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Unica
Zürn. Die Ruhe im Unglück*
Schicht
Das
ist ein Anagrammgedicht,
Ein Anagramm ist das Gedicht
gemacht im Anti-Sarg, im Sande ...
Das
Anagrammgedicht ist ein Sprachschiefer, ein Geschieht: Schicht
auf Schicht gleichen Materials, ohne daß das Obere je das
Selbe des Unteren wäre.
Anagramm
heißt wiederkehrende Schrift; Schrift, die aus dem kommt,
das bereits ist, die dennoch Neues zu erbringen sucht. Das Anagramm
ist dem (Vor-) Gegebenen anhänglich und drängt zugleich
auf Autonomie. Zeile folgt auf Zeile. Diese Morphologie erzeugt
Spannung, die zusammenhält und gleichzeitig das Gefüge
auseinander zu sprengen droht. Jede Zeile beginnt mit dem Vorangegangenen,
nimmt dann ihren eigenen Weg und verläuft sich vielleicht
im Sande.
An
Ti gedacht, im Gras, im Sande,
stimmt dich der i-aa-Gesang an ...
Spannung
und Schichtung laufen der Konzentration zuwider. (Es mag sich
gar die gattungstheoretische Frage stellen, ob die Rede vom Ge-dicht
noch zulässig ist.) Das Anagramm formt sich in der Zerrkraft
zwischen (Material-)Gleichem und (Bedeutungs-)Unidentischem. Jede
Annäherung, die sich darauf beschränkte, lediglich die
Anlagerungen abzutragen, die sich auf nichts als die Lektüre
stützte, würde unweigerlich das Grundmerkmal der Tension
unaufgespürt lassen.
Wer
im Anagramm dem Satz-an-Satz folgt, wird sich verirren. Oder gar
irre werden?
Gam-Gan-dit
- ein dramatisches Gedicht. Das ist ein Anagram.1
Der
Verkehr der wiederkehrenden Schrift hat vielleicht kompliziertere
Regeln, als es den Anschein haben mag.
Spielregeln
Unica Zürn hat sich über zehn Jahre mit großer
Leidenschaft dieser einen Regel unterworfen, die das Anagramm
bestimmt. Sie selbst gibt in ihrem autobiographischen Text Der
Mann im Jasmin an zwei Stellen die Definition des Anagramms.
Diese Wiederholung der Vorschrift mutet eigentümlich an,
da sie in ihrer Einfachheit kaum der nochmaligen Anmahnung bedarf.
Es mag nützlich sein, den Ton der Definitionen zu hören,
da ein Intervall verborgen sein könnte, das eine Verschiebung
anzeigt.
Anagramme
sind Worte und Sätze, die durch Umstellen der Buchstaben
eines Wortes oder Satzes entstanden sind. Nur die gegebenen Buchstaben
sind verwendbar und keine anderen dürfen zur Hilfe gerufen
werden.
Das
Gesetz für das Anagramm heißt: Alle Buchstaben, die
der Ausgangssatz enthält, müssen auch in seinem Anagramm
verwendet werden.2
Die
erste Beschreibung ist wie das Regelwerk zu einem Spiel. Leicht
und fast heiter leiten die Sätze ein Tun an, das (wie jedes
Spiel) allein dem Zweck der Unterhaltung und des Genusses dient;
die Buchstaben sind die Spielsteine oder das Spielgeld. Das Spiel
kann beginnen.
Die
zweite Beschreibung kommt als Anrufung eines Gesetzes: Streng,
imperativisch, knapp. Es hat den Anschein, als ginge es um eine
Unterwerfung, um etwas nicht Selbstgesetztes, um Fremdbestimmung
(im Gegensatz zur Spielregel, der man sich freiwillig unterstellt).
Im Gesetz ist die Qual, nicht Selbst sein zu können. Nimmt
man den Tonsprung der beiden Definitionen ernst, dann bleibt die
Vermutung, daß die Verfasserin in der Spannung zwischen
Bestimmung und Verlorensein, Lust und Unlust steht. Die Doppelbödigkeit
des Anagramms wäre das, was das Subjekt ganz und gar im Unsicheren
läßt.
Sprachspiele
Das Anagramm ist eine eigenwillige Form des Dichtens, da sie wie
eine Korsettierung wirkt.
Welches literarische Sprechen (ja, welches Sprechen überhaupt)
könnte sich mit der Kontingentierung der Buchstaben einverstanden
erklären? Die Einschränkung läuft geradezu auf
eine Unterminierung des symbolischen Gesetzes hinaus, das besagt,
daß die Signifikanten als differenzerzeugendes Material
in unendlicher Fülle vorhanden sind. Im Regelfall gibt es
für das Sprechen keine Endlichkeit des Horizonts, sowohl
in der Ausdehnung als auch in der Kombi-nierbarkeit der Zeichen.
Jeder wie auch immer gewählte Abschluß kann mit der
Möglichkeit unendlicher Fortsetzungen und Revision rechnen.
Im Sprechen kommt Freiheit zu uns und damit die Illusion, der
Immanenz des Todes entgehen zu können.
Der
Umstand, daß das Anagramm den radikalen Abschluß in
sich trägt, mag dafür verantwortlich sein, daß
es in der Literatur als Dichtungsgattung kaum in Erscheinung tritt.
Allenfalls als rhetorisches Spiel findet es Eingang in eine ansonsten
linear verlaufende Textstruktur. Die Abfassung ganzer Texte nach
der anagrammatischen Regel bleibt die Ausnahme.3
Unica
Zürn hat sich dieser Übung im Mangel unterworfen. Durch
ihr strenges Festhalten am Mangel hat sie es vermocht, daß
das anagrammatische Dichten mehr als bloße rhetorische Verzierung
und Sprachspiel ist.
Die
Metamorphose hat Folgen: Sprache wird mit Fremdheit ausgeschlagen,
das (quasi-)natürlichen Sprechen wird zugerichtet, "gefoltert"4 und denaturalisiert. Diese Verkünstlichung sorgt nicht nur
für ästhetische Verfremdung und Enigmatisierung, sie
wirkt produktiv auch im Sinne einer Forschung über die Ursprünge
der Sprache unter dem Gesichtspunkt der Genese und der Struktur.
Das Anagramm führt zurück, es ist eine kunsthafte Sprachregression.
1. Die strukturale Regression: Unica Zürn wählt
immer einen Satz oder Spruch als Ausgang für die anagrammatische
Formulierung. Die so vorgeschlagene Kontingentierung der Sprachteile
treibt den Sprecher/Schreiber auf das zu, was ihm gewöhnlich
als bloßer Träger erscheint: auf den Signifikanten.
Der Signifikant als phonetisches und Schriftsubstrat wird an die
würdevolle erste Stelle gerückt, wo vorher (ich bin
mir über die ganz und gar idealistische Redeweise bewußt)
der Gedanke war beziehungsweise zu sein glaubte. Das Anagramm
hat als Zielvorgabe zwar immer noch die Einrichtung der linearen
Sprachstruktur, die Aufrechterhaltung der Grammatikalität
und die Stiftung von Signifikatseffekten, doch wird eine Einlösung
durch die phonematische Perforation des symbolischen Gesetzes
erschwert; kaum wird es als Webmeister eines heilen Bandes in
Erscheinung treten.
Jedem
Leser, dem die Gesetzmäßigkeit der Gattung vertraut
ist, wird seine Lektüre der formalen Ausrichtung angleichen.
Die in jeder Zeile neugeordneten Buchstaben wird er zum einen
daraufhin befragen, ob sie auch tatsächlich dem Gesetz der
Wiederholung gehorchen5, und er wird durch die Anaphonie
von der Semantik der Sätze abgelenkt. Das Gedicht lädt
ein zu einem hörenden Lesen. In dem 1956 verfaßten
Anagramm "Orakel und Spektakel" führt Unica Zürn die
Tendenz zur Verklanglichung bis zu dem Punkt, wo nur noch parodistische
Bedeutungssimulation herrscht. Dieser witzig-dadaistische Text
ist kein typisches Beispiel für die dichterische Haltung
Zürns, er zeigt aber die Be-tonung des Signifikanten:
Orakel
und Spektakel
Duke sprak: na olle Tek,
du orakelkalte Spenk
Kroetenspukke, dalla
palla, runde Ekke kost
en Tala. Rokkespek lud
Kallde een, Arp kokt su.
Katull, Pekasko reden
ernste Kakakelo, Pudel-
rakel und Spektakele.6
Die
Regel des Anagramms setzt eine Kraft gegen das Bedeutungshafte
ein und verschiebt auf diese Art das Sinnhafte zum Sinnlichen.
Der Text hat die Kraft seine Zeichenhaftigkeit zu veranschaulichen:
Lautbild wird vom Vorstellungsbild getrennt. Selbst bei Gedichten,
die den sprachlichen Normalfall üben (intakte Grammatik,
heile Wortmorphologie), bewirkt die minimalistische Repetition
der Signifikanten eine Musikalisierung der Sprache; die Texte
verwandeln sich in para-semantische Gebilde.
Es
war einmal ein kleines
warmes Eisen allein. Kein'
Laerm, kein' Wein lasse ein.
Leis' am See rann, weil kein
Eis war, Amselnelke in ein
Samen-Ei. Alle winken: reis'
wie alle Samen. Sinke rein,
Wasserkeim, nein, alleine
in ein Kissen. Alle Waerme
war einmal ein kleines Es.7
Die
Negativbestimmung der Anagrammatik als gefolterte und denaturalisierte
Sprache macht allerdings nur dann Sinn, wenn zur Bezugsgröße
die Kohärenz des Ausgangssatzes als Paradigma genommen wird,
der in der Tat seziert wird. Das Anagramm ist jedoch nicht nur
in seiner Negationsleistung zu sehen: Es ist Produkt einer Arbeit
am Klang und einer Arbeit am phantastischen Satz- und Wortbild.
Mehr als andere Sprachgattungen enthüllt das Anagramm seinen
Objekt- und Materialcharakter, zeigt es die leibliche Unterseite
der Sprache. Es neigt sich zur Seite der Präsenz, fort von
der repräsentativen Funktion der Sprache. Die sprachanalytische
Wirkung des Anagramms erfolgt in der Unmittelbarkeit der Darbietung,
was sie von einer Sprachtheorie unterscheidet: Die Theorie bedient
sich der Metasprache und verläßt sich ganz auf ihre
Repräsentativfunktion; das Anagramm erstellt simultan zur
Dissoziation der Zeichenelemente ein ästhetisches Objekt.
Dieses Objekt ist zuallererst nur es selbst. Das Anagramm kehrt
die Sprache. Der Signifikant steht an dem Punkt, wo er noch nicht
ganz in der Transzendenz des Zeichens aufgegangen ist. Es handelt
sich um Keimsprache.
2. Die genetische Repression: Kindheit ist die Zeit des Lernens
und Abschiednehmens. Die Sehnsucht nach der Kindheit entsteht
aus der Vorstellung, dass es einmal ein Heil vor der Trennung
gab. Unica Zürn kehrt in ihrem Schreiben wiederholt in die
Kindheit zurück: in die erinnerte, die nostalgisch-verklärte,
die grausame, die nie stattgefundene Kindheit. Kindheit ist der
Traum, der den Wunsch nie einlösen wird.
Auch
in den Anagrammen erscheint die Kindheit wiederholt als Ausgangspunkt
für die literarische Phantasie. In einer Reihe von Ausgangssätzen
wird das Kindsein angerufen: Sprüche aus der Kindheit ("Das
Spielen der Kinder ist streng untersagt"), das Spielen ("Drei
Fragen hinter der Tuer"), Märchen ("Der Geist aus der Flasche"),
die Überraschung ("Tausend Zaubereien") und andere Anklänge
bewegen die Dichterin zur Produktion.
Diese
imaginäre Rückwendung ist mehr als bloße Erinnerungsarbeit,
sie greift im Anagramm auf das Symbolische über und gibt
ihm Form. Die (strukturelle) Wendung zum Signifikanten erinnert
an das Sprechen der kleinen Kinder, an ihr vorsignifikatives Geplapper,
die Wiederkehr gleicher Lautbilder, den Singsang der Vokale, die
Assoziation melodischer Konturen.8 Das Kind erprobt
das Material, das ihm zum Genuß dient9, und übt
sich in Sinn ein. Aber nicht nur die kleinen, auch ältere
Kinder, die der Sprache bereits als Schrift mächtig sind,
kennen das Spiel mit dem Material. Eines dieser Spiele hat große
Ähnlichkeiten mit dem Anagrammdichten: Ein gegebenes Wort
muß zerlegt werden, um aus den Buchstaben die größtmögliche
Anzahl neuer Worte zu bilden (ohne allerdings die Vorgabe des
restlosen Verbrauchs der Buchstaben einlösen zu müssen).
Beide Fälle (obschon sie ganz verschiedene ontogeneti-sche
Stufen bezeichnen) bringen die Sprache ganz zu sich, machen sie
narzißtisch. Sie funktioniert weder im Sinne einer Trennung
zur Erkundung der Realität noch als Deutungsorgan oder als
Kommunikationsmedium. Zwar ist vorstellbar (im ersten Falle sogar
wahrscheinlich), daß die Signifikanten noch einen Ausdruck
tragen, den das Subjekt in die Welt bringt. Die Lautmalerei ist
jedoch in ihrer Eigenart als protosymbolischer Ausdruck noch nicht
in die konventionalisierte Signifikant-Signifikat-Relation eingelassen.
In der autobiographischen Erzählung Dunkler Frühling erzählt Unica Zürn von einem Spiel, das sie als
Kind mit einer Freundin zu inszenieren pflegte. Die Kinder stellen
sich vor, ein königliches Paar zu sein, dessen Sohn von Räubern
in einem fernen Wald erschlagen worden ist. Um die Klage über
den Verlust ausdrücken zu können, erfinden die Mädchen
eine Sprache, die nur aus Vokalen besteht. Diese Sprache, die
niemand sonst versteht, ist für Unica das größte
Faszinosum: "Das Beste und Aufregendste an dem ganzen Spiel war
die eingebildete Klagesprache."10
Die
in dem Spiel eingeübte kindliche, verlautlichte Rohsprache
weist mit ihrer Mischung aus Lust und Schmerz analoge Merkmale
zum Anagramm auf: Beide geben etwas zu hören auf. Überhaupt
scheint bei Unica Zürn eine besondere Empfänglichkeit
für das Tönende, für Zeichen, die noch nicht ganz
Sprache sind, vorgelegen zu haben. In ihren Prosatexten beschwört
sie wiederkehrend den Eindruck, den Musik, Töne und der Klang
von Stimmen bei ihr ausgelöst haben. Diese sind es, die sie
in Erregung versetzen, Erinnerungen in ihr wachrufen und sie mit
dem Gefühl der Lebendigkeit versorgen.
Die
Strenge in der kompositorischen Arbeit an einem Anagramm mag wie
das Gegenteil zur spontanen Emotivität beim musikalischen
Erleben wirken; dennoch bleibt der Tatbestand, daß das Produkt
immer auch ein musikalisches Ereignis darstellt.
Unica
Zürn muß um den musikalischen Charakter gewußt
haben und sich über die Kindhaftigkeit ihrer Dichtungsart
bewußt gewesen sein. In einem zwei Jahre vor ihrem Tod verfaßten
Prosatext hat sie eine Vielzahl von Anagrammen eingebaut, die
wie klingende Anhaltungen wirken. Es erscheint daher kaum als
Zufall, daß der Titel des Textes Musik thematisch aufruft: Die Trompeten von Jericho.
In
dieser Erzählung verbindet sie die Kindheit mit anagrammatischer
Poesie. Dies ist ein ganz und gar imaginärer Akt, denn die
Schriftstellerin hat erst 1953 (im Alter von 37 Jahren) durch
die Anregung Hans Bellmers mit dieser Form der Dichtung begonnen.
In
der Erzählung wird in einer Passage von dem zehn Jahre alten
Mädchen Ruth erzählt (was der Taufname Unicas war).
Die Erzählerin erinnert sich des Kindes, wie es ein Gedicht
spricht:
Mit
heller Stimme, so schnell, daß du ihr kaum folgen konntest,
sagte sie ihr selbst erdachtes Gedicht her. Dabei stand sie auf
einem Bein und neigte den Kopf wie ein Storch zur Seite: "Renn'
herbei! Der Wackelsand grunzt zur Wurstluise: Wasseruhren, Zuckergeld,
Staub rinnt in der Wurzel. Willst Du es, hebe es, rennt zur Wand
er, ri und rag zurück. Wenn Du hundert Ri-Rag willst, essen
Zauberei-Zucker."11
Obwohl
das Gedicht von Zauberern und vom Zucker erzählt, ist es
kein Kindergedicht der kleinen Ruth, sondern eines, das die (erwachsen-kindhafte?)
Dichterin Unica schrieb. Eine Nachzählung ergibt, daß
das Gedicht aus zwei Anagrammen besteht.
Die
Erzählung unternimmt den Kunstgriff der phantasmatischen
Rückdatierung. Unica rückprojiziert ihr Jetzt in eine
längst vergangene Kindheit. In der Perspektive des Anagramms
als künstlerische Sprachregression ist dieser Verschnitt
zweier Zeiten durchaus logisch: Was das Anagramm macht, nämlich
den Sinn in 'Unsinn' zu verkehren, die Buchstaben durcheinander
zu würfeln, das dürfen die Kinder in ihren Spielen.
Und so geht es nur mit rechten Dingen zu, wenn das Kind derart
dichterisch spricht. Das Kindsein bezeichnet den Ort in der Zeit,
wo das Subjekt sich enthebt des gesellschaftlichen Zwangs zur
Einheitlichkeit, zur symbolischen Kohärenz und zur Sprachregelung
auf die Referentialität.
Du
warst ein Dichter, als Kind, aber Du hast Deine frühen Gedichte
schon lange Zeit vergessen und es gab damals niemanden, der sie
aufschrieb. Jetzt sprichst Du in der vernünftigen phantasielosen Sprache aller Leute. Dunkel ist das WAR in Atlas, Wind und
Kreis.12
Der
letzte Satz verwandelt die Klage über die leere Sprache der
Alle-Leute wie könnte es anders sein in ein
Anagramm. Ohne Warnung bricht in die Erzählung die Unvernunft
ein, die Phantasie, das Schriftspiel. Die Metasprache wird abgelöst
durch das dunkle Sprachspiel; in die aushöhlende Klarheit
des symbolischen Verkehrs schneidet der Poetismus.
Aber
das Kind-Werden der Sprache im Anagramm ist nicht ohne Mühe,
nicht immer heiter, das Spiel an der Grenze nicht ohne Gefahren.
Der Rückzug ins Vordenkliche macht das Subjekt nicht allein
empfänglich für die regellosen Lüste, sondern auch
für die Verletzungen, die man nicht versteht. Jede Kindheit
umschließt unsagbare Verluste; ohne den Schutzmantel des
Ausdrucks, der zum anderen geht, ist das Subjekt verwundbare Materie.
Umschluss
Wenn die Subjektfunktion etwas ist, das da ist, um Widerstand
zu machen, sich einzukleiden in Wissen und Absetzungen zu erzeugen,
dann ist das Verfassen von Anagrammen eine Einübung in Subjektvergessenheit.
Das Schreiben ist vergleichbar (und sicher nicht identisch) mit
einer Meditationshaltung: Die Zeile, die die Dichterin sich erwählt
hat, wird im eigentlichen Sinne nicht fortgeschrieben, sondern
wie das Mantra in steter Bewegung gedreht und gewendet und schließlich
aufgegeben. Das Subjekt macht sich durchlässig für die
Buchstaben, für mögliche Kombinationen und öffnet
sich tendenziell dem Absurdismus.
Aus
den Notizbüchern Unica Zürns ist ablesbar, wie sie bei
der Abfassung der Texte vorgegangen ist: Die Ausgangszeile wird
niedergeschrieben. Einzelne Worte und Teile werden ausgemacht
und in der darunterliegenden Zeile notiert. Die verbrauchten Buchstaben
werden in der darüberliegenden Zeile ausgestrichen. Geht
die Arbeit mit dem Buchstabenrest auf, wird der Vorgang mit der
neugebildeten Zeile neubegonnen. Oft jedoch passen aufgefundene
Teile nicht zusammen; sie müssen dann verworfen werden. Stücke,
die immer neu aufgenommen werden, weil sie für besonders
bedeutsam erachtet werden, stehen oft mit dem amorphen, nicht
einlösbaren Buchstabenrest im Widerstreit.13 Die
Regel besagt aber, daß der Sinn vor der Erfüllung des
Anagrammgebots weichen muß. Der Anagrammatiker muß
(wie der Meditierende) von liebgewordenen Bedeutungen sich verabschieden;
er steht immer in der Konfrontation mit der Vergeblichkeit des
Sinns. Das formale Gesetz wird zur Barriere des Sinns. Die sich
wiederholende Geste des Ausstreichens der Buchstaben gemahnt an
eine Verdrängung oder Verwerfung des Sinns.14 Das Alte wird vergessen, und unsichtbar gemacht. Die Dichterin
schreitet nicht voran in der Bedeutungsakkumulation, sie formuliert
in jedem Schritt Bedeutungsminiaturen. Jede Zeile ist unter dem
Materialgesichtspunkt Neubeginn, auf sie wird das Darüberliegende
verzerrt projiziert. Mit Recht kann man sagen, daß das Schreiben
eher vertikal denn horizontal verfährt.
Wenn
bisher das Augenmerk vornehmlich auf die Phonie und die spezifische
Ordnung der Signifikanten gerichtet wurde, so bleibt die Tatsache
bestehen, daß das Anagramm die Sprachgesetze nicht zur Auflösung
bringt, sondern ihnen als formale Vorgabe folgt. Das Anagramm
steht an der Grenzlinie zwischen einer reinen Geometrie der Buchstaben
und einer Neigung zum Sprachsinn, da es stets dem Syntagma verpflichtet
bleibt. In dieser strukturellen Spannung, die nie zugunsten einer
Seite aufgelöst werden darf, operiert die Sprachschöpfung.
Selbst eine spontane Lektüre der Zürnschen Texte hinterläßt
den Eindruck, daß man an einer Bruchstelle steht, mehr noch,
daß man sich von Bruch zu Bruch bewegt: zerrissenes Sprechen.
Durch das Gebot der Buchstabenwiederholung steht das Anagrammgedicht
unter dem Diktat der Zeile. Formale Einheitlichkeit wird in herkömmlicher
Lyrik durch den Einsatz von Rhythmus, Metrum, Reim et cetera bewirkt.
Im Anagramm bleiben diese Elemente ausgeschlossen (allenfalls
entstehen sie als zufälliges Beiwerk). Jedes Lesen eines
Anagramms stockt unwillkürlich am Ende einer Zeile: Das Material
ist verbraucht, neuer Atem ist zu nehmen. Von Zeile zu Zeile folgt
man Neubeginn und Abschluß, wird man Gefangener des anaphonischen
Geschehens. Zwar wird die Phonie nie so übermächtig,
daß sie in der Lage ist, die Semantik der Zeile zu verschütten,
doch bewirkt die Konzentration auf die Zeile, daß Vorhergegangenes
tendenziell dem Vergessen anheimfällt. Die strukturelle Eigenart
der Vertikalität erfaßt auch die Lektüre. Deutlich
wird der Riß zwischen Sinn und Buchstabe an solchen Punkten
des Textes, wo Unica Zürn Satzanfang und -ende nicht mit
Zeilenanfang und -ende synchronisiert. Oft beginnt sie einen Satz,
der über das Zeilenende hinweg schleift. Da die Materialgrenze
von der Syntax nicht beachtet wird, schwankt die Lektüre,
die nicht weiß, ob sie mit dem Ohr dem Signifikanten oder
mit dem Denken dem Signifikat folgen soll. Körper und Seele
sind uneins.
Gefaellt
Dir dieser Garten?
Geistergraf der Linde, alte
Irrgestalt, die lange Feder
ist der Finger, der alle Tage
graste. Er fliegt, Dein Adler
faellt Dein Sarg. Rede, Tiger,
der Garten fragt. Leise, Lied,
fern geigt der alte Elidras.15
Das
"Wesen, das sich seit allen Zeiten schon so gerne von seinem lästigen
Körper löst"16, fällt aus der Schriftspur,
findet keinen Anschluß.
Selbst
noch das Vergessen des anagrammatischen Gesetzes in der Lektüre
würde nicht bewirken, daß die Verstehensarbeit in einer
Synthese zu einem Einhalt käme. Die Texte gehen nicht auf
ein Zentrum, auf eine deutlich angebbare Sinngestalt. Die Reihung
der Sätze entwickelt kaum einen Gedanken oder entfaltet ein
geschlossenes Bild. Assoziativ werden Teile zusammengefügt,
die immer von bedrohlichen Leerstellen und Sprüngen begleitet
werden, oder die untereinander inkommensurabel bleiben. Das Anagrammgedicht
zu "Gefaellt Dir dieser Garten" umkreist die Themen Wahn/Tod (Geistergraf,
Irrgestalt, Sarg), Kreatürlichkeit (Adler, Tiger, Garten)
und Klang/Musik (Rede, Lied, geigt). Schwerlich wird man jedoch
von dem Text eine semantische Deutlichkeit oder Kohärenz
ablesen können. Die Wendungen überraschen nicht im Sinne
der Neuheit einer Perspektive, die etwas erkennen läßt,
sie haben vielmehr die Kraft, perplex zu machen. Das Ganze verliert
sich in Einzelheiten; die Einzelheiten kommen nicht zur Höhe
des Symbols: Das Wort bleibt einsam. Ein Paradox entsteht: Gerade
auf Grund der formalen Strenge und Genauigkeit wird der Inhalt
rissig, chaotisch, zu Weilen delirant. Die Spracharbeit im Mangel
wird kompensiert durch phantastische Wortkombinationen, eigensinnige
Komposita, Neologismen und verzwirbelte Syntax.
Es
war ein Kind, das wollte nie ...
Wo Eiersand in Kandis wellte
war ein Kind. Es wollte nie das
Nein. War das die Welt? So klein?
Die Sonne war kalt. Leise, Wind,
das Wal-Ei rinnt, Wolkenseide
winkt. All' die oeden Wasser in
der Wand. O eine Kiste will ans
Land. Laken reist ins Wiedewo,
wo die Nase welkt. Nie als Rind
in Kaese wollen, das wird Stein
ins Weite rollen. Dies' da wank'
in die Stirne sank. Wollewade
will ein Kissen, wandert o ade.17
Die
Gedichte Zürns sind vereiste Objekte mit Rissen und Schnitten,
die das Rätselhafte und Geheime und Ungefügte einschließen.
Die Lektüre entgleitet ständig, man rutscht von Satz
zu Satz und verliert den Zusammenhalt. Die Sprache besteht aus
widersprüchlichen Durchläufen. Was bleibt, ist die Empfindung
einer Abgeschlossenheit und Einsamkeit.
Ein
Wort Strindbergs, das er einmal in einer psychotischen Krise für
sein eigenes Schreiben gefunden hat, scheint mir die Texte Zürns
passend zu charakterisieren: Es ist ein Schreiben "der großen
Unordnung und des unendlichen Zusammenhangs".18 Der
kontingentierte Signifikant umschließt mit klarer Grenze
das Unfaßbare des Sinns. Wir sind im Angesicht eines Sprachobjekts,
das die Möglichkeit der Paraphrase, der Zusammenfassung,
der Bedeutungsfixierung verweigert: Unmöglichkeit der Metasprache.
Solche Unmöglichkeit schließt allerdings nicht aus,
die Texte als Versuch der Aussprache zu begreifen. Wer zur Sprache
findet (auch zur kunstvoll verstümmelten), will etwas sagen.
Zürn prägt für diese Halbstellung des Sprechens,
für die Stimme ohne Sinn einen Ausdruck. In Die Trompeten
von Jericho bezeichnet sie das anagrammatische Sagen als behaftet
mit einem "Hinterunsinn"19. Der Begriff deutet an,
daß der Unsinn Hintersinn hat, daß etwas spricht,
nur eben verquer und geheimnishaft. Zwar wird sich der in singulären
Metaphern und Bildern verkapselte Privatsinn in Einzelanalysen
nicht offenbaren (welche Hermeneutik hätte schon die Mittel
dazu), was sich aber dennoch aussagt, ist die Intensität,
die zum Schreiben antreibt.
Die
Gattung selbst ist bereits mit ablesbarer Bedeutung behaftet.
In ihr vergegenständlicht sich ein gequältes, in der
Armut befindliches Sprechen. Sie zeigt, daß das Spiel eine
ernste, fast schon bedrohliche Kehrseite hat.
Bei
der Durchsicht der Zürnschen Anagramme wird man darüber
hinaus feststellen, daß sich Zentralmotive ergeben, die
den Eindruck der Schwere bestätigen. Einzelne Worte und Formulierungen
evozieren die Aura der Melancholie. Der Zusammenstoß von
Melancholie und Anagramm ist sinnfällig. Wie das Anagramm
ist die Melancholie der fühlbare Ausdruck des Nicht-Wissen-Könnens:
Was ist es, das mich leiden macht?
Ich
streue das weisse Nichts;
ach, Weiss ist nichts. Reue des
weissen Rauchs sticht Seide
der Nachsicht. Suesse ist wie
das Weisse. Schreie: Tu's nicht!
Sie ist ich! Werd' suesse Nacht!20
Das
"ach" der Vergeblichkeit und der Wunsch nach dem Vergessen im
Schlaf: Wie dieses Gedicht sprechen die Texte Zürns wieder
und wieder vom Tod, Leid, von der Bedrückung, der Sehnsucht,
der Leere, von dem Wahn. "Leid/ liegt in allen Dingen, es/lallt
in den Eisigen, eng/nagt's den Engel."21 Nur selten
entsteht der Eindruck, daß Unica Zürn von etwas anderem
schreibt als der Not des Daseins, der Unverläßlichkeit
der Erscheinungen, von dem Ungenügen des Erlebens und der
Unfähigkeit zu begreifen, worin der Mangel besteht. Gleichzeitig
- und darin liegt der Rettungsgriff sorgen die Texte als
ästhetische Objekte für eine Aufhebung dieser Seinsbeschränkungen,
denn als Stimme sind sie wie Versprechungen einer anderen Gegenwärtigkeit.
Trauer
und Schönheit (des Verlorenen), Wunsch und Vergeblichkeit
liegen immer zusammen.
Lass
uns den Moorgesang anstimmen, um uns auf andere Gedanken
zu bringen, auf edele, erhabene Gedanken, voller unverständlicher
Poesie und vor allem ohne eine Spur des erleichternden Humors.
Todernst wollen wir jetzt sein.Der Humor, die Ironie, diese Meisterwerke
in der Dichtkunst fehlen mir. Darum lass uns in eine neue Traurigkeit
hineinschreiten. Lass uns die Moorgesänge anstimmen und die
goldene Erde auf den Sarg streuen.22
Diese
Beschreibung, die zweifelsohne dem Anagramm gilt, faßt die
Spannungen zusammen, aus denen das Gedicht hervorgebracht wird
und die es beleben: die Trauer, der Tod, das Unverständliche,
die Erhabenheit, die Stimme, das Andere. Das Anagramm ruft eine
traurige Zeit (die Kindheit?) zurück und will sie im gleichen
Moment ungeschehen machen.
Wir
werden sehen, wohin das führt: Ins Glück? Ins Unglück?
Weder noch irgendwo dazwischen.
Sub-Ob-Jekt
Das Glück des meditativen Anagrammdichters, das darin besteht,
das Gegenwärtige aufzugeben, kommt nicht aus ohne die Gegenbewegung.
Hans Bellmer bemerkt, daß der Tendenz zur "Ausschaltung
vorbedachter Gestaltungsabsicht" die "Höchstspannung des
gestaltenden Willens" gegenübersteht.23 Der Widersinn
dieser zwei Haltungen nimmt das schreibende Subjekt in die Klammer
und raubt ihm die Freiheit der Wahl, entweder in dem Einen oder
Anderen zu sein.
Die
ganze Freiheit steht noch vor Beginn der Arbeit zu Gebote, wo
der Dichter sich aus der unendlichen Fülle möglicher
Sätze den erwählt, der ihm größtmöglichen
Anreiz zur sezierenden und kreativen Beschäftigung bietet.
Bei Unica Zürn erfolgt die Wahl nicht nach formalen Vorgaben,
etwa danach, ob der Satz über eine günstige Buchstabenverteilung
verfügt. Die Sätze enthalten immer Anspielungen auf
die Existenz der Dichterin: auf das Private ihrer Geschichte,
ihre Wünsche, Beziehungen und Erlebnisse.
Ist
dieser Anreiz erfolgt, passiert der Sprung in die Ungewißheit
und in die Überraschung, denn was der Satz an möglichen
Aussagen parat hält, davon weiß das Subjekt nichts.
"Beim Suchen und Finden von Anagrammen ... spürt sie die
Erregung und große Neugier, die notwendig ist, um sich mit
seiner eigenen Arbeit zu überraschen."24
Der
die Erregung stimulierende Ausgangssatz erfährt nun eine
Metamorphose (die auch die Dichterin ergreift). Seine sprechende
Wirkung wird nicht dialogisch aufgenommen, sondern zugunsten geheimnishafter
Botschaften, die in ihm begraben liegen, verdrängt. Anstatt
über ihn eine Reflexion anzustellen, die die gelebte Existenz
des Denkenden mit einschließen würde, versetzt sich
das Subjekt in eine sehende Spannung, verfällt es den Buchstaben,
in denen es zu suchen beginnt.
Das
Suchen und Finden, von dem Unica Zürn schreibt, sind die
eigentlich rätselhaften Betätigungen, die diffus eine
Stellung zwischen Selbstvergessenheit und dem Willen zur Produktion
bezeichnen.
Unica
Zürn spricht selber einmal von "Untersuchungen"25,
die sie anstellt. Der Begriff läßt den Eindruck entstehen,
daß die anagrammatischen Worte und Sätze jenseits dessen
liegen, was das (untersuchende) Subjekt zu sagen in der Lage ist.
Das Gewicht wird auf das enigmatische Objekt gelegt, dem man einen
Sinn (oder viele Sinnschichten) entbirgt. Man kann glauben, daß
das Objekt durch das Subjekt spricht, das nicht mehr ist als ein
Katalysator zur Zusammenfügung. Das Subjekt steht in passiver
Erwartung, daß der Sinn zu ihm sprechen möge. Das (Unter-)Suchen
wäre dann zu verstehen als ein Zustoßen. Die Überraschung,
von der Zürn spricht, ist wörtlich zu nehmen als eine
äußere Kraft, die das Subjekt wie von oben anfällt.
Es ist ein Anderer, der spricht, einer, der sich schwer zu verstehen
gibt.26
Das
Finden steht in diesem Sinne dem Dichten konträr gegenüber.
Gefunden wird das, was bereits ist; das Dichten hingegen wäre
eine Arbeit des Fügens, die erst noch etwas herstellen will.
Unica Zürn "beschwört"27 eine abwesende Präsenz,
die im fügenden Anagramm sich zeigen soll. Die Anagrammatikerin
selbst ist eigentlich eine Schweigende, Sprachlose, eine Empfängerin.
Das primäre Ziel ist es, das Material in seiner größtmöglichen
Variation zu erschöpfen. Es geht um "Ergiebigkeit".28
Damit
kommt etwas ins Spiel, das dem Grundmerkmal der Sprache zuwiderläuft:
Das Anagramm scheint den Versuch darzustellen, die Endlichkeit
in der Sprache zu begründen. Stillschweigend besagt das Gesetz
des Anagramms, daß das Endlosband der Sprache zusammengebunden
werden soll. Unica Zürn sucht in der Formerfüllung das
Ideal des letzten noch zu schreibenden Satzes. So schillernd das
auf diese Art entstandene Objekt sein mag, es hat nicht mehr die
Unsicherheit des Widerspruchs oder der Wandelbarkeit.
Aber
das Ideal der Vollendung, das den Wunsch antreibt, muß selbst
noch in den Grenzen des Anagramms mit der Vergeblichkeit seiner
Realisation rechnen: Weiß man doch am Beginn einer Untersuchung
noch nicht, ob der Gegenstand überhaupt etwas offenbaren
wird. Im Falle des Gelingens einer Vertextung der
Elemente,
muß der Schreibende jedoch weiterhin in der Ungewißheit
leben, unter Umständen ein mögliches Syntagma übersehen
zu haben. Augenfälliger ist das Scheitern dann, wenn die
Zeilen nicht aufgehen. Über ein solches Anagramm schreibt
Zürn: "Dieses Ergebnis ist arm und unvollkommen."29
Ungeliebtes
Objekt, das nicht die vollkommene Schönheit des Ideals hat.
Der Sprachgegenstand ist arm, weil er einen Rest läßt,
weil er nicht die Glätte der geschlossenen Oberfläche
hat. Überhaupt mag es fremd anmuten, das Ende eines Textes
unabhängig von einer Sinnlogik zu suchen. Doch ist es gerade
diese Wendung zum Signifikanten, die den sicheren Halt zu gewähren
imstande ist. Die Besetzung der Sprache als objektale Präsenz,
in die ein Dunkelsinn eingelassen ist, und die immanente Idealisierung
lassen auf ein unterworfenes Subjekt schließen. Es ist nicht
eines, das sich in der Sprache einrichtet. Die Sprache tritt als
veräußerte Form, als Statue vor das Subjekt hin. Es
denkt sich nicht primär in der Sprache; sie ist nicht etwas,
das entlassen wird, um zu einem anderen hinzugehen; sie wird als
einsamer Gegenstand habhaft gemacht.
Solche
Hinwendung zu dem Einen ohne Dialog konfrontiert das Subjekt mit der Verfehlung, denn das Ideal gründet auf Scheinhaftigkeit
(und nicht auf Lebendigkeit). Der Fetisch gibt zwar etwas zu fassen,
doch bleibt der Zweifel, ob es das ist, was das Subjekt zu fassen
begehrt. Wer skeptisch genug ist, wird kaum glauben, daß
es je ein Ideal gab, das nicht irgendwann seines Scheins sich
entledigt hat.
Die
Entkleidung und Enttäuschung wäre aber vielleicht ein
Weg, der auf die Bahn des Begehrens führte. Lastender ist
das Alleinsein mit dem, das selber allein ist: das macht die große
Melancholie.30
Gegenüber
einem mächtigen, dunklen Anderen wird das Subjekt zum Objekt,
das sich die Erfüllung erhofft. Ein Kind will genährt
werden, vollständig sein. Daraufhat Unica Zürn gewartet,
und die Nicht-Erfüllung in Passivität erlitten.
Ich
habe immer nur in der Hoffnung gelebt, ein Gegenüber zu bekommen.
Den größten Teil meines Lebens habe ich schlafend zugebracht,
den nächst größten Teil mit dem Warten auf das
Wunder, mit dem Meditieren über das Unerreichbare.31
Im
Anagramm erscheint etwas von dem Wunder, von der Überraschung,
denn die Entdeckung eines Satzes ist wie ein Schatzfund. Zweifelhaft
bleibt, ob die Freude über die Entdeckung ungetrübt
sein kann. In der Unmöglichkeit, das Anagramm verstehend
nachzusprechen, kommt das Leid zu Tage, der Sache nicht habhaft
zu werden. Der Sinn bleibt in Distanz. Unica Zürn arbeitet
an den Sätzen, bringt etwas in der Untersuchung hervor; doch
die Objekte sind von großer Unverständlichkeit und
voller Traurigkeit. Was sie ausdrücken, ist, daß etwas
nicht zu bekommen ist.
Aus
all dem ließe sich schließen, daß das Anagramm
ein romantisches Ungeheuer ist, das sich gegen seinen Schöpfer
erhebt. Trotz der Überlast des Sprachobjekts gegenüber
seinem Schöpfer bleibt dennoch das Rätsel und
hier kommt das Subjekt wieder ins Spiel warum bestimmte
Kombinationen und Bedeutungseinheiten gefunden werden. Das Subjekt
sieht vielleicht nur das, was es zu sehen bereit ist; es
bringt nur das zusammen, was ihm zusammengehörig erscheint.
Der Wille zur Gestaltung und zur formalen Einheitlichkeit kommt
einer Strategie gleich, durch die das Subjekt sein opakes Sprechen
dem Objekt unterschiebt; es projiziert sich ins Objekt.
Welche
Perspektive man auf das Anagramm auch immer nimmt, stets ersteht
im Text eine Situation, in der das Subjekt ins Objekt stürzt,
sich in ihm verliert oder sich aufgibt. Es müht sich an der
Grenze zwischen Symbolischem und Semiotischem, dort, wo Name und
Leib auseinander drängen. Um was handelt es sich also: um
Suche oder um Produktion, um Passivität oder Aktivität?
Das anagrammatische Schreiben Zürns inszeniert die Überraschung,
mithin ein Anderes, dem sich die Dichterin unterstellt. Das Anagramm
ist wie das Licht, das sowohl Wirkungen immaterieller Wellen als
auch körperhafter Partikelströme hat. Der Text offenbart
eine Unentschiedenheit zwischen Nähe und Ferne, Faßbarkeit
und Unfaßbarkeit. Wir werden nie wissen, welche kathektische
Energie Unica Zürn veranlaßt hat, ein Anagramm aufs
andere zu verfassen. Es mag aber plausibel erscheinen, daß
sie bei jedem neuen Versuch in der Spannung gelebt hat, ob es
(Es?) kommen wird das Wunder oder das Gegenüber, das
anzeigen würde, daß es eine Erfüllung zwischen
Subjekt und Objekt gibt.
Das
Leben in der "DlSTANCE"32 hat Unica Zürn mehrfach
in ihrer Prosa thematisiert. In der Distanz nimmt sie eine Haltung
ein, die bewegungslos bleibt: Unica (er-)wartet und hält
Ausschau. Selbst noch der Moment des Erblickens kommt nicht aus
ohne Fremdheit gegenüber dem Erblickten. Ohne eine gelegentliche
Berührung beschreibt die Distanz nur eine Existenz voller
chimärenhafter Bilder ohne Substanz, ohne Versicherung des
Seins. Zürn äußert selber die Vermutung, daß
die Distanz wirksame Grundstellung für das Finden von Anagrammen
ist. In der Tat muß die Sprache unnahbar gemacht werden:
Würde man sich in dem Sinn des Satzes verlieren, wäre
die Möglichkeit verspielt, mit den Buchstaben zu operieren.
Der Blick geht fort von den inneren Bildern (Signifikaten) hin
zu den äußeren Buchstaben-Objekten. Die Worte sollen
zuerst gesehen und erst dann gelesen werden.
Meine
Augen sind weitsichtig ge-/worden: das entfernte Objekt sehen
sie deutlich. Das/fällt mir auf, weil es früher anders
war./Ob das wohl mit meiner Lieblingsbeschäftigung /dem
Finden von ANAGRAMMEN zu tun hat?
Wenn sich mir heute das Ersehnte (Entbehrte) nähert, wenn
es/plötzlich da ist, werde ich eher verlegen, wünsche/es
wieder fort (beinahe zum Kukuk!) bestimmt/aber dorthin
zurück, wo meine Sehnsucht es bis zu/jenem Tage so zärtlich
zu erforschen sucht.33
Es
ist ein eigentümlicher Wunsch, das Ersehnte lediglich sehen
zu wollen. Ich vermute, daß Zürn in der Inszenierung
der ewigen Unnahbarkeit einen Rettungsversuch unternimmt. Was
sie Forschung nennt, dient nicht dem Wissen, sondern der Errichtung
eines illusionären Objekts. In der Entfernung wird die Gefahr
gebannt, daß das Objekt vielleicht nicht hält, was
sein Anblick verspricht. Die Faszination für das spektrale
Ding vergißt die Angst. Zürn scheint auf der Spur früher
Verluste zu sein, die sie vielleicht nie hat begreifen können.
Die Kluft errichtet einen Sicherheitsabstand, und die Sehnsuchtsspannung
schafft einen Zustand ohne Enttäuschung. Zürn bleibt
stehen auf dem Weg zum Wissen darüber, was die Verluste in
ihr angerichtet haben. Die illusionären Objekte haben für
das Subjekt einen prekären Status, denn im Extremfall derealisieren
sie die Wahrnehmung. Bezogen auf das Anagramm stellt sich die
Frage, was Zürn in dieser zerstückelten Schrift findet
oder welchen Verkennungen sie unterliegt. Gibt es im Buchstaben
überhaupt je etwas wahrzunehmen oder aufzunehmen?
Die
Fragen führen an die Stelle, die nicht umgehbar ist, wenn
von Unica Zürn die Rede ist: zum Wahnsinn.
Ich
begnüge mich vorerst mit einer kurzen theoretischen Anmerkung:
Folgt man der psychoanalytischen Theorie, so ist es die Austreibung
des Imaginären (das heißt der strukturierenden Identifikationen/Bilder),
die das Subjekt in eine psychotische Krise treiben kann. Identifikationen
bilden die grundlegenden Strukturierungen, denn erst in der hergestellten
Ähnlichkeit durch Mimesis mit den anderen kann das Subjekt
sich verbinden, Distanzen wahren und zur Sprache finden. Zürns
distanzierte Forscherhaltung wäre in diesem Sinne zu interpretieren
als eine Suche nach sicheren Identifikationen (an denen sie Mangel
hat), ohne jedoch ihre Haltbarkeit überprüfen zu wollen
und ihre lebendige Übertragung und Fortsetzung einzuüben.
Das
Imaginäre (das genetisch vor dem Symbolischen liegt) drückt
stets auf die Sprache, da durch sie das Subjekt in der Lage ist,
sich zurückzugeben: In jedem Sprechakt nimmt man etwas von
dem anderen auf beziehungsweise vorweg, um derart auf Verständigung
zu drängen. Ohne diese Dialektik verliert sich das Subjekt.
Bleibt es ohne den Halt des Imaginären, versinkt es im Chaos.
Hilfe suchend greift es zu den Wörtern, die die Welt ordnen,
die nun allerdings nicht mehr das bedeuten (können), was
sie einmal bedeutet haben.34 Jenseits der Dialektik
verkapselt sich das Subjekt in ein "selbstgenügsames Sprechen"35,
eines, das sich nicht vernehmen lassen will.
Es
ist zu vermuten, daß die Problematik der Identifikation/des
Bildes von Zürn diffus erlebt und wahrgenommen wird, wenn
sie die Distanz zu den Objekten einnimmt und sie mit einem weißen
Begehren belauert. Da sie selber die Beziehung von Sehen und Sprache,
von Anagramm/eingeschlossenem Sprechen und entsagtem Objekt bezeugt,
mag es lohnend sein, weitere Hinweise aufzuspüren, die das
Verhältnis von Selbstverlust und Kunstproduktion klären
helfen.
Gesicht
Gisela von Wysocki schreibt in einer Studie zu Unica Zürn,
daß unter dem Gesetz des Anagramms die Dinge bereit sind,
"sich tausendfältige Gesichter zuzulegen."36 Die
Gesicht-Metapher gibt Gelegenheit, in den Bereich des Bildes und
der Identifikationen einzutreten. Dies soll nicht willkürlich
geschehen, denn es lassen sich Verbindungen finden, die einen
formal-analogen und psycho-dynamischen Zusammenhang zwischen Schrift
und Bild nahelegen.
Zürns
künstlerische Passion war nicht allein vom Schreiben bestimmt,
ebenso leidenschaftlich konnte sie zeichnen. Beide Kunstgattungen
hat sie später zusammengeführt: ihre Texte hat sie mit
Zeichnungen beziehungsweise ihre Zeichnungen mit ihren Texten
illustriert.37
Unica Zürn, 1961
Beim
Betrachten der Zürnschen Zeichnungen fällt auf, daß
Gesicht und Gesichtspartikel wiederkehrende Motive sind. In Der
Mann im Jasmin bestätigt sie die Faszination für
das Gesicht:
...
es entstehen Zeichnungen von einer gewissen Qualität. Und
vor allen Dingen kommt die Konzentration zurück, die notwendig
ist, um Anagramme zu machen. Die Nähe des Meeres, das Gefühl
der großen Tiefe unter ihren Füßen, wenn sie
schwimmt, erzeugen einen Taumel von Freiheit, ein neues Gefühl
des Glücks. Seit jeher besessen von Gesichtern, zeichnet
sie Gesichter. Nach dem ersten zögernden "Schwimmen" der
Feder über dem weißen Papier entdeckt sie den Ort für
das erste Auge.38
Das
Zeichnen von Gesichtern und das Schreiben von Anagrammen reihen
sich nebeneinander. Es scheint jedoch, als würde der zwischengeschobene
Satz eine Konjunktion verhindern. Ist aber die Rede von dem "Gefühl
der großen Tiefe" nicht die Verbindungsklammer zwischen
beiden?
In
ein Anagramm sich zu versenken, kann Genuß bedeuten, aber
auch den Schrecken der Bodenlosigkeit mit sich bringen. Der Blick
in ein Gesicht kann sowohl die Dialektik des Austauschs begründen
als auch den Verlust und die Verlorenheit des Selbst anzeigen:
Ich verliere mich in dir, weil ich nicht erkenne, was du bist.
Neben der Stimme ist das Gesicht dasjenige, das die meisten Signale
zum anderen aussendet. Schon in der frühen Kindheitsphase
ist das Wiedererscheinen der gleichen Gesichter und des sprechenden
Blicks wichtiger Bezugspunkt für eine Orientierung, für
das Gefühl der Sicherheit, für die Grundlegung der Identifikationen.
Kristeva spricht davon, daß Stimme und Blick Markierungen
einer sich errichtenden Stabilität sind.39 Die
Bilder Zürns haben eine doppelte Charakteristik, die darauf
schließen lassen, daß diese primordiale Stabilität
fehlt und gesucht wird. Fast immer ist das Gesicht bei Zürn
mit verwirrender und dichter Ornamentik versehen, oder mit bedrohlichen
Symbolen durchsetzt. Zumeist verschwimmen verschiedene Gesichtsdarstellungen
ineinander, werden nur Teile des Gesichts aufgenommen und surreal
montiert. Es sind fraktalisierte Gesichter, die wie zusammengepreßte
Fischschwärme erscheinen oder die von urtierhafter, krakenhafter
Gestalt sind, manchmal sogar "Scheußlichkeiten, Großaufnahme
aus dem Film des krampfartigen Häute-Komplexes".40
Wieder
und wieder erscheint das Augensymbol, das im Wirrwarr klemmt und
dem Gesicht entflohen zu sein scheint. Lacan sagt von dem Auge,
daß es sehr oft das Symbol des Subjekts ist.41 Das Auge trägt meines Erachtens die Gefahr der Ausdruckslosigkeit,
wenn es nicht Teil einer Physiognomie ist. Folgt man in diesem
Sinne der Aussage Lacans, dann ist das Auge der Ausdruck des hohlen
oder des unstabilen Subjekts, das sich nicht zu fassen gibt.
Dieser
Qualität des Nichtfixierbaren begegnet Zürn mit der
Geste der Umkreisung. Die Mehrzahl ihrer Gestalten sind streng
umzeichnet, von einer Linie begrenzt. Man gewinnt nicht den Eindruck,
daß die Vielfalt im Inneren nach außen dringen soll.
Embryonal sind die Dinge umfaßt, sollen festgehalten werden.
Die
Analogie zum Anagramm ist eklatant: Auch hier herrscht im Inneren
von facettierter Vielfalt bis zur Wirrnis ein Überhang an
ungeschiedener, destabilisierter oder flüchtiger Bedeutung.
Die Einrahmung erfolgt bei der Schrift durch den Mangelsignifikanten
und die Ausschöpfung seiner Möglichkeiten. Die Entsprechung
bei der Fläche besteht darin, daß Zürn nur selten
Leerstellen frei läßt; sie sättigt das Blatt.
Die
Gesichterpartikel, auch wenn sie zusammengepreßt werden,
kommen nie zusammen, es ist immer auch ein Ausweichen und eine
Unvollkommenheit in ihnen. Die Bilder scheinen der Ausdruck nie
vollendeter Identifikationen zu sein, einer imaginären Leere,
die im Artefakt überwunden werden soll. Bei Zürn drängt
sich der Verdacht auf, daß die Unsicherheit, die die Faszination
für das Gesicht speist, schon auf basaler Ebene durch eine
Störung, einen Verlust entstanden ist. Was sie nämlich
antreibt, ist die Suche nach dem einen Gesicht, nach dem Ein.
Das ist ein grandioses Phantasma, da es eine ursprüngliche
Sicherheit und Ganzheit aufruft, die vor der Entdeckung der Vielfalt
der Welt liegt. Ich zitiere aus Notizen einer Blutarmen, wo
die Vergeblichkeit und der Mangel am einzigartigen Objekt benannt
wird.
Die
Quersumme aller Gesichter, mit denen ich lebte, ist erschienen.
Es existiert, dieses Gesicht! Endlich habe ich es im ganzen gesehen
und begriffen. Bei dem einen ist eine Spur um Schläfen und
Augen, im Inneren der Hände und im Gang, der das Schwindelgefühl
ausdrückt (bei meinem Sohn) bei dem anderen
ist es um Mund und Kinn und in der Magerkeit der Schultern
(bei meiner Tochter). Aber das sind nur zwei nur zwei von
so vielen Steinchen, die an dem Bilde bauen. Wie lange? So lange
ich denken kann. Woraus ist mein Unglück entstanden? Aus
der Verwechslung von Gesichtern mit dem einzigen Gesicht. Weil
meine Kindheit aufhörte, in einer Stunde, in der ich das
Drama meiner Eltern begriff, brach da auch der wunderbare Instinkt
für das einzige Gesicht? Irrtümer fingen an. Jeder Irrtum
mit einem Jubelschrei: hier ist es, das Gesicht! Es war etwas
um Mund und Nase etwas anderes um Stirn und Schläfe.
Immer nur eine Spur. Niemals das ganze Bild. Dreimal zog ich mich
heftig zurück, auf ein Bett im Krankenhaus. Jeder Irrtum
endete im Hospital, machte mir Fieber, verbog mir die Knochen
und ließ mich als Neugeborenen, so dumm als je zuvor, zurück.
Nun aber werde ich mich hüten, je wieder einem Gesicht nachzujagen.42
Wenn
Zürn behauptet, das eine Gedicht erblickt zu haben, dann
wird man ihr kaum Glauben schenken können und eher zu der
Annahme neigen, daß sie wiederum einer Verkennung unterliegt.
Denn wie kann es dies eine Gesicht geben, wo die anderen Gesichter
sich am Ursprung als Irrtum und unhaltbar erwiesen haben. Das
eine Gesicht wäre ein halluzinatorisches und weniger von
realer Art. Es wäre Zeichen einer geschichtslosen Leere,
eines Stillstandes, mithin eines Objekts ohne Rest.43
Die
Erkenntnis des Dramas ihrer Eltern ist nur die Umschreibung davon,
daß begonnene Identifikationen zur Auflösung gekommen
sind, daß sie nicht zuende gelebt werden konnten. Ein Riß
entsteht und das Subjekt fällt zurück in den Zustand
eines hilflosen Kleinkindes (Krankheit, Dummheit).
In
ihrem Text Eindrücke aus einer Geisteskrankheit beschreibt
sie die Genese der Sucht nach dem Gesicht. Kindheitsphantasien
und Halluzinationen und die Arbeit an der Zeichnung nehmen als
Ersatzreales die Stelle ein, wo im Imaginären ein Loch gerissen
und der Austausch lahmgelegt ist:
In
dieser Bemalung entdeckt sie Gesichter, so wie sie es als Kind
erlebt hat oder im Zustand einer fiebrigen Krankheit. Eine Masse
von Gesichtern, dicht aneinandergedrängt. Jedes Gesicht sieht
anders aus, und doch scheinen sie aus einer einzigen sehr großen
Familie zu stammen. Die Züge sind einander verwandt. Diese
Gesichter bewegen sich, sie verziehen den Mund zu einem Lächeln,
sie rollen mit den Augen, sie können sich zu einem lieblichen
Lächeln verwandeln, ebenso wie in die Grimassen des Zornes,
der Traurigkeit oder des Wahnsinns.
Sie wendet die Augen ab und blickt auf den Fußboden: Wo
sie hinsieht, sind Gesichter, die sich bewegen. Sie hat einmal
von sich selbst gesagt: "Ich bin beim Zeichnen von Gesichtern
besessen." Einige Stunden vergehen mit diesem Schauspiel, das
ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Sie erkennt in diesen
Gesichtern, die sich teilweise zwischen sehr kostbar gezeichneten
Blumen- und Pflanzenblättern befinden, Gesichter, wie sie
sie selbst schon gezeichnet hat ... Sie sieht also ,neue' Wesen,
an die sie bisher nie gedacht hat. Sie betrachtet dieses Schauspiel
als eine kostbare Unterrichtsstunde im Zeichnen, aber sie weiß
zugleich mit einem großen Bedauern, daß es ihr unmöglich
sein wird, solche phantastischen und in der Technik vollendet
schöne Wesen zu zeichnen.44
Unica
durchlebt in ihrem Schau-Spiel eine Entspiegelung, das Mißglücken
ihres Narzißmus. Das Bild, das ihr Vor-Bild für das
eigene Heil sein könnte, ist so übermächtig und
gleichzeitig in seiner Zerstückelung so unvorstellbar, daß
sie an ihm scheitert. In dem Moment, wo das Bild-Objekt erscheint,
er weist es sich als unfaßbar. Der Schock der Leere macht
das Subjekt entweder ausdruckslos, läßt es in den Zustand
der Zerstückelung zurückfallen ("Jeder Irrtum verbog
mir die Knochen.") oder läßt es an einem frühen,
entlebendigten Ideal zwanghaft festhalten.45 Zwar ist
jedes Subjekt mit Unvollständigkeit geschlagen, aber da sie
im Normalfall noch am Imaginären teilhat und es speist, bewirkt
sie, daß das Subjekt begehren und lieben kann. Bei Unica
geht der Wunsch nach Vollendung jedoch unmittelbar zum Punkt des
Abbruchs der Geschichte. Das perfekte Bild ist halluzinatorischer
Art und damit gleichbedeutend mit der Aufkündigung des Realitätsverhältnisses.
Nur hier, im Kosmos der Zeichen, würde sich das Begehren
nach dem Anderen-Objekt realisieren. Jenseits der Halluzination
lebt das Subjekt in der Frustration der Bilderlosigkeit, der verlorenen
Identifikationen.
Das
entschwundene Gesicht ist verlorene Bedeutung, mehr noch, für
Unica wirft es den Schatten des Todes. Nicht sehen und nicht wissen
und warten auf das Wunder das ist die Situation des hinausgeworfenen
Kindes.
Mein
Wunder hat etwas von einem Gesicht. Von einem bestimmten und tödlich
wirkenden Gesicht. Ich schäme mich, es auch nur im entferntesten
zu beschreiben. Man wird sehen nein, man wird garnichts [sic] sehen.46
Die
innere Blindheit bannt den äußeren Blick, der die ewig
changierenden Gesichter abtastet, nach einem Halt sucht, nach
dem Wiedererkennen. Zürns Zeichnungen nehmen diesen gebannten
Blick zum unaufhaltsamen und untreuen Objekt auf. Im Bereich der
Sprache verfährt das Anagramm ganz analog: Der Ausgangssatz
hält nicht sein Versprechen nach Konsistenz und Persistenz;
er wird nicht weitergeführt, sondern auseinander gebrochen
und neu gefügt. Plötzlich spricht er von etwas ganz
anderem. Das Anagramm ist tatsächlich wie eins dieser Gesichter,
auf das kein Verlaß ist; es entzieht sich und wechselt sich
mit einem anderen aus, das anderes bedeutet. Die Häufung
von Anagrammen in einem Gedicht ist wie die Ballung von Gesichtsaspekten
in einer Zeichnung: Es wird darin die Hoffnung artikuliert, daß
die Quersumme das Ganze ergeben möge.
Letztendlich
bleibt das Drama, daß trotz der Umfassung nichts zusammengeht;
es bleibt der Mangel, die Traurigkeit. Die Kunstwerke nehmen den
Versuch auf sich, das Verlorene wiederzubringen. Ihr Sprechen
ist allerdings eines, das aus der Spur geraten ist. Der Schrecken
vor der Leere kann nicht im Bild des anderen gebannt werden; stattdessen
wird er gemildert in einem stillen und festgefahrenen Symbol,
dessen Wandlungen das Band mit den Referenzen heillos verwirrt
hat. Das Subjekt hält inne in der Bewegung seiner Selbstkonstitution
und verharrt bei seinen melancholischen Objekten. Diese nehmen
als (illusionäre) Gewißheiten den Platz ein, den vorher
andere Bedeutungen besetzt hielten.
Exkurs: Psychotische Poisis und Anagrammatik
Dem Psychotiker dämmert, daß er haltlos in der Welt
steht. Etwas hat aufgehört, ihn zum Dialog aufzufordern.
Nicht einmal die Kategorie des Verlustes steht ihm zu Gebote,
in der noch die Abwesenheit symbolisch zu bearbeiten wäre.
Er ist konfrontiert mit der reinen Abwesenheit. Ohne den verinnerlichten
imaginären anderen (der auch jeden Monolog zu einem Dialog
macht) bleibt unklar, von wo das Sprechen kommt und wer die Bedeutungen
generiert. Dieser Umstand der Undeutlichkeit des Aussageortes
ist auch konstitutiv für das Anagramm. Die Antwort auf die
Frage: wer spricht (das Subjekt, das Objekt oder die ins Außen
auf die Dinge projizierte Stimme des Subjekts?), verliert sich
in der Opazität des Textes. Das Anagramm kreiert als Fundsache
eine surreale Gegebenheit. Ganz ähnlich haben die Bedeutungen
für den Psychotiker nicht selten die Charakteristik von Erscheinungen.
Diese streben zur inneren Homogenisierung, zur Errichtung einer
monadischen Wahrheit oder Identität, die die Revision im
dialektischen Prozeß nicht zuläßt.47 Die Zeichen müssen mit Gewißheit ausgestattet werden,
gerade weil jeder Moment falsche Zeugen, falsche Gesichter auf
die Bühne bringt. In der psychotischen Poiesis werden die
Dinge in überraschender Wendung mit Neubedeutungen ausgestattet,
die nun als "Stillstandsformen"48 signifikative Sicherheit
vermitteln (was allerdings nicht ausschließt, daß
sie gelegentlich ein bedrohliches Gepräge haben).
Eine
mögliche Verfahrensweise der psychotischen Neukonstruktionen
besteht nun darin, daß sie als Rangiersystem das phonematische
Material benutzen. Die Ähnlichkeit mit den anagrammatischen
Umbauweisen ist offensichtlich. Einige Beispiele sollen zur Veranschaulichung
zitiert werden.
Marcel
Czermak berichtet von einem Patienten49: Eine innere
Stimme hat ihm den Befehl auferlegt, aus dem Fenster zu springen.
Der Patient folgt der inneren Aufforderung; er überlebt den
Sturz. In der Analyse, die er nach dem Suizidversuch beginnt,
berichtet er dem Analytiker davon, welches Verhältnis er
zur Sprache hat. Er glaubt zu wissen, daß das Sprechen Leben
zu bringen in der Lage ist und eine Fruchtbarkeit für den
Sprecher hat nur eben nicht für ihn.
Der
Sprung aus dem Fenster und die Unmöglichkeit zur lebendigen
Sprache zu finden, verknüpfen sich für dieses arme Subjekt
in einer Sprachmodulation: parier fait naitre bildet eine
Paraphonie zu par la fenetre. Für den Mann, der aus
dem Fenster sprang, hatte die reine halluzinatorische Stimme eine
unumstößliche und unausweichliche Wahrheit. Hätte
er die Schrift gesehen, ihm wären vielleicht Zweifel gekommen.
Man
kann sagen, daß ihm das Lesen abhanden gekommen ist. Der
Körper sucht den Tod, den vorher bereits das Symbolische
gefunden hat.
Die
Paraphonie ist kein Anagramm, beide stehen aber in Nachbarschaft
zueinander, da sie Bedeutungswandlungen über den Klang erzeugen.
Im vorliegenden Beispiel liegt zwar unterschiedliches Buchstabenmaterial
vor, doch könnte man die Konstruktion als "phonetisches Anagramm"50 kennzeichnen: Der Ausgangssatz parier fait naitre wird
nämlich auseinandergerissen und im Anschluß zu par
la fenetre neu montiert. Der Sinn schlägt um in einen
anderen; Sinn tötet Sinn.
Ganz
ähnlich erfolgt die symbolische Katastrophe und Neudeutung
bei einem anderen jungen Mann. Eine psychotische Episode beginnt
in dem Moment, als ein Freund in seiner Anwesenheit die Türe
hinter sich schließt, um sich in Ruhe auf ein Examen vorbereiten
zu können. Für den jungen Mann verschwindet jemand aus
seinem Blickfeld. Daraufhin hat er den Eindruck, daß er
verfolgt wird von jemandem, der ihn zu töten beabsichtigt.
Ohne Bild ist er nichts, zum Tode verdammt. Unschwer erkennt man
in dieser Szene das Drama des sprachlosen Kindes, dem sein Gegenüber
abhanden gekommen ist, und dessen Fort-Sein es symbolisch nicht
zu bearbeiten vermag. Der Verlust des Selbstgefühls durch
den Abgang eines anderen und der Verfolgungswahn drücken
sich im Französischen durch die Überlagerung zweier
Phrasen aus: on me suit (jemand verfolgt mich) und on
me suis (jemand bin ich). Das on/jemand wirkt wie eine
Nichtung des Subjekts, das doch eigentlich vor dem anderen zur
Anerkennung seiner selbst gelangen könnte: Ich bin ich. Der
Sinn der Dinge springt gerade so wie die Sätze im Anagramm;
die Identität einer Sache geht über in eine ganz andere.
Solche
"Uberraschungseffekte"51 kennt auch der Senatspräsident
Schreber. "Gewunderte Vögel" hört er sprechen, denen
er hin und wieder zum Zeitvertreib Worte als Futter hinwirft.
Diese Vögel wissen nicht, was sie sagen, aber es ist ein
Spiel mit lautlichen Äquivalenzen, das sie aufführen.
In die Kategorie Lautanagramm passen folgende Beispiele:
Chinesenthum/Jesum
Christum; Briefbeschwerer/Herr Prüfer schwört. Schreber
spricht in einer Fußnote vom "Aufschreibe- und Sprechmaterial"52.
Es liegt nahe, in diesem Ausdruck die Dominanz des Signifikanten
über das Signifikat zu erkennen. Und wer könnte schon
mit plappernden und unverständigen Vögeln sich unterhalten.
Die Psychose räumt auf, entleert die symbolisch geordnete
Realität. Ein Wort, ein Gegenstand oder eine Geste wird verworfen,
um in einer Neukonstruktion eine Wiedergutmachung zu erfahren.
Die Wiedergutmachung kommt allerdings einer Austreibung der Dialektik
gleich, die ihre Konsequenz im Verlust des Ich hat.
Die
Aufgabe des Ich kommt unmittelbar zum Ausdruck in der Beseitigung
des Eigennamens. Wird dieser hergegeben, wird auch die Person
verneint und die Herkunft aufgekündigt. Zwei Beispiele zeigen,
wie mit Hilfe (para-)ana-rammatischer Strategien dieses Ziel erreicht
wird.
Gerard
Primeau, ein hospitalisierter Patient, gibt in einem Interview
Auskunft über seine Umbenennung. Da er die Sprache als geschichtet
auffaßt ("strata/substrata"), kann er seinen Namen
dekomponieren, was ihn zu Geai Rare Prime Au (Seltener
Häher Erster In) macht. Wie beim Anagramm erscheinen auch
hier die Merkmale von Zerstörung und Aufbau innerhalb der
Vorgabe eines gegebenen Materials. Zudem versieht Primeau diesen
Akt mit einem Kommentar, den Unica Zürn über ihre Anagrammarbeit
hätte sprechen können: "I had fragmented my name to
create ... Imposed Speech is an emergence which imposes itself
on my intellect and which has no meaning in the ordinary sense.
These are sentences which emerge."53
Die
Sätze kommen wie eine Fremdgewalt über das Subjekt,
das nicht weiß, was da eigentlich spricht und gesprochen
wird. Primeaus poetischer Automechanismus läßt ihn
zurückkehren in den Zustand, wo es die Namen noch nicht gab,
nur ein mysteriöses, klingendes und unfaßbares Außen:
"I tried, by poetic action, to find a balancing rhythm, a music.
I was led to think that Speech is the projection of an intelligence
which arises toward the outside."54
Anzumerken
ist, daß Primeau das, was er "intelligence" nennt,
nicht nur in der Musik der Worte findet, sondern ebenso im Strahlen
der Gesichter. "I seek beauty whkh radiales. ... I seek ... this
irradiation of the face which puts one in relation with this sensitive
intelligence."55
Die
sensitive Intelligenz evoziert das Namenlose, das ekstatische
Licht.56 Wird in den Worten und den Gesichtern die
Lust wachgerufen, die nur das mythische Urweibliche zu geben vermag,
eine Mutter, die als Ewig-Kommende Klang, Farbe, Licht, Rhythmus
mit sich bringt? Deutlich erkennbar ist die diffuse Subjekt-Objekt-Relation:
Die Ränder verschmelzen oder das Innen erscheint als Außenprojektion.
Die ästhetischen Erscheinungen können in diesem Sinne
als inzestuös beschrieben werden, da sie die Kraft haben,
den Zustand vor dem Sprechen mit dem anderen wachzurufen. Primeaus
Kommentar und Deutung scheinen dies zu bestätigen, denn Wort
und Antlitz zeichnen sich durch "sensitivity" und "no meaning" aus.
Wie
Primeau geht auch eine andere Person den Weg zurück zur dyadischen
Mutter-Kind-Einheit und zum Anagramm in seiner strengen
Form.
Jean-Claude
Schaetzel berichtet über einen Analysanten mit dem phantastischen
Namen Bronzeheimet.57 Die psychotische Krise für
Bronzeheimet besteht darin, daß er seine Herkunft verloren
hat, daß matrilineare und patrilineare Genealogien verwirren
und abbrechen, Identifikationen und Besitzansprüche und -wünsche
einander widersprechen. Bronzeheimet ist ohne Ort, denn er hat
seinen Namen verloren/verworfen. Er versucht, das Verlorene zu
finden auf Ämtern, in Urkunden, und er sucht auf alten Photographien
nach einem Zeichen der Liebe zwischen seinem Vater und der Mutter,
denn ihre Liebe wäre die Bestätigung seiner Herkunft.
Doch er findet nichts (auch wenn er es sieht), denn er ist blind
für die Realität, zu der er keinen Zugang mehr hat.
In der Therapie gelingt ihm der unmögliche Rettungsgriff:
Er erfindet einen Namen für sich. Das Unmögliche an
diesem Akt liegt nun darin begründet, daß er nicht
dem Modell einer (Selbst-)Taufe folgt, sondern dem einer Geburt.
Bronzeheimets neuer Name ist nämlich ein Anagramm aus seinem
Vornamen und des Nachnamens seines Therapeuten. Wir durch Zufall
ist dieses Anagramm ein doppeltes, denn es enthält gleichzeitig
den Vornamen des Therapeuten. Um dem Geburtsakt Form zu geben,
nimmt Bronzeheimet ein Blatt Papier und stellt sich selbst eine
Geburtsurkunde aus. Dieses Schrift gewordene Anagramm ist der
Kreuzpunkt für verschiedene, einander widersprechende Strebungen:
Aufkündigung der eigenen Identität und der des anderen;
Beschaffung einer neuen Identität; Verschmelzung mit dem
Objekt durch die Vermischung der Signifikanten; Lossagung von
der realen Geschichte zugunsten einer halluzinatorischen Genealogie.
Der Mann gebiert sich selbst und bleibt doch auf geheime Weise
in der Umklammerung mit einer Mutterfigur, die in den Buchstaben
sich versteckt hält. Die Leere, die durch die Unbeantwortbarkeit
der Herkunftsfrage entsteht, wird mit einem Wort-Objekt besetzt.
Dieses Wort treibt das Wissen(-wollen) aus und verschleiert das
unglückliche Begehren. Der Name aus Namen hüllt das
Subjekt in eine Sicherheit; sein Sprechen verkündet hingegen
das Gegenteil: das Verlorensein. Dieses von Bronzeheimet produzierte
Anagramm hat meines Erachtens paradigmatischen Wert für die
Analyse der Zürnschen Texte. Das Wortprodukt berührt
die Grenze des Delirs, wo sich Bilder einzustellen beginnen, die
einen unbenennbaren und unerkannten Verlust ungeschehen machen
oder doch zumindest lindern sollen. Gleichzeitig können sie
in dieser Funktion nicht umhin, den Verlust wachzuhalten: Wie
anders wäre es zu deuten, daß Zürn die widerstrebenden
Empfindungen von großer Lust und Traurigkeit bei ihren Anagrammen
empfindet.
Verlorene
Objekte
In Der Mann im Jasmin erzählt Unica Zürn zwei
Episoden, in denen sie den Eintritt in den Wahnsinn mit ihren
Anagrammen in Verbindung stellt. Der Ablauf der einen Begebenheit
ist wie die Spiegelverkehrung der anderen; das Resultat ist in
beiden Fällen das gleiche: Wollüstige Vereinigung mit
dem Wortkörper gegen die Welt.
Das
alte gefährliche Fieber der Anagramme hat sie gepackt. Eines
nach dem anderen entsteht. Gefährlich für sie, weil
sie sich wieder vollkommen gegen ihre Umwelt abschließt.
Eine neue Krise, von ihr nicht bemerkt, kommt auf sie zu. Keine
Halluzinationen, nichts Außergewöhnliches, aber man
bemerkt eine Veränderung an ihr. Sie schläft und ißt
nicht mehr, sie will frei sein. Sie erklärt, allein leben
zu wollen. Dieser Wunsch, der jedesmal zu einer Katastrophe für
sie führt und dessen Folgen sie kennt, aber im kritischen
Augenblick wieder vergißt. So behutsam, daß sie es
kaum bemerkt, schließt sich wieder eine Tür hinter
ihr: Sie befindet sich in der psychiatrischen Klinik von La Rochelle.
Verloren
für alle vernünftigen Gründe oder Überlegungen,
unterbricht sie die lange und ernsthafte Freundschaft mit dem
Mann, der sie damals mit sich nach Paris genommen hat, um sein
Leben mit ihr zu teilen. Sie entschließt sich, nach Berlin
zurückzukehren ...
Diesen letzten Pariser Tag verbringt sie mit Freunden und bittet
diese, ihr eine starke und wunderbare Musik vorzuspielen ... Vielleicht
hätte sie an diesem Tage lieber die berühmten Trompeten
von Jericho gehört eine Musik, die einen großen
Untergang verkündet. In Gedanken versunken bleibt sie ausgestreckt
auf einem Bett, und plötzlich beginnt das Innere ihres Körpers
deutlich auf die Fragen zu antworten, die sie sich stellt ...
Diese vagen Töne in ihrem Körper werden in dieser Nacht
zur verständlichen Sprache. Die Stimme eines Dichters, den
sie kennt und verehrt, spricht in der Tiefe ihres eigenen Bauches
ein Anagramm, das sie aus einem Satz gemacht hat, den sie in einem
der Bücher dieses Dichters fand. Dieser Satz heißt:
Und scheert ihr Rosenbärtlein ab.
Mit
tiefer, unendlich beruhigender Stimme spricht er dieses Anagramm:
Tristan
neben Isolde. Herber Rauch
irrt über das harte Leben. In schon
bleiche Birne aus sternroter Hand
bau'n die Lerchen ihr Nest. Aber rot
rebenrot schneit es Baldrian-Ruhe.58
Das
Anagramm ist für Zürn offenbar ein Ort der Abkehr. Sie
verläßt den Freund und mit ihm das imaginäre Zentrum,
wohin die Liebe das Subjekt stellt. Unica kreist in einer Art
wahnsinnigen Liebe um ein halluzinatorisches Sprachgebilde.
In
beiden Episoden nimmt der Text die Stelle ein, wo vorher der Kontakt
mit der Umwelt und mit den Menschen war: entweder als Arbeit an
der Schrift oder als Stimme, die aus ihrem Bauch kommt (verschluckte,
gefressene Worte), um die Einsame mit einer Musik zu beruhigen.
Das Sich-Versenken in die Worte ist kein Spiel mehr; dieser Mensch
bezieht eine Behausung, die keine Durchgänge mehr hat.
Der
Abschied von dem Geliebten wird von dem Glauben an Unabhängigkeit
und Freiheit genährt; was er wirklich inszeniert, ist der
Verlust, die radikale Einkehr in die Einsamkeit. Widersprüchlich
zu dieser Deutung scheint die Tatsache zu sein, daß die
Trennung auf der Darstellungsebene eher undramatisch und, was
den Wortaufwand betrifft, beiläufig abgehandelt wird; die
Leidenschaft scheint ganz bei den Worten zu sein. Zur Erklärung
mag eine allgemeine Beobachtung nützlich sein.
Liest
man Berichte von Psychotikern, so fällt auf, daß fast
immer ein Moment erscheint, wo das Subjekt etwas verliert, verlassen
wird oder in der Angst vor einem Verschwinden steht. Es ist ein
befremdliches Merkmal dieser Schilderungen, daß sie emotional
nie das widerspiegeln, was sie bedeuten. Sie sind in der Tendenz
kalt, ohne Schmerz und Verzweiflung. Etwas kommt zum Abbruch
manchmal nur einen Augenblick lang oder auch für Wochen
bis dann alles durcheinander gerät. Das Verlorene, das dem
Außenstehenden oft recht nichtig vorkommt, trägt in
jedem Fall jedoch eine symbolische Überlast, die das Subjekt
mit früheren Verlusten in Verbindung bringt. Das Verschwinden
der symbolischen Sache reißt ein Loch, stellt das Subjekt
vor eine Leere, die es perplex macht.59 Lacan meint,
daß jene Phase in der Ontogenese reproduziert wird, wo die
Objekte, "von einer unsäglichen Fremdheit verwandelt, sich
als Chocs, Rätsel und Bedeutungen enthüllen."60
Das
Trauma des Nicht-Verstehens erzeugt die Verwirrung, die Depression,
Halluzinationen und zuweilen den Suizid. In den Texten Zürns
stößt der Leser wieder und wieder auf Schilderungen
solcher Bedrückungen, die der ganze Reichtum der Frau ist.
Das
Unglück füllt mich wie ein Konzert mit reinen, trunkenen
Tönen. Ohrenbetäubend und niederschmetternd, wie ein
langer Gesang von Sommerkindern.61
Das
Anagramm ist der Kindergesang, das Singen eines Kindes, das nicht
versteht, warum es so unglücklich ist. Mit seinem Gesang
holt es die Stimme zurück, an der es ihm mangelt, die Stimme,
die nicht zu ihm gesprochen hat.
Das
Aufscheinen des Anagramms im Moment der Trennung wiederholt offenbar
Szenen der Unterbrechungen aus früher Zeit und die einsame
narzißtische Tröstung durch Selbstaffektion. Sprache
ist kein symbolischer Einsatz zum Zwecke des Austauschs, sie ist
das Phantasma einer großen Einheit ohne einen anderen. Der
leere Platz muß mit Bildern bestellt werden, die die eigentliche
Tragödie vergessen machen sollen. Die Texte drängen
daher auf Abschluß, auf Vervollständigung, sie wollen
ohne Rest sein, aus dem für gewöhnlich Geschichte kommt:
undurchlässiges Universum.
Das
Anagramm ist der unmögliche Versuch, eine reine Anwesenheit
zu konstruieren. Normalerweise steht ein Sprachakt in der Dialektik
von An- und Abwesenheit: Indem die Worte sich in die Welt stellen,
nehmen sie den Platz für ein Nicht-Vorhandensein ein: ich
spreche da, wo ich nicht im Sein der Sache bin. Die Aufrufung
der Sache macht sie mir jedoch gegenwärtig, ich verfüge
wenigstens noch über den Verlust. Diese Dialektik ist geradezu
notwendig, um dem Gegenwärtigen einen Sinn zu geben, der
eben nur durch die Differenz zu dem Abwesenden einsteht. Die Abwesenheit
ist nicht einfach nur eine Leere, sondern etwas Symbolisierbares.
Ist die bisherige Analyse des Anagramms stichhaltig, dann hat
der Text eine so große Nähe zum Körper (die Stimme
aus dem Bauch), daß die für das Symbolische notwendige
immaterielle Transzendenz zur Abwesenheit fehlt: Das Anagramm
ist Buchstabenkörper, Singstimme, Gesicht. Die unmittelbare
Gegenwärtigkeit verdeckt den unerträglichen Aspekt der
desymbolisierten Abwesenheit. Gleichzeitig verfehlen die Texte
dieses Ziel der distanzlosen Nähe. Ohne halluzinatorisches
Halo enthüllen sie ihren traurigen Charakter. Letztendlich
nimmt das Anagramm in seine Form die Qual auf, gegen die es geschrieben
wurde. Gänzlich enthebt sich die Sprache nicht des Sprechens
und in ihrem vollen Sein wird sie die Verlassenheit immer wieder
in Erinnerung rufen.
Zürns
Rekurs auf die Traurigkeit sucht allerdings den Ort, wo das Symbolische
kraftlos ist. Die Emotion der Traurigkeit ist nämlich zu
unterscheiden von der der Trauer. In der Traurigkeit kennt das
Subjekt nicht das Objekt, das ihm fehlt; in der Trauer weiß
es, unter welchem Mangel es leidet.
Ich
vermute, daß die große Dunkelheit und Melancholie
der Zürnschen Anagramme aus dem Umstand resultiert, daß
eine basale Trauerarbeit nicht erbracht worden ist. Die These
wäre zu vertreten, daß die Fähigkeit zur Symbolisierung,
also die Erlebbarkeit der Differenz von fort/da nur durch eine
vorgängige Trauerarbeit möglich ist. Etwas muß
als abwesend erlebt worden sein und nicht einfach als ein in ein
Nichts spurlos Verschwundenes. Die Trauer erzeugt Rituale, die
das Verlorene benennen, symbolischen Ersatz schaffen und die schließendlich
den Verlust verwinden helfen.
Zur
Illustration ist an Freuds Schilderung des Fort-Da-Spiels eines
Kindes zu erinnern, das das Modell für eine Trauerarbeit
ist: Das Kind wirft eine Spule über den Rand seines verhängten
Bettchens. Das Verschwinden der Sache wird mit einem bedeutungsvollen
"o-o-o-o" kommentiert. Anschließend zieht das Kind an einem
Faden die Spule zurück und begrüßt das Erscheinen
mit einem freudigen "Da". Freud interpretiert dieses Spiel als
Entschädigung für das Verschwinden der Mutter.62 Das Hantieren mit der Spule und die dazu gesprochenen Laute bilden
das Ritual der Bewältigung; Ding und Klang der Stimme sind
der symbolische Ersatz für etwas anderes. Ohne diese Produktion
auf der Ebene der Zeichen würde lediglich ein Nichtverstehen
einsetzen; die Abwesenheit wäre ein sinnloses Vorkommnis,
weil es ohne Differenz ist.
Das
Perplex-Sein (oder theoretisch gesprochen: die Verwerfung) ist
dieser Zustand ohne Trauer.
Die
Unmöglichkeit der Trauer erzeugt die Traurigkeit und die
Depression. Dem primordialen Ich ist etwas entzogen worden, wodurch
das Subjekt in Verzweiflung gerät, ohne daß es wüßte,
an was es ihm mangelt. Der Affekt und die Emotion müssen
als präsymbolisch bezeichnet werden, da sie nicht die Leuchtkraft
haben, den Grund ihrer Verursachung erscheinen zu lassen.
Was,
um Himmels Willen, ist in mich gefahren? ... Wer? Er oder Es!
Dieses Es, das mich in diesen letzten Tagen von allen Seiten ansieht
... Das Namenlose ist schlimmer als das, dem man einen Namen (selbst
einen falschen Namen) gefunden hat: Wintermelancholie Todesahnungen
Einbildungen das ist sein Name!63
Das
Leid entspringt einer Verfassung, wo es stabile Objektbeziehungen
(noch) nicht gibt. Der dumpfe Schmerz ist ein "archaischer Ausdruck",
der seinen Ursprung an der genetischen Stelle hat, wo Subjekt
und Objekt noch nicht äußere Agenten in der Realitätskonstitution
sind. Das Leid, die Wintermelancholie kommen aus einer "narzißtischen
Wunde".64 Wenn Zürn meint, daß auch die
falschen Namen die Wunde zu bezeichnen vermögen, so verkennt
sie, daß sie noch fern von der Trauerarbeit ist, die allein
die eigentliche Erleichterung zu bringen vermag. Auch der poetische
Text, der den todernsten Moorgesang anstimmt, nimmt ja nur die
Stelle der Leere ein, ohne das Eigentliche zurückzurufen;
er bleibt außerhalb der symbolischen Dialektik. Er ist in
diesem Sinne ein ideales und zugleich melancholisches Objekt,
da er sowohl Ganzheit suggeriert als auch "Ichverarmung" (Freud)
anzeigt.
Die
Abspaltung der depressiven Emotion von der Objektrepräsentanz
führt zu einem ewig fließenden Schmerz, der sich beständig
neue Gestalten sucht.
Liebe,
Raben Sehnsucht, Tod, an irrer Leere bricht der Sinn.65
Jacobson/Kristeva
behaupten, daß in bestimmten Formen narzißtischer
Depression die Traurigkeit zum eigentlichen Objekt der Pflege
und Kultivierung genommen wird, weil das Subjekt Mangel an anderen
Objekten hat. Hinzuzufügen wäre: weil es Mangel an Trauer
hat.66 Ohne Trauer zeigt das Leid auf nichts als sich
selbst: "Was soll ich denn mit dem Glück beginnen, nachdem
ich mich so im Unglück eingerichtet habe."67
Zürns
anagrammatisches Schreiben ist ein Versuch, das verlorene Ideal
zu beschwören und im Kunst-Fundstück zu ergreifen. "Zuende
zu/suchen, zu sehn und zu finden, geht fern."68 schreibt
sie in einem Anagramm. Die Ferne scheint die Vergangenheit zu
sein, und die Kunst artikuliert die Sehnsucht, dorthin zu gelangen.
Allerdings ist die Wiederkehr nur in der Verstellung und Umgießung
möglich.
Und
die Bewunderten ziehen in mich hinein und legen sich zu den übrigen,
wenigen Schätzen, die noch aus der Kindheit kommen. Das brennt,
das regt sich, das bildet und kommt von Zeit zu Zeit zurück
in einer Zeichnung oder in einem Anagramm ausgegossen
und umgeformt.
Und so, wie diese Schätze beruhigen, so beunruhigen sie auch.69
Die
Sätze hegen eine Hoffnung, weil sie an ein Heil denken lassen.
Doch sogleich meldet sich die Beunruhigung, dessen Ursachen von
Zürn nicht benannt werden. Sie führt den Text weiter,
indem sie für sich die Unvorstellbarkeit von Harmonie und
Nähe postuliert. Tatsächlich sind Hoffnungen, Wünsche,
Gemeinsamkeiten nur vor dem Horizont ihrer Negation sinnvolle
Konstrukte, und es ist genau diese Negation, die als virtuelle
Gegebenheit den großen Schrecken mit sich bringt.
Der
Schrecken ist in Zürns Literatur ständig gegenwärtig;
die Worte umkreisen ihn, ohne ihn berühren zu können.
Letztendlich bleibt er als Bedrohung geheimnishaft.
Unica
hält sich die Liebe vom Leib, weil sie die Aspekte unerträglicher
Verluste wachruft. Das ist ein vergeblicher Versuch, denn in der
Abkehr haust der Tod, der der Verlust schlechthin ist.
Ihr
Liebesphantasma vom weißen, gelähmten Mann in Distance,
der lediglich zu ihr spricht, gibt diesem Tod im Leben einen Ausdruck:
Das Berühre-mich-nicht erzählt nicht von Unschuld, sondern
von der schmerzvollen Erfahrung mit der Berührung.70 Dieser weiße Mann, der der reine Sprechkörper ist,
stellt eine bildhafte Analogie zu ihrer Anagrammkunst dar. Auch
die Anagramme sind gelähmte Sprachwesen; sie können
sich nicht ungehindert entfalten, da die Signifikantenbewegung
durch die Buchstabenkontingentierung eingeschränkt ist. Die
Bedeutungsdunkelheit spricht von Unnahbarkeit, von der verheißungsvollen,
gefahrlosen Ferne des gefahrvollen Wunsches.
Am
Ende bleibt immer das Unüberbrückbare, der Spalt, die
Erwartung, die sich in ein sichtbares Bild einkleidet, die aber
"unempfindlich gegenüber dem Leben oder dem Leben entrückt
[erscheint]".71 In einem Anagramm aus dem Jahre 1959
präsentiert Unica Zürn poetisch-pathetische Bilder,
die um das Fühlen der Kälte und um die Unfähigkeit
zur Teilnahme kreisen. In dem Satz "Ich weiß nicht, wie
man die Liebe macht", der ihr Credo hätte sein können,
entdeckt sie die folgenden Zeilen:
Wie
ich weiss, ,macht' man die Liebe nicht.
Sie weint bei einem Wachslicht im Dach.
Ach, sie waechst im Lichten, im Winde bei
Nacht. Sie wacht im weichen Bilde, im Eis
des Niemals, im Bitten: wache, wie ich. Ich
weiss, wie ich macht man die Liebe nicht.72
Im
Eis des Niemals mag sich niemand einrichten, denn hier stehen
nicht die illusionären Möglichkeiten zu Gebote, die
es braucht, um an der Liebe teilnehmen zu können. So bleibt
am Ende für Unica - die Einzige, die Einsame - nur die Klagesprache.
Was
braucht es, sie erhören zu können?
Absage
Jedes
Kind will dorthin zurück, von wo es kam. Weil dieser Wunsch
unmöglich ist,
wird es gefüttert: mit Milch, mit Zärtlichkeit, mit
Worten, mit Blicken.
So
lernt das Kind das Rufen.
Doch
nicht immer gibt es Antwort. Unheimlichkeit in lautloser Tragödie:
Die Stimme, die hinausgeht und keine Antwort erhält, verhallt.
Ohne Rückkehr durch die Andere-Stimme erstirbt sie schließlich.
Tod stellt sich ein, bevor das Leben begann. Das Kind kann den
unbewohnten Raum nicht verlassen.
In
die Abseite gestellt, liegt das Kind wie gelähmt. Ein schwarzes
Nichts umschließt es. In der Dunkelheit ist es voller Angst.
Ohne Licht bleibt ihm nicht einmal die Ansicht von sich selbst
und den Dingen umher. Schattenwürfe und gehauchte, unfaßbare Gestalten bedrängen die Kinderseele.
Ohne
Bild und Begriff ist es nichts als Ab-Fall: sinnloser Rest oder
nutzloser Überschuß in der Ökonomie der symbolischen
Tauschwirtschaft.
Lebt
es eine Strecke so dahin, wird es ihm
an dem Einsatz für die Lebendigkeit mangeln. Die ungelebte
Kindheit wird Wirkung zeigen. Blindwütig oder todsüchtig
oder zwiespältig erfährt es fortan sein Schicksal.
Es
bleibt ihm nichts, als sich einzuleben in den Dämmerschein.
Dort wird das ewige Kind andere, unsagbare Geschichten erleben,
Gespinste aus einem verlorenen Anfang.
1
Unica ZÜRN, Anagramme, Berlin 1988, 92.
2
Unica ZÜRN, Der Mann im Jasmin/Dunkler Frühling, Frankfurt/M.,
Berlin,
Wien 1985, 18, 94.
3
Zur Geschichte des Anagramms siehe Elisabeth KUHS, Buchstabendichtung,
Heidelberg 1982; Alfred LIEDE, Dichtung als Spiel, Bd. 2, Berlin
1963; H.B. Whf.ati.ey, Of Anagramms, London
1862; Luzia BRAUN, Klaus RUCH, Das Würfeln mit den Wörtern,
in: Merkur, 469 (1988),
225-236; Peter BEXTE, Spiel der Lettern: Angagramm, in: FAZ Magazin,
7.4.1989, Heft 477.
4
Jean-Francois RABAIN, Unica Zürn: Der Mann im Jasmin, in:
ZÜRN, Der Mann, 219.
5
Tatsächlich haben sich in die Anagramme ZÜRNS Fehler
eingeschlichen, die besonders in den späten Texten zunehmen.
6
ZÜRN, Anagramme, 39.
7
Ebenda, 30.
8
Sabina SPIELREIN, Ausgewählte Schriften II, Berlin 1986,
158.
9
Ebenda, 170.
10
ZÜRN, Der Mann, 180.
11
Unica ZÜRN, Das Weisse mit dem roten Punkt: Texte und Zeichnungen,
Frankfurt-Berlin 1988, 11.
12
ZÜRN, Das Weisse, 159-160.
13
Ich verweise auf die Erläuterungen von Sabe SCHOLL, Bemerkungen
zur Ausgabe, in: ZÜRN,
Anagramme, 135-138.
14
Auf eine interessante formale Übereinstimmung ist hinzuweisen:
Auch Lacan benutzt das Verfahren der gestrichenen Buchstaben.
In seinen Graphemen zur Veranschaulichung des psychischen Geschehens
benutzt er das Gestrichene, um das Nichtsagbare, das Nichtsehbare,
das Verdrängte und Kastrierte zu bezeichnen. Dazu ein biographisches
Detail: Unica ZÜRN hat während eines Klinikaufenthaltes
ihren ersten auf französisch verfaßten Text ("Mistake")
dem "Herrn Professor Lacan" gewidmet.
15
ZÜRN, Anagramme, 82.
16
ZÜRN, Das Weisse, 64.
17
ZÜRN, Anagramme, 29.
18
August STRINDBERG, Inferno, Frankfurt a. M. 1987, 40.
19
ZÜRN, Das Weisse, 153.
20
Zürn, Anagramme, 12.
21
Ebenda, 10.
22
ZÜRN, Das Weisse, 152.
23
Hans BELLMER, Über Anagramme, in: ZÜRN, Das Weisse,
223.
24
ZÜRN, Der Mann, 19.
25
Ebenda, 26.
26
Der mystisch-esoterische Zug ist nicht zu verkennen. Daß
das Anagramm in dieser Tradition Ankerung hat, zeigt Erich BlSCHOFF
am Beispiel der jüdischen Mystik in seinem Buch, Die Kabbalah,
Leipzig 1917, 28-29.
In ihrer Kindheitserinnerung The Gift kommt Hilda DOOLITTLE
diesem Zug zum Mystischen auf die Spur. Mit der Mutter und den
Brüdern spielt die kleine Hilda, sie basteln Wörter
aus Wörtern, machen Anagramme. Das Spiel kommentiert die
Autorin mit folgendem Satz: "It was agame, it was a way of spelling
words, infact it was a spell." H.D., The Gift, London 1984,
10. Dem Buchstabieren (spelling) innewohnt eine Zauber (spell), ein Gebannt-Sein. Das Anagramm erlöst das
Wort im Wort.
27
ZÜRN, Der Mann, 26.
28
Ebenda, 26.
29
Ebenda, 94.
30
Julia KRISTEVA, Tales of Love, New York 1987, 133.
31
ZÜRN, Das Weisse, 79, 55.
32
Ebenda, 85.
33
Ebenda, 75.
34
Jacques LACAN, Freuds technische Schriften, Ölten und Freiburg
i. Br. 1978, 151-152.
35
Der Ausdruck "selbstgenügsames Sprechen" entstammt einer
mündlichen Mitteilung Hans
Naumanns (Hamburg).
36
Gisela von WYSOCKI, Weiblichkeit als Anagramm, in: Fröste
der Freiheit, Frankfurt a. M. 1980,
48.
37
Unica ZÜRN, Das Haus der Krankheiten, Berlin 1986.
38
ZÜRN, Der Mann, 93.
39
Julia KRISTEVA, Desire in I.anguage, Oxford 1987, 283
40 ZÜRN, Das Haus, o.S.
41
Lacan, Freuds technische Schriften, 106.
42
ZÜRN, Das Weisse, 58-59.
43
Rosine LEFORT, Robert LEFORT, Die Geburt des Anderen, Stuttgart
1986, 146-147.
44
ZÜRN, Der Mann, 116-117.
45
Jacques LACAN, Schriften III, Ölten und Freiburg im Breisgau,
79-80.
46
ZÜRN, Das Weisse, 56.
47
Jacques LACAN, Some Reflections on the Ego, in: Int. J. Psycho-Anal.,
34 (1953), 12.
48
LACAN, Schriften III, 79.
49
Marcel CZERMAK, The Onset of Psychosis, in: Stuart SCHNEIDERMAN
(ed.), Returning; to Freud,
New Haven 1980, 171-183. Auch der folgende im Text behandelte
Fall ist dem Aufsatz CZERMAKS
entnommen.
50
Den Begriff "phonetisches Anagramm" übernehme ich von Anthony
JOHNSON, der es allerdings in
einem anderen Sinn verwendet. Siehe A.L. JOHNSON, Anagrammatism
in Poetry, in: A Journal for
Descriptive Poetics and Theory of Literature, 2 (1977), 89-118.
51
Jacques LACAN, Schriften II, Ölten und Freiburg i. B. 1975,
95.
52
Daniel Paul SCHREBER, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken,
Frankfurt a. M. 1985, 146.
53
A Lacanian Psychosis: Interview by Jacques Lacan, in: SCHNEIDERMAN,
Returning, 20.
54
Ebenda, 26.
55
Ebenda, 27.
56
Julia KRISTEVA, Powers of Horror, New York 1982, 59.
57
Jean-Claude SCHAETZEL, Bronzeheimet, or the Itinerary of the Psychotherapy
of a Psychotic, in:
SCHNEIDERMAN, Returning, 184-194.
58
ZÜRN, Der Mann, 96; 19-20.
59
CZERMAK, The Onset, 176.
60
LACAN, Schriften III, 79.
61
ZÜRN, Das Weisse, 129.
62
Sigmund FREUD, Studienausgabe Bd. III, Frankfurt a. M. 1975, 224.
63
ZÜRN, Das Weisse, 67.
64
Julia KRISTEVA, On the Melancholie Imaginary, in: Shlomith RlMMON-KENAN
(ed.), Discourse in Psychoanalysis and Literature, London, New
York 1987, 107.
65
ZÜRN, Anagramme, 50.
66
Edith JACOBSON, Depression, Frankfurt a. M. 1983, 176; KRISTEVA,
Melancholie Imaginary,
107.
67
ZÜRN, Das Weisse, 76.
68
ZÜRN, Anagramme, 52.
69
ZÜRN, Das Weisse, 58.
70
"... ich würde viel darum geben, wenn ich wieder in den Zustand
der Jungfräulichkeit gelangen
könnte." ZÜRN, Das Weisse, 120.
71
Luce IRIGARAY, eine Geburtslücke. Für Unica Zürn,
in: Geschlechterdifferenz, Wien 1987, 145.
72
ZÜRN, Anagramme, 69.
* In: Gunnar Schmidt: Die Geschwindelten, Wien 1990.
©
Gunnar Schmidt |

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