibt es eine wechselvolle
Begriffsgeschichte, die auf das Verhältnis von Medium und
Architektur rekurriert:
Lichtarchitektur (1927, Joachim Teichmüller)[2]
architecture of the night (1930, Raymond Hood)[3]
elektrographische Architektur (1969, Tom Wolfe)[4]
architecture of communication (Robert Venturi, 1972)[5]
visual environment (Robert Venturi, 1995)[6]
electronic gothic (Paul Virilio, 1998)[7]
iconographic information surface (2006, Lev Manovich)[8]
Weitere Begriffe vervollständigen das Arsenal an Be- und
Zuschreibungen: active façade, mediale Haut[9], intelligente
Haut, digitale Landschaft, Mediatektur[10].
Wie man bereits beim schnellen Lesen feststellen kann, sind
diese Begriffe Zeitsignaturen einerseits, fokussieren andererseits
inhaltlich auf einzelne Aspekte, die am Gesamtphänomen
jeweils herausgestellt werden.
Was die Medienwissenschaft betrifft, so hat erst seit wenigen
Jahren eine Beschäftigung mit Medienfassaden eingesetzt,
wobei vor allem die Dimension des kulturellen Wandels reflektiert
wird, der mit den öffentlichen elektronischen Displays
einhergeht.[11] Ein Ansatz für eine Ordnung in dem unübersichtlichen
Feld an Verwendungen und ästhetischen Realisationen fehlt
bisher. Was die Archtitekturhistoriografie betrifft, so wird
dort zur Bildung von Klassen vor allem zwischen Techniken der
Beleuchtung – wie z.B. Konturbeleuchtung, Flutlicht, kinetisches
Licht, Spiegelungen, LED-Screen – und den Zwecken der
Medialisierung unterschieden: Kaufhäuser, Kinos, Bürogebäude,
Tankstellen etc.[12]
Nun könnte man schon aus diesem kurzen Anriss die skeptische
Frage danach ableiten, welche Qualitäten gegeben sein müssen,
um überhaupt von einer Medialisierung sprechen zu können.
Denn fast von Beginn an gibt es eine Zweitteilung: die luminale
Fassade einmal als Fläche für Werbebotschaften, das
andere Mal als ornamentale und immaterielle vierte Haut.[13]
Allerdings wäre es zu einfach, den offenkundigen Botschaftsaspekt
auf die Seite der Medialisierung, die bloße Lichtgestaltung
auf die des architektonischen Designs zu schlagen. Schon der
Begriff Fassade trägt den Medialitätscharakter in
sich, verweist er doch – etymologisch – auf das
Gesicht, die Miene. So können wir in Übertragung sowohl
von einer Physiognomie und sogar dort, wo Bewegung ins Spiel
kommt, von einer Pathognomie der Fassade sprechen. Die Fassade
wäre in diesem Sinn die Ausdruckseite dessen, was im Inneren
seine wesenhafte Entsprechung hat – designerisch, lebensweltlich
oder zweckhaft. Der etymologische Aspekt mag im Übrigen
dafür verantwortlich sein, dass es eine Reihe von künstlerischen
Fassadeninterventionen gab, die das Gesicht thematisierten.
(Abb. 1–4)
Abb.1: Pipilotti Rist:Open My Glade, Times Square, 2000
Abb. 2. Bernd Hiepe: Berlin [sunrise] & Tokyo Star, 2006
Abb. 3. united:realities:Kunsthaus Graz , 2003
Abb. 4: association APSOLUTNO:VEAG media façade, 1999
Fragt sich jedoch, ob durch Medialisierung diese einfache Relation
zwischen innen und außen aufrechterhalten, gestärkt
oder unterlaufen wird. Mit dieser Frage deutet sich an, dass
ich von einer kommunikationsorientierten Perspektive ausgehen
möchte, die Gelegenheit bietet für eine medienwissenschaftliche
Klassifikation, aber auch Paradoxien des Medialen im architektonischen
Kontext deutlich macht – Paradoxien, die am Ende sogar
zu der Frage führen, ob wir es unter den Bedingungen digitaler
Vernetzung und Symbolverarbeitung überhaupt noch mit Fassaden
im Sinne von Face und Interface zu tun haben.
Im Folgenden sollen in einem Schnelldurchlauf eine Reihe von
Fassaden vorgestellt werden, um an ihnen exemplarisch vier Modi
der Kommunikationsgestaltung zu veranschaulichen. 2004 hat Joachim
Sauter ebenfalls vier Kategorien vorgeschlagen, er nennt sie
Bespielungszustände, die sich inhaltlich mit den hier vorgeschlagenen
zum Teil decken.[14]
1. Sender-Rezipient-Modus („autoaktiver Zustand“
nach Sauter)
2. Interaktiv-Modus („interaktiver und partizipativer
Zustand“ nach Sauter)
3. Environment-Modus („reaktiver Zustand“ nach Sauter)
4. Organizistischer Modus
Sauters eher technisch motivierte Beschreibung soll durch die
Analyse der expliziten und impliziten Kommunikationslogiken
angereichert werden. Daraus erklärt sich die von Sauter
abweichende Begriffswahl.
Sender-Rezipient-Modus Ein avanciertes Beispiel für den traditionellen
Sender-Rezipient-Modus ist der T-Mobile Hauptsitz mit angeschlossenem
Firmencampus in Bonn. (Abb. 5)
Abb. 5. ag 4:T-Mobile, Bonn, 2004
Technisch gesehen handelt es
bei dieser Medieninstallation um die erste transparente Medienfassade
überhaupt, d.h., mit ihr ist nun ein freier Blick von innen
nach außen möglich. Auch ist sie aufgrund der Lichtgebung
mit LEDs am Tag nutzbar, durchbricht also die traditionelle
Nachtarchitektur. Die Fassade kann mit aktionsbezogenen Videos
oder Realtime-Übertragungen (z.B. von Sportevents) bespielt
werden, womit inhaltlich eine enorme Flexibilität vorliegt.
Insgesamt dient die Fläche ausschließlich der Markenpräsentation.
Hier liegt also eine simple Relation zwischen der Aussage- und
Gebäudefunktion vor. Darüber hinaus gewinnt in diesem
Falle die luhmannsche Unterscheidung von Form und Medium eine
doppelte Sinnkoppelung – an die der Theoretiker allerdings
nicht gedacht haben mag: So sehr die Inhalte die geheimnislosen
Botschaften des Senders transportieren – das, was Luhmann
Form nennt –, so sehr verweist jede Präsentation
unabhängig von ihrem Inhalt auf die dahinterliegende Technik,
auf das Mediale als Demonstration des Innovativen. Beides ist
Sinnträger für ein Unternehmen, das als Anbieter für
Multimedia-Services im Bereich Mobile auftritt. Content und
Technologie gemeinsam bilden hier im Kreuzpunkt der Medienfassade
ihren Sinn der Unternehmensrepräsentanz aus. Medienhistorisch
liegt T-Mobile damit allerdings ganz uninnovativ in einer Tradition,
die bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht und
die bis heute wirkmächtig geblieben ist.
Als Beispiele aus der Traditionslinie sind das Las-Vegas-Hotels
The Mint (Abb. 6) aus der 1980er sowie als ein Salamander-Geschäft
(Abb. 7) aus den 1920 Jahren anzuführen:
Abb. 6. The Mint, Las Vegas, c. 1980
Abb.7. Salamander-Geschäft, Berlin,
20er Jahre
Die Marke wird
als weithin sichtbares Licht mit einer Aura des Wunderbaren
versehen. Damit vollzieht sich ein Umschlag innerhalb der Kommunikation,
die nicht mehr nur auf den benennbaren Inhalt der Marke beschränkt
bleibt. Um zu verdeutlichen, was gemeint ist, kann ein Blick
auf das Gebäude der Kooperative De Volharding von 1928
dienen. (Abb. 8)
Abb. 8. J.W.E. Buijs, J.B. Lürsen:De Volharding, Den Haag, 1928
An diesem Gebäude wurde nicht allein die
Wortmarke inszeniert, die ganze Fassade ist mit Text bestückt,
der über die Vorteile einer Mitgliedschaft in der Kooperation
informiert. Als Hintergrund fungiert eine Lichtarchitektur,
die inspiriert ist von der Gegenstandslosigkeit des russischen
Konstruktivismus. Mit ihr kommt eine Dramatik ins Spiel, die
zwischen Dekoration und sublimer Modernitätsproklamation
angesiedelt ist. Der deutliche Botschaftsaspekt wird also von
einer avantgardistischen Geste begleitet, die eher auf Empfindung
als auf Verstand ausgerichtet ist. Als zeitgenössische
Stimme ist Walter Benjamin mit zwei Bemerkungen zu zitieren,
die aus dem selben Jahr (1928) stammen. In seinem Buch Einbahnstraße äußert er sich über das Veralten des Buches
und das moderne Schicksal der Schrift im Film und in der Reklame,
in denen die Sachlichkeit verabschiedet und die Schrift einer
neuen "exzentrischen Bildlichkeit" ausgesetzt wird.
Und er beantwortet die Frage, was die Reklame der Kritik überlegen
macht, mit der Bemerkung: "Nicht was die rote elektrische
Laufschrift sagt – die Feuerlache, die auf dem Asphalt
sich spiegelt."[15] Das, was auf ersten Blick als triviale
Werbung erscheint und auf Sinn-Konsum abgestellt ist, erscheint
bei zweitem Blick als kontaminiert von einer Abstraktion, die
einen „»ästhetischen« Konsum“[16]
einfordert. Die veranschlagte grundlegende Sender-Rezipienten-Konstellation,
die einem einfachen Kommunikationsmodell entnommen ist, genügt
als Beschreibung der intendierten Fassadenfunktion. Gleichzeitig
ist darauf zu beharren, dass die Verlebendigung oder gar Beseelung
der Fassade mit Licht, Bewegung, Bildlichkeit und monumentaler
Verräumlichung der Schrift etwas transportiert, das sich
der Kommunikationslenkung entzieht. Die deutliche Ausstellung
einer Sprachlosigkeit unterhalb einer semiosis bei
diesem Gebäude ist ein weiterer Traditionszug, den ich
am Ende noch einordnen werde.
Interaktiv-Modus Eine seit wenigen Jahren vermehrt eingesetzte
Methode der Aufmerksam-keitsgenerierung ist die Interaktivierung
des Rezipienten. Drei Beispiele mögen wiederum genügen,
um die Kontur dieser Kommunikationsform zu verdeutlichen:
2006 veranstaltete Disney am Times Square eine Fassadenshow
mit Megaposter, Pyrotechnik, Sound und Akrobaten, um für
Disney’s Animal Kingdom in Florida zu werben. In der Mount-Everest-Szenerie
spielte der Yeti eine entscheidende Rolle: Zuschauer konnten
via Handy in Realzeit die Augen des Yeti zum Glühen bringen,
wenn sie eine SMS mit dem Inhalt "4YETI" versendeten.
(Abb. 9)
Abb. 9. Walt Disney:"Everest in the City", N.Y., 2006
Diese äußerst simple Spielmechanik hat Yahoo bereits
zwei Jahre zuvor mit einem Autorennspiel übertroffen. Ziel
war es, den Autobereich von Yahoo zu bewerben. Ebenfalls per
Funktelefon konnten hier zwei Spieler das im öffentlichen
Raum darbieten, was bis dahin dem engen Bereich des Desktop
vorbehalten war.
Die Übertragung bekannter Interaktionsformen vom Desktop
auf die öffentliche Bühne hat auch Nike vorgenommen,
als das Unternehmen 2005 den Schuhkonfigurator der Website auf
den Videoscreen von Reuters transferierte. (Abb. 10) Wieder
per Mobile konnten Passanten auf der Straße ihren Wunschschuh
customizen. Nach der Konfiguration wurde dem User eine SMS mit
Bild des Schuhs und Link zur Website gesendet, wo er den Schuh
kaufen konnte.
Die Idee der Interaktivität ist offenkundig: Statt mögliche
Irritation über unerwünschte Werbebotschaften zu erzeugen,
wird dem Nutzer ein kontrollierter Erfahrungsraum angeboten
– was Inhalt, Zeitpunkt und Dauer der Rezeption betrifft.
Gleichzeitig wird durch die Partizipation der Öffentlichkeit
ein imaginärer Distributionseffekt erzielt: Der User soll
in jenen illusorischen Kosmos geführt werden, wo er sich
als sich selbst ermächtigendes, realitätssteuerndes
Subjekt erfährt. Trotz dieser Ermächtigungsstrategie
zeigen alle Beispiele, dass der Initiator die Kommunikationsstruktur
und die Botschaft vorgibt. Das, was mit den neuen Medien entstand,
die technologische und imaginäre Verfügungsausweitung
des Nutzers vom bloßen Rezipienten zum Symbolproduzenten
und -distribuenten, ist im Bereich der kommerziellen Kommunikation
genau die Problematik, die hier deutlich wird: Es müssen
Anreize der Selbstverfügung und gleichzeitig Strukturen
der Machtbegrenzung eingezogen werden. Hier zeigt sich die Ambivalenz
von Technikpotenzial und Kommunikationsfunktion: Letztlich verbleibt
der Interaktiv-Modus im Wirkungsbereich der einfachen Sender-Empfänger-Logik,
der von den Inhabern der neuen Technologien vorgegeben wird.
Initiativen von Vodafone und T-Mobile, bei denen Botschaften
oder Bilder per Handy auf ein Fassadendisplay geschickt werden
konnten, sind nach kurzer Zeit wieder eingestellt worden. Die
Gründe dafür sind leicht auszudenken.
Environment-Modus Grundsätzlich bestimmt sich dieser Modus
durch den Einsatz von Sensoren, die Reize aus der Umwelt aufnehmen,
die dann digital prozessiert werden, um schließlich als
visuelle Signale auf der Medienfassade zu erscheinen. Diese
technische Struktur wurde in jüngster Geschichte sowohl
für einfache aber wirkungsvolle Kommunikationskonzepte
benutzt, als auch für ästhetisch ambitionierte Architekturvorhaben
funktionalisiert. Zu den illustrativen Inszenierungen gehört
der Entwurf von ag4 für das Kongresszentrum in Zürich
(Abb. 11):
Abb. 11. ag 4:Kongresszentrum, Zürich, 2004 (Wettbewerbsentwurf)
Ein simulierter Spinacker mit Werbebotschaften kann
nicht nur rechnergestützt aufgezogen und eingeholt werden,
er reagiert auf aktuelle Windverhältnisse in der Stadt.
So bläht er sich bei starkem Wind prall auf oder scheint
bei Flaute schlaff an der Wand zu hängen. Ähnlich
kann das aktuelle Coca-Cola-Billboard von 2003 am Piccadilly
Circus reagieren: Regnet es, zeigen sich dicke simulierte Regentropfen
auf der Fläche, herrscht Wind, scheint sich die Oberfläche
zu kräuseln. (Abb. 12)
Solchen gimmick-artigen Inszenierungen stehen nun Ästhetiken
gegenüber, die auf die Evokation numinoser Präsenz
zielen. Das inzwischen legendäre Grundmodell ist der Tower
of Winds von Toyo Ito aus dem Jahr 1986. (Abb. 13) Die Fassade
dieses Turms konnte zwischen Opazität und Transparenz changieren,
und von ruhigem Fließen zu stroboskopischer Hektik wechseln.
Die abstrakten Lichtformationen waren Kodierungen von Windrichtungen
und Windstärken sowie von Geräuschen aus dem umfließenden
Verkehr.
Eben dieser Logik der Übersetzung zwischen Environment
und Medienfassade folgen auch die Gebäude der Verbundnetz
AG und eines Hotelentwurfs von Enric Ruiz: Das Gebäude
der Verbund AG ist mit Leitsystemen ausgestattet und kann auf
verschiedene Außenverhältnisse wie Tages- und Jahreszeit,
Sonnenstand, Wind oder Regen reagieren. [17] (Abb. 14) Das Hotel,
eingekleidet mit einem media mesh, zeigt in der Nacht eine bestimmte
Farbe und Helligkeit, die mit der Energie korreliert, die während
des Tages durch Sonneneinstrahlung eingesammelt wurde.[18] (Abb.
15)
Abb. 15. Enric Ruiz: Hotel mit energy mesh, 2006 (Modell)
Alle drei Erfindungen zeichnen sich im Vergleich zu den vorhergehenden
durch eine grundlegend neue Kommunikationslogik aus: Einerseits
gibt es eine maschinelle Kommunikation zwischen Umwelt und Gebäude
bzw. Fassade. Die nach außen projizierten visuellen Ereignisse
wiederum – allesamt durch gegenstandslose Konkretheit
gekennzeichnet – müssen nicht mehr als Botschaften
angesehen werden: Weder gibt es einen menschlichen Sender, noch
sind die in den visuellen Ereignissen symbolisierten Umweltsignale
für einen Beobachter decodierbar. Wenn der Begriff der
numinosen Präsenz für das Geschehen in diesen Medienfassaden
eingesetzt wurde, so war mit dieser hyperbelhaften Formulierung
genau dieser Sachverhalt gemeint: ein mediales Ereignis, das
bei aller Berechnung als unverständliches Mysteriosum auftritt,
das die Empfindungen wie die projektiven Wünsche der Betrachter
anspricht. Hier steht zur Ansicht, was als informationstechnologische
Naturierung bezeichnet werden kann.
Abb. 16. Michael
Silvers:Liquid Crystal Glasshouse, 2002–(Modellanimation)
Ein visionäres Projekt in dieser Hinsicht, das ein Gebäude
neben einer reaktiven Sensibilität zudem mit einem computerisierten
Autopoetismus ausstattet, ist das Liquid Crystal Glas House
von Michael Silvers.[19] (Abb. 16) Dieses Projekt stellt eine
Entwicklungsstufe dar, die zwischen environmentalen und organizitischem
Modus anzusiedeln ist.
Die Haut dieses Hauses, das in Kalifornien entwickelt wird,
besteht vollständig aus elektronischem Glas mit Flüssigkristallen.
Durch Schaltungen können diese Fenster bei Bedarf in opake
Wände umgewandelt werden. Relevant für den vorliegenden
Kontext ist die Animation dieser Fassade, die sie zu einer Art
Organismus werden lässt. Im Gebäude befindet sich
eine Reihe von Auslösemechanismen, die durch das tägliche
Aktivitäten Signale an die Fassade senden. Diese Interaktion
löst das Programm eines so genannten Zellularautomaten
aus, der ein rhythmisches Formenspiel auf der Hausoberfläche
erzeugt. Zellularautomaten werden vornehmlich von der naturwissenschaftlichen
Forschung genutzt, etwa um Zellbildung, Wachstum oder Selbstreproduktion
zu simulieren.
Anders also als im reinen Environment-Modus, wo zwischen Umwelt-
und Medienereignis eine einfache Referenz besteht, handelt es
sich beim Liquid Crystal Glas House um selbstorganisierende
Geometrien, die nicht vorhersagbar sind. Michael Silvers spricht
selbst von „unpredictable life“. Die Idee besteht
also nicht nur darin, das Leben im Haus über den Zellularautomaten
nach außen zu kommunizieren, sondern das Haus als Leben
kommunizieren zu lassen. Doch wie schon bei den Vorläuferbeispielen
wird Leben hier nicht durch morphologische Ähnlichkeit
erzeugt, was eine Anbindung an das Alltagsverständnis ermöglichen
würde, sondern strukturell durch emergente Bewegtheit und
Formen, die an Op-Art und Konkrete Kunst erinnern.
Abb. 17. Jean Nouvel:Torre Agbar, Barcelona, 2004
Auch wenn das konzeptuell begründete biologistische Paradigma
für den uninformierten Betrachter letztlich unverstanden
bleiben muss, hat es für Architekten offenbar eine gewisse
Attraktivität. Als prominenter Protagonisten ist Jean Nouvel
anzuführen. In einem Kommentar zum Torre Agbar in Barcelona
(Abb. 17), einem Bau, der nachts aus nichts als permanent wechselndem
Licht zu bestehen scheint, nimmt er Rekurs auf Metaphern der
Natürlichkeit und Organizität: „This tower is
a fluid mass that bursts through the ground like a geyser under
permanent, calculated pressure. [...] It is architecture of
the earth without the heaviness of stone, like a distant echo
of old Catalan formal obsessions carried by a mysterious wind
off the Monserrat.“[20] Dass in diesem Bau lediglich ein
Programm abläuft, also weder Außendektoren noch ein
Zellularautomat in Aktion sind, bezeugt, dass nicht die Technik
für eine Wahrnehmungsprägung entscheidend ist, sondern
die ästhetische Erscheinungsweise, die auf Geheimnishaftigkeit
zielt. Dass diese Enigmatik vielleicht nichts mehr sagen will,
sondern die Reaktion auf eine offene Zukunft ist, hat Jean Nouvel
im Kontext eines anderen Projekts zum Ausdruck gebracht: „We
can respond positively to an uncertainty by using its most positive
attribute, that is, mystery.“[21]
Was sich in diesen Worten als Lösung anbietet, ist eher
eine Frage: Wie können Medienfassaden in der Zukunft aussehen,
welche Funktionen erfüllen, welchen kommunikativen Anliegen
dienen? Der letzte zu behandelnde Modus repräsentiert keine
derzeit existierende Fassadenform. Das folgende Beispiel gibt
sich als wünschenswerte Zukunft aus – zumindest aus
Sicht einiger Designer, Ingenieure und Theoretiker. Organizistischer Modus Dass es mittlerweile eine Art Techno-Romantik
gibt, die eine digitale Natur autonomisieren möchte und
auf deren Basis forschungsbasiert utopistische Konzepte entwickelt
werden, hat Vera Bühlmann in einem Aufsatz nicht nur dargelegt,
sondern auch legitimiert.[22] An der Hochschule für Gestaltung
und Kunst in Basel wird an einem ökobiotischen Organismus,
kurz Oikoborg, gearbeitet. Mit Oikoborg ist in einem ersten
Schritt ein Haus gemeint, „which develops a proper individuality
over time, due to an own sensory system, intelligence, memory
and immune system“.[23] In einem zweiten Schritt, und
hier beginnt der visionäre Gehalt des Konzepts, sollen
mehrere Häuser miteinander in prozessierender Interaktion
gebracht werden, jedes Haus also Umwelt für ein anderes
Haus darstellen, im gleichen Zuge Signale empfangen und senden.
Sind es beim Liquid Crystal Glas House die einzelnen Fensterelemente,
die den Organismus bilden, ist es beim Oikoborg möglicherweise
der ganze Stadtraum, der als Fremdlebewesen auftritt. Bühlmann
spricht angemessen von trans-individuellen Haus-Wesen und companion
alien species. Auch wenn der Begriff nicht genannt wird,
das Konzept folgt der aktuellen Tendenz, technoide Schwarm-Kongregationen
zu simulieren oder zu emulieren. Aber was heißt es, einen
konvivialen Begriff wie companion alien zu prägen?
In welcher Hinsicht kann eine Fassade als Begleiter fungieren,
die sogar, wie es auf der Projekt-Website heißt, „die
Chance zum Aufbau einer emotionalen Verbundenheit“[24]
bieten und mit der man über ihre Fremdheit hinweg kommunizieren
können soll? Bemerkenswert an der Darstellung des Projekts
durch Bühlmanns ist es, dass man darüber kaum etwas
erfährt. So theoretisch synkretistisch und theoretisch
ausufernd sie das Konzept begründet, so sehr fällt
auf, dass sie die simple Frage nach dem Warum nicht stellt:
Warum sollen wir eine solche Welt der Organizität visionieren,
die lebendig aber in äußerster Künstlichkeit
dem Stadtbewohner gegenübertritt?
Zunächst ist festzustellen, dass damit ein grundlegender
Paradigmenwechsel formuliert wird. Robert Venturi, der mit seinem
Buch Learning from Las Vegas 1972 nicht nur grundlegend für
die Begründung der Postmoderne war, kann als genauer Diagnostiker
gegenwärtiger Zeichenwelt in der Stadt angeführt werden.
Seine Analyse betont den Zeichencharakter gegenüber der
raumstrukturierenden Funktion der Architektur. Die Displays
in ihrer Dichte und Chaotik gestalten eine visuelle Landschaft.
Der Times Square in New York kann exemplarisch für diese
„architecture of bold communication“ genannt werden.
Die Begriffe, mit denen er die Situation zusammenfasst, sind
Heterogenität, Kontradiktion und Komplexität. Ästhetisch
sind wir konfrontiert mit einer grellen Alltagspopkunst. Offenkundig
ist das oikoborgische Modell das Gegenmodell, welches auf Homogenität
und eine Ästhetik der Sprach- und Bilderlosigkeit setzt.
Mit Bilderlosigkeit ist nicht die Abkehr von der Visualität
gemeint, sondern die Abkehr von einem Bild, das repräsentativ
ist und identifizierbare Aussagen transportiert. Der Shift zum
Organizitätsparadigma ist durchgreifend: Das Ungeplante
und wild Wuchernde der Zeichen soll abgelöst werden durch
Schwarmbildung, Techno-Individuation und stumme Ikonizität.
Statt Pathos der Kommunikation und unernster Verkünstlichung
des Zeichens zum postmodernen Signifikanten soll nun transhumane
Lebenskünstlichkeit gelten.
Man kann den organizistischen Ansatz als Konzeptkunst verstehen,
in dem die Idee des Programms wichtiger als die Anschauung ist.
An dieser Stelle ist allerdings ein kritischer Einwand formulieren:
In dieser Technofantasie eines mathematisierten Lebenskonzepts
hallt ein alter Utopismus quasi-natürlicher Gesellschaftsorganisation
nach. Nicht Entscheidung, Kontingenz und die Melancholie der
Freiheit, sondern „intelligente“ Regelsysteme sind
dann strukturbildend. Damit muss ein Einwand gegen das Utopische
wiederholt werden: Utopien sind zumeist Totalitarismus-Entwürfe.
Die Realisierung einer Oikoborg-Stadt wäre auch nur unter
den Bedingungen privatwirtschaftlicher oder staatlicher Machtkonzentration
bezie-hungsweise massenorganisatorischer Gleichschaltung denkbar.
Mag sich im Diskurs zum Oikoborg eine romantische Sehnsucht
nach Ordnung und Natürlichkeit artikulieren, so nimmt sie
jedoch riskante kulturell-gesellschaftliche Implikationen nicht
in den Blick.
Faszination Erhabenheit Die Darstellung der vier medientechnischen
Dispositive, die gegenwärtige und zukünftige Modelle
kommunikativen Austauschs implizieren, hat nicht nur Differenzen
markiert, sondern auch deutlich gemacht, dass der ästhetische
Schein von Medienfassaden die techno-kommunikativen Dispositive
zu schwächen vermag. Ob eindeutige Botschaftsintention
oder kalkulierter Mystizismus, es gehört zu den Grundmerkmalen
der von Fassaden Medialisierungen, Faszination auszulösen.
Ob kommerziell, künstlerisch oder technisch motiviert,
immer tragen sie die Merkmale des Spektakels. Abschließend
soll dazu eine These formulieren, die die Medienfassade in einen
kulturgeschichtlichen Kontext setzt.
Zur formalen Charakterisierung der Fassade scheinen mir fünf
Begriffe zentral: Monumentalität, Immersivität, Bewegtheit,
Gegenstandslosigkeit und Lichtmagie. Monumentalität und
Immersivität liegen insofern beieinander, als es die Tendenz
gibt, öffentliche Räume medial auszustatten. Die Fremont
Street in Las Vegas, der Times Square in New York oder der Bezirk
Shibuya in Tokio können mit ihren son-et-lumiere-Inszenierung
zur Zeit als idealtypische Realisierung dieser Tendenz angesehen
werden. Diese Orte ziehen Touristen in großen Massen an
– und dies gewiss nicht, weil die Menschen dort die Logos
großer Unternehmen wie die Kinder nachbuchstabieren wollen.
Gegenstandslosigkeit und systematische Schwächung von Signifikatswirkungen
zugunsten einer Versinnlichung des Signifikanten sind hier Strukturmerkmale.
Licht – bewegtes Licht zumal – mit seiner traditionellen
Semantik zwischen Erleuchtung, Energie, Übersinnlichkeit
und Sakralität fügt der Erfahrung[25] etwas hinzu,
das unweigerlich den Begriff des Erhabenen evoziert. Der Begriff
des Erhabenen verweist mittlerweile auf zwei Konzeptionen, die
– wie ich meine – im Phänomen der Medienfassade
zusammenkommen. Zum einen das Erhabene des 18. Jahrhunderts
(Burke, Kant). Erhaben waren die großen Naturschauspiele,
die ein ästhetisches Schaudern hervorriefen und die Intelligenz
in Fassungslosigkeit versetzen. Intensitätssteigerung statt
Verstandesmobilisierung – auf diese vereinfachende Formel
könnte man dieses Erhabene bringen. Es ist nicht schwer,
in der Monumentalität der erleuchteten Stadt eine elektronische
Version der erhabenen natürlichen Landschaft zu erkennen.
Jean-Francois Lyotard greift auf diese Philosophie zurück
und entwickelt daraus eine moderne Variante des Begriffs.[26]
Nicht das Große, sondern die gegenstandslose Kunst der
Avantgarde ist sein Gegenstand. Wie im überwältigenden
Naturschauspiel eine Suspendierung des Bestimmbaren eintritt,
so sieht er in der Abwesenheit von Repräsentation bei gleichzeitiger
Erzeugung eines Kunstereignisses das Erhabene realisiert. Er
benutzt die Formulierung des „es-geschieht“, um
diese Situation intelligibler Undeutlichkeit bei gleichzeitiger
sinnlicher Präsenz zu fassen. Die von mir beschriebene
Tendenz zur Entsemantisierung in der Fassadenbespielung gewinnt
vor dem Hintergrund avantgardistischer Erfahrung ihr Gewicht.
Übertragen auf die moderne Stadt heißt das: Mögen
sich hier Informationen über Informationen ablösen,
zwischen zwei Informationen wie auch in der gegenseitigen Lähmung
der Botschaften droht immer die Leere, das „es-geschieht-nicht“.
Meines Erachtens gelingt es der Medienfassade im Zusammenspiel
der fünf genannten Elemente, genau in dieser Leere ihre
Kraft zu entfalten. Sie überwältigt im Extremfall
mit psychedelischer Ereignishaftigkeit. Hier ist an Marsahll
McLuhan zu erinnern, der in der raumgreifenden Medienfassade
ein Beispiel für ein hypnotisierendes heißes Medium
erkannt hätte. Pathetisch formuliert kann man auch sagen:
Mit dem Medien-Erhabenen kommt der Schrecken des Schweigens
durch Verlust der Sprache und der Gegenstände in die Stadt,
ein Schrecken, der gleichzeitig durch die Lust beim Anblick
des Theaters der Leucht-Kraft gebannt wird.
1) Die früheste Verwendung des Begriffs,
die ich nachweisen kann, befindet sich in Nikolaus Kuhnert, Philipp
Oswalt: Medienfassaden, in: arch+: Fassaden, 108 (1991), S. 26–27.
2) Werner Oechslin: Lichtarchitektur: Die Genese eines Begriffs,
in: Dietrich Neumann (Hg.): Architektur der Nacht, München
2002. S. 28–34.
3) Dietrich Neumann: Die »Architektur der Nacht« in
den Vereinigenten Staaten, in: ders. (Hg.): Architektur der Nacht,
München 2002, S. 54–64 [hier: S. 58].
4) Tom Wolfe: Electrographic Architecture, in: Architectural Design,
7 (1969), S. 379–382.
5) Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour: Learning
from Las Vegas, Cambridge/Massachusetts 1972, S. 9.
6) Robert Venturi: Las Vegas after its Classical Age, in: ders.,
Iconography and Electronics, Cambridge/Massachusetts 1996, 123–128
[hier: S. 125].
7) Paul Virilio: „We may be entering an electronic gothic
era“, in: Architectural Design – Architects in Cyberspace
II, Vol. 68 No. 11/12 (Nov. / Dec. 1998), S. 61-65.
8) Lev Manovich: The poetics of urban media surfaces (2006), in:
http://www.firstmonday.org/issues/special11_2/manovich/index.html#w7,
4.8.2008.
9) Joachim Sauter: Das vierte Format: Die Fassade als mediale
Haut der Architektur (2004), in: www.netzspannung.org, 4.8.2008.
10) Der Begriff wurde 1993 von dem Unternehmen ag4 geprägt:
http://www.medienfassade.com/ag4_profil.html?&L=0, 4.8.2008.
11) Beispielhaft die Online-Publikation firstmonday. Special Issue
#4: Urban Screens: Discovering the potential of outdoor screens
for urban society, in: http://firstmonday.org/issues/special11_2/,
4.8.2008.
12) Marion Ackermann, Dietrich Neumann (Hg.): Leuchtende Bauten:
Architektur der Nacht, Ostfildern 2006.
13) Marshall McLuhan spricht von der zweiten Haut der Kleidung
und der dritten Haut der Architektur: Die magischen Kanäle
[1964], Dresden, Basel 1995, S. 186–202.
14) Sauter: Das vierte Format.
15) Walter Benjamin: Einbahnstraße, Frankfurt/M. 1955, S.
43, 96.
16) Jacques Rancière: Die Fläche des Designs, in:
ders., Politik der Bilder, Berlin 2005, S. 107-125 [hier: S. 111].
Ich unterlasse es, die von Rancière ausgearbeitete historische
Einordnung des "Durcheinanders von Wörtern und Formen"
zu referieren.
17) Das Lichtdesign stammt vom Lichtkünstler James Turrell.
18) http://www.ruiz-geli.com/04_html/04_forest.html, 6.8.2008.
19) Das Projekt wird dargestellt auf der Website http://www.vrglass.net/,
5.8.2008.
20 ) http://www.jeannouvel.com/, 5.8.2008.
21) Ebd. Es handelt sich um die Konzerthalle von Danmarks Radio.
22) Vera Bühlmann: Für eine Architektur kommunikativer
Milieus, in: Navigationen. Display I – analog, Jg.6 H.2,
2006, S. 85–104.
23) http://www.verabuehlmann.ch/is/, 6.8.2008.
24) http://www.intelligent-skin.ch/index.html, 6.8.2008.
25) Gernot Böhme weist darauf hin, dass benennbare Lichterfahrungen
aller Wahrscheinlichkeit nach Uralt sind. Gernot Böhme: Architektur
und Atmosphäre, München 2006, S. 93.
26) Jean-Francois Lyotard: Das Erhabene und die Avantgarde, in:
Merkur 38, S. 151-164.