Der Klang im Text. Über Joseph Conrads Heart of Darkness*

Vorbemerkung
Angeregt wurde die folgende Studie durch einen Satz von Gilles Deleuze, in dem er davon spricht, daß die Arbeit des Philosophen/ Interpreten sich mit der der Musiker verbinden sollte.1 Dieser Satz erklärt nichts, er gibt keine Methode an.
Musizieren ist – heute mehr als früher – eine analytische Tätigkeit. Es kommt darauf an, Geräusche und Rhythmen zu hören, die uns umgeben: auf das Stampfen einer Maschine, auf ein vorbeifahrendes Auto, auf das Gluckern im Magen. Ob minimal music oder new underground: In diesen Musiken steckt die Kraft der Mimesis, die aus dem Bekannten wieder ein Geheimnis macht.2
Ein literarischer Text ist eine Welt, in der es vielleicht etwas Geheimnisvolles zu erlauschen gibt, das wir entschlüsseln können.


Der Text
In Joseph Conrads novella Heart of Darkness wird nicht über Musik gesprochen, Musik ist ein Bestandteil ihrer Struktur. Marlow, der buddhaähnliche Erzähler, hat die offenen Ohren für das Klingen und Tönen der Welt. Ein fast unwirkliches Allerlei von Geräuschen wird in seiner Erzählung evoziert: Brummen, Klirren, Keuchen, Surren, Stampfen, Krachen, schrilles Kreischen, leises Geklingel, Klatschen, Brüllen, Stille, hohler Klang, Gepolter, wildes Geplapper, Getrappel, Seufzen, Geplansche und Geschnaube, Schlagen, Summen, ein Heulton, Jammergeschrei, Pochen, Murmeln, Gezeter, Gestöhn, wilder Klang und Stille, immer wieder Stille.
Marlow berichtet von den Klängen, die die Reise den Fluß hinauf begleiten, die sich verdichten und in der Erinnerung noch nachhallen, als er schon längst wieder in Europa ist.
Marlows Sensibilität ist wie eine dünne Membran. Er befindet sich in einem Zustand, in dem die Eindrücke ins Innere des Leibes zu diffundieren scheinen.

I heard a scathing murmur at my ear. (37)3

Gleichsam wie durch einen Verstärker hört er die Dinge und Menschen klingen.
Normalität ist die Abschattung von Empfindlichkeit. Die wirkliche Welt ist voll von Geräuschen: Lautes, Leises, Signale, Interferenzen. Was real eine Kakophonie ist, wird von uns in der Regel durch psychische Filter strukturiert oder gänzlich abgeblendet. Im Schlaf oder bei angestrengter Gedankentätigkeit werden die Ohren taub. Spreche ich hingegen zu einem Menschen, höre ich nur mich und erwarte, daß die Stimme des anderen erklingt. Zwischen den Polen der Taubheit und des bewußten Wahrnehmens von akustischen Signalen liegt jenes Hören, das das Rauschen der Welt wohl in den Körper aufnimmt, es aber kaum bis an die Bewußtseinsebene vordringen läßt.
Leibnitz unterscheidet die Apperzeption – das ist die auswählende, bewußte Wahrnehmung – von der Perzeption, die das passive, bewußtseinsunterschwellige Aufnehmen ist. Mag das Verhältnis von Apperzeption und Perzeption variabel sein (individuell, historisch), immer wird das vorbewußte Perzipieren eine quantitative Dominanz behalten. Anderenfalls würde uns eine permanente Sinnflut überströmen, denn wir wählen ja nur aus, was eine Bedeutung für uns hat.
Bedeutung kann nun allerdings verschiedenes meinen. Ch. Metz weist darauf hin, daß bei jedwelchen Klängen wir uns zuerst fragen, woher sie rühren, was ihre Ursache ist.4 Ein solches Hören ist analytisch, es fehlt ihm jede ästhetische oder emotionale Tiefe.
Ist der Klang mehr als die bloße, physikalisch meßbare Emanation eines schwingenden, vibrierenden Körpers, wird ihm also eine symbolische Identität vom Hörer verliehen, dann wird das Geräusch Musik. Marlow hat den Sinn für die Bedeutung, denn er fragt nach dem Gehalt dessen, was er hört.

At night sometimes the roll of drums behind the curtain of trees would run up the river and remain sustalned faintly, as if hovering in the air high over our heads, till the first break of day. Whether it meant war, peace, or prayer we could not teil. (50)

Die Frage nach dem Sinn ist hier noch sehr vordergründig. Stelle ich mir die Situation als eine reale vor (ein Europäer befindet sich des Nachts im afrikanischen Busch), so hat sie nichts Verwunderliches an sich. Der Text bleibt nah an lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten.
An anderer Stelle verschiebt sich die Sinnfrage auf eine andere Ebene:

And I heard – him – it – this voice – other voices – all of them were so little more than voices – and the memory of that time itself lingers around me, impalpable, like a dying vibration of an immense jabber, silly, atrocious, sordid, savage, or simply mean, without any kind of sense. (69)

Die Abstraktion von einem Kontext, in dem die Stimmen vernommen wurden, und das Durchwirken verschiedener Stimmen in der Opazität der Erinnerung bewirken, daß die Sinnlosigkeit einer höheren Ordnung zuzugehören scheint, daß sie als eine metaphysische erscheint.
Aber das Sinnlose bleibt auch in diesem Beispiel noch sinnhaftfunktional, da es auf den Berichtenden bezogen bleibt und etwas über die psychologische Verfassung Marlows aussagt.
Um die Schichtungen des Bedeutungsvollen freilegen zu können, ist es vielleicht notwendig, die Sinnfrage nicht vom Erzähler zu übernehmen, sondern sie als Leser – sozusagen auf eigene Faust – zu stellen. Dazu ein Beispiel:
Marlow befindet sich in der Niederlassung der Gesellschaft, für die er arbeitet. Von Zeit zu Zeit flüchtet er in das Büro des Buchhalters. Er erzählt: "It was hot there, too; big flies buzzed fiendishly, and did not sting, but stabbed." (26)
Was hat es mit diesen teuflischen Klanggeneratoren auf sich? Einer Texthermeneutik gemäß wäre die Antwort vielleicht folgende: Die Insekten verdichten die Atmosphäre der Beengung und machen spürbar, daß der Erzähler sich in einer Verfassung körperlichen und psychischen Unwohlseins befindet. Sind die Fliegen und ihr Summen einerseits schriftstellerisches Mittel, um den Realismus der Szene zu erhöhen (Detailtreue), so haben sie darüber hinaus eine rhetorisch-poetische Funktion. Der Text deutet an, daß in diesem Raum Stille herrscht, vielleicht ist sie spannungsvoll oder aggressionsgeladen. Das Surren der Fliegen ist Platzhalter für etwas anderes, das in der Szene statthat.
Ist mit einer solchen Deutung alles gesagt? Genügt der Bezug auf das Syntagma und die Annahme, daß im symbolischen Zusammenhang nichts kontingent ist?
Einem klassifikatorischen Bedürfnis folgend, ließe sich die Wiederkehr von Klangschilderungen im Verlauf der Erzählung als impressionistische Schreibweise definieren. Es ist damit jedoch nicht die Frage beantwortet, ob die Schilderungen in ihrer Gesamtheit nicht doch mehr sind als bloße rhetorische Erfindungen. Jeder Klang kann als symbolische Entität betrachtet werden, zu fragen wäre aber, ob es im evozierten Klangmaterial eine Ordnung gibt. Stehen die Geräusche in einem Ähnlichkeits- oder Oppositionsverhältnis zueinander?
Es ist der Versuch zu unternehmen, das Material als musikalischen Code zu interpretieren, der unterhalb des Textverlaufs - als eine Art textualer Soundtrack – eine Sinnebene konstituiert, die kontrapunktisch das Oberflächengeschehen kommentiert.
Die Voraussetzungen für ein solches Unterfangen ist, daß Musik nicht traditionalistisch definiert wird. Ich beziehe mich auf eine Auffassung von Musik, wie sie in der Avantgarde seit dem Futurismus geläufig ist. Das Zufällige und das Komponierte bilden keine eindeutige Opposition mehr; der organisierten Musikpraxis werden die Klänge und Geräusche des Alltäglichen als gleichwertig zugeordnet. Kunst und Leben sollen eins werden. John Cage definiert dieses Verhältnis:

Musik ist das Leben der Klänge, die Partizipation der Klänge am Leben, was sich, unfreiwilligerweise, zu einer Partizipation des Lebens an den Klängen entwickeln kann. [...] je mehr wir entdecken, daß die Geräusche der äußeren Welt musikalisch sind, desto mehr Musik wird es geben.5

Die Abkehr von konventionellen Musikauffassungen, die am künstlerischen Subjekt, am Virtuosentum festhalten, entspringt keiner willkürlichen Setzung, sie erscheint mir in Bezug auf den Conradschen Text funktional zu sein und einer Tendenz des Textes gerecht zu werden. Ich hoffe, dies im folgenden zeigen zu können.

Zwei musikalische Codes
Bei Marlows Ankunft in der Niederlassung der Gesellschaft ist er mit zwei qualitativ verschiedenen akustischen Eindrücken konfrontiert:

A horn tooted to the right, and I saw the black people run. A heavy and dull detonation shook the ground, a puff of smoke came out of the cliff , and that was all. No change appeared on the face of the rock [...].
A slight clinking behind me made me turn my head. Six black men advanced in a file, toiling up the path. They walked erect and slow, balancing small baskets füll of earth on their heads, and the clinking kept time with their footsteps.
(22)

Zuerst vernimmt er den Schlag, die Explosion; das ist der Moment des Zerreissens. Das Präludium dazu ist das Tuten des Horns, Darin liegt eine Exaltation des Klanges. Durch den Krach wird die Aufmerksamkeit gefesselt, auf einen Punkt zentriert. "Pop, would go one of the six-inch guns; a small flame would dart and vanish, a little white smoke would disappear, a tiny projectile would give a feeble screech [...] ." (20)
Und dann: ein leises Klirren, ein Klingeln im Takt der Gehenden. Die eisernen Ketten und Ringe der Gefesselten schlagen aneinander. Liegt in dem Lauten eine Art akustische Blendung vor, handelt es sich hier um mikrotonale Gewaltlosigkeit. Der Klang ist schwebend, ausdruckslos, linear. Er ist ohne Anfang und Ende, so scheint es, denn solange sich die Leiber bewegen, ist er da und immergleich.
Er ist vergleichbar mit dem Summen der Fliegen im Kontor des Buchhalters. Beiden ist eine monotone Materialität gemeinsam, die ihre Wirkung subkutan entfaltet, die eher beiläufig und kulissenhaft, denn vordergründig und Aufmerksamkeit erheischend ist. Die Klänge haben keinen Impetus des Wollens.
Die andere Geräuschpraxis basiert auf einer binären Opposition: piano/forte. Stille ist die Voraussetzung für das Funktionieren von gewalttätigen Effekten. In der Ruhe explodieren die Ladungen, die das Nervensystem aufreiben und die die Landschaft zum Erzittern bringen. "Another mine went off, followed by a slight shudder of the soil under my feet." (24) Für Marlow gleicht die Sprengerei einer "ominous voice" (22), so als spräche jemand zu ihm. Conrads Text wird zeigen, daß dies eine begierdevolle Stimme ist, das unheilvolle Tönen einer Lust nach etwas.
Das Beispiel enthält also zwei Codes: In einem Fall ist die Musik eine der Dauer und beruht auf der Minimalisierung differenzierender Elemente. Die andere Musik ist eine des Moments. Sie schafft Ausdruck, denn sie ist verdichteter Klang. Im folgenden werde ich die Begriffe Linearitat und Explosivität als unterscheidende Begriffe für die jeweiligen Klangphänomene verwenden .
Auf ein Faktum ist in diesem Kontext hinzuweisen: Die Explosivität geht von denen aus, die herrschen, herrschen wollen oder im Bann der Herrschenden stehen. Die Linearität entspringt dort, wo das Nicht-Identische, die Natur, die Nicht-Herrschenden sind, dort, wo die Grenze der Macht verläuft.
Die zwei Musiken und die damit verknüpften Motive von Herrschaft und Nicht-Herrschaft sind ein strukturierendes Merkmal des gesamten Conradschen Textes.

Explosivität
Auf folgende Weise kommentiert einer der weißen Eindringlinge die Bestrafung eines Einheimischen:

Serve him right. Transgression – punishment – bang! Pitiless, pitiless. (37)

Die Sprachform enthält das Paradigma einer Struktur, die der imperialistischen Praxis unterlegt ist. Ein Ausruf folgt auf den anderen, Stakkato mit Crescendo. Das onomatopoetische "bang" ist ein gleichsam regressiver Widerhall der worthaften Interjektionen. Aus dem Sprechen dieser Figur ist jede 'Flüssigkeit1 genommen, es gibt kein Ineinanderfließen der Worte, kein entspanntes Pausemachen und Atemholen. Jeder Ruf ist eine Setzung. Die dazwischen geschobenen Stasen sind nicht leer, sondern enthalten Ladungen, die schon im nächsten Moment hinausgeschossen werden. Der Vortrag ist befehlshaft, als ließe er ein Überhören nicht zu. Die Stille wird durchschnitten, und es entstehen Blöcke: Wortblöcke, Lautblöcke, Sinnblöcke. Mit Hilfe der Wörter werden Grenzen gezogen. Die Rede ist ein Aneinander kleiner Explosionen, was durch den Klang unterstrichen wird. Vier Explosivlaute stehen am Beginn aufeinander folgender Worte (p-b-p-p). Wie im Falle der Sprengungen und Kanonenschüsse, die der fremden Natur gelten, soll hier das Amorphe mit einer Struktur versehen werden. Unentschiedenheit, Wildheit, Zweifel, obstinates Schweigen müssen der Eindeutigkeit weichen. Es geht darum, das Andere zum Eigenen zu machen, damit es in den Dienst genommen werden kann. Was es nicht geben darf: Transgression, Ver-Gehen, Überschreitung, Ausschweifung.
In den Worten des Mannes spiegelt sich eine Anspannung, die Härte des Zwanghaften. Er weiß, daß er sich am Rande zum Unidentischen bewegt, das erst zum Identischen gemacht werden muß. Das angestaute Begehren, das aus ihm spricht, will exklusive Macht.
Das Amorphe ist immer jenseits der Machtgrenze. Nach der Begegnung mit dem Mann geht Marlow hinunter zum Fluß, wo er es gewahr wird.

Beyond the fence [die Grenze, der Rand] the forest stood up spectrally in the moonlight, and through the dim stir, through the faint sounds of that lamantable courtyard, the silence of the land went home to one's very heart – its mystery, its greatness, the amazing reality of its concealed life. The hurt nigger moaned feebly [...]. (37)

Die Stille und das Stöhnen sind keine Gegensätze, sie bilden zusammen den Wärmestrom. Jenseits des Zauns gibt es keine Schlaggewitter und bedeutungsetzende Hiebe. Die Natur hat eine weiche Sprache, die ihren Sinn nicht preisgibt.
Dagegen: Stauung – Explosion – Stauung. Der Klang folgt dem Modell des Schlages. Der muskulären und psychischen Anspannung folgt die Entladung. Das ist der inifinite Prozeß der Macht. Worum es ihr geht, ist die "extensive Ausrichtung"6. Die imperialistische Geräuschpraxis hat zum Ziel die Errichtung von bleibenden Effekten. Man könnte sie als eine brontologische Arbeit bezeichnen. Brontè: das ist der Lärm, der Donner – der Schrecken.7 D. Charles gibt ein Beispiel, wie diese spezifische Form der Machtausübung funktioniert. In der Südsee leben Eingeborene, die mit großen Wassergongs unterhalb der Wasseroberfläche ein Getöse verursachen, was die sehr feinohrigen Delphine in Panik versetzt. Durch ein systematisch aufgebautes Klangnetz werden sie zusammengetrieben und dann gefangen. Gerade ebenso verfährt die weiße Rasse in Conrads Text mit dem Dschungel. Er wird in Aufregung versetzt.

Below me there was a great scuffle of feet on the iron deck; confused exclamations; a voice screamed [...] A fusillade burst out under my feet. [...] The bush began to howl. Our wood-cutters raised a warlike whoop; the report of a rifle just at my back deafened me. [...] the pilot-house was yet full of noise and smoke [...] (64-65)

Das Kreischen der Schiffspfeife ist als distinktes Zeichen das gebieterischste von allen.

With one hand I feit above my head for the line of the steam whistle, and jerked out screech after screech hurriedly. The turnult of angry and warlike yells was checked instantly [...]. (66)

Eine derartige Form akustischer Kriegsführung besteht, seit es den Kolonialismus gibt.8 Schon die Spanier, die in Mexico einfielen, benutzten ihre Kanonen nicht allein zu Tötungszwecken. Sie machten auch von dem Donner Gebrauch, der die Indianer vor Schreck zu Boden fallen ließ.9 Über Cortes, der sehr bewußt das Symbolische zu handhaben wußte, schreibt Todorov:

Er [Cortes] hält irgendwo eine Stute verborgen und führt dann in ihrer Nähe seinen indianischen Gästen einen Zuchthengst vor; dessen lautstarkes Gebaren versetzt diese Menschen, die noch nie ein Pferd gesehen haben, in Angst und Schrecken. Gerade als einen Augenblick lang Ruhe herrscht, läßt Cortes die ebenfalls in der Nähe postierten Kanonen abfeuern.10

Solche Son-et-Lumière-Spektakel sind kunsthafte, musikalischdramatische Inszenierungen (was die Einheimischen allerdings nicht realisieren). Hier zeigt sich der Vorsprung der Modernität. Sie erkennt das Symbolische als eigenständigen Bereich, dessen Gesetze funktional gehandhabt werden können. Archaische und traditionalistische Gesellschaften verfügen auf Grund mystischer Weltsicht noch nicht über die Differenzierung zwischen Symbolischem und Realem.
Durch diese Ungleichzeitigkeit offenbart sich die spezifische Form semiologisierender Tätigkeit. Sie will Zeichen setzen, die eindeutig sind. Die Musik übermittelt Aktivität (tramping/scuffle of feet; babble), Krieg (warlike whoop), Angst (screech), Aufruhr (howl, noise). Damit ist zwar Kommunikation hergestellt, die aber eine Einwegrichtung hat, asymmetrisch ist. Sie dient dem Zweck der Machtausübung. Der laute Schlag will die andere Sprache übertönen: die Stille, das Murmeln, das Rauschen.
Die Aufgabe des kommunizierenden eindeutigen Zeichens ist es, Wirkungen zu erzielen, den Angesprochenen zu einem Reflex der Ansprache zu machen. Er soll 'überwältigt' sein/werden. Der Effekt ist die Unterwerfung unter die Größe-, ist die Ehrfurcht. Historisch gesehen ist die Favorisierung symbolischer Gewalt an die sich modernisierende Gesellschaft geknüpft. Todorov schreibt:

Das kulturelle Modell, das sich seit der Renaissance durchsetzt, verherrlicht, auch wenn es von den Männern getragen und verantwortet wird, das, was man die weibliche Seite der Kultur nennen könnte: mehr Improvisation als Ritual, mehr Worte als Pfeile. Freilich nicht irgendwelche Worte: weder die, welche die Welt bezeichnen, noch die, welche Traditionen fortpflanzen, sondern allein die Worte, die dazu da sind, auf andere einzuwirken.11

Nun ist die Einwirkung nur dann zu erzielen, wenn sich das Symbolische nicht gleichzeitig als hinterfragbares darbietet. In Conrads Text ist es der Klang, der das emphatische und setzende Moment bildet. Die aggressive Rhetorik der Geräusche, die die Unausweichlichkeit der Anerkennung beinhaltet, bezeichnet auch eine Form der Produktion von Wahrheit.
Die Musik wird zu einem Faktum des Außen, scheint dem Bereich der Positivität anzugehören, obwohl sie nur kommunizierendes Symbol ist. Sie ist aber das Andere, das in Differenz zum Selbst steht. Sie wird zu einer quasi-materiellen Gegebenheit. In dieser Position erst kann sie zu einer Gewalt werden, denn nun ist sie in den Stand gesetzt, das Selbst mit einer Botschaft zu überziehen und verfügbar zu machen. Wie eine Gestalt steht die Aussage des Brontè vor dem Rezipienten. Der allgemeine Nenner dieser Wahrheit lautet: Es gibt eine Macht. Keine Zwischenräume, keine Möglichkeiten der Durchquerung. Gemeint ist damit, daß mit ihr nicht das Spiel subversiver und endloser Konntotationsbildung möglich ist. Es gibt keine Gleichheit vieler Singularitäten, sondern allein die Produktion des regulierbaren, systemhaften Kontextes.
In diesem System ist die Mimesis an den Lärm erwünschtes Prinzip. Eine solche Einverwandlung folgt nämlich ganz der Logik kapitalistischer Subjektbildung, die zu ihrem Grundstoff die individuelle Selbstbehauptung hat. Das Höllenspektakel ("fiendish row" [52]), das die Eingeborenen veranstalten, gilt den weißen Eindringlingen. Die Schwarzen sind jedoch nichts weiter als die Ausführenden der Befehle von Kurtz. Lärm gegen Lärm, Konkurrenz, Grenzziehung durch Abschreckung, das sind die Prinzipien der Brontologie. Auf beiden Seiten – diesseits und jenseits der Waldgrenze – herrscht der gleiche Code. Allerdings hat er seine Funktion nicht darin, ausgetauscht zu werden. Er wird investiert, um Effekte zu erzielen. Zwar wirkt dieser Mechanismus für kurze Zeit auch auf Marlow, dem das Getöse, das tumultuöse und klägliche Kreischen Angst machen. Aber er erkennt schließlich, daß auf der anderen Seite identifizierbare Leidenschaften artikuliert werden. Der akustische Überfall ist nicht mehr als der Ausdruck von Schmerz und Kummer. Das Identische ist aber ohne angsterzeugende Anteile, denn es verfügt über keine beunruhigenden Sinnreste. Das Wissen, daß es sich um Menschen handelt, die zu sein scheinen wie er selbst, macht sie zu etwas Kalkulierbarem. Die Leidenschaften werden als Abziehbilder der eigenen wahrgenommen. Denn schließlich: Was treibt die Kolonialisten in die Fremde, an den Rand, wo das Andere haust, wenn nicht die Leidenschaft (nach Reichtum, Wahrheit, Erfahrung).
Die kapitalistische Logik von Schlag und Gegenschlag, die die Basis eines vermeintlichen Egalitarismus bildet, ist nichts anderes als die leicht durchschaubare Strategie des Starken, seinen Erfolg zu sichern. Der Lärm der Neger bleibt denn auch wirkungslos. Wie gesagt: Es geht in diesem System nicht darum, das Singuläre im Anderen zum Ausdruck kommen zu lassen (das ja immer das Befremdliche einschließt), sondern dem Ausdruck eines Prinzips zur Herrschaft zu verhelfen.
Wir werden noch sehen, daß es zu dieser Klangpraxis ein Gegenmodell, eine Gegenmusik gibt, die die gezielte Einsetzung einer Posivität nicht kennt, die die Differenz zwischen dem Selbst und dem Außen verwischt. Vorerst bleiben noch der letzte Aspekt – neben dem semiologisierenden und kommunizierenden – der brontologischen Tätigkeit zu benennen: Das ist die Expressivität.
In dem Willen zum Ausdruck und im Ausdruck selbst verbinden sich zwei Momente, die im Zuge der Entwicklung posttraditionalistischer Gesellschaften mehr und mehr hervortreten und mit ihrer Reflektierbarkeit zu einem Problem werden: Macht und Subjektivität bilden in der bewußten Hervorbringung von Expressivität eine potentielle Einheit.12
Ohne schon konkrete Inhalte zu benennen, kann man dem zustimmen, was D. Charles über das Verhältnis von Musik und Subjektivität schreibt: "Eine Musik ist nur insoweit 'expressiv', als sich eine Subjektivität (die des Musikers, die des Autors, oder die des Interpreten) darin projiziert oder spiegelt."13
An Macht ist Expressivität gebunden, da Herrschaft ohne eine effektvolle Darstellung dessen, was sie ist und was sie will, nicht auskommen kann. In der Entscheidung, einen Willen zu formulieren, tut sich Subjektivität kund, die aber nicht bloß sich veräußerlichen, sondern Wirkungen erzeugen will. Alter soll sich ego angleichen: Du sollst so denken und fühlen wie ich. Noch die persönlichste Empfindungsäußerung soll in Bann schlagen. Wer die Weichheit des Verstehens hat, oder wer nur vom bramarbasierenden Getöse sich blenden läßt, gibt Anteile seines Ich auf.
Bürgerliche Subjektivität ist kein bloß selbstreferenzielles System, sie definiert sich immer in bezug auf die anderen, die ebenso monadenhaft sind wie das Selbst. In der Anerkennung, die wir dem anderen zollen, steckt schon die respektvolle Distanz, die zur Selbsterhaltung notwendig ist.
Aber wie schnell gerät das Gleichgewicht aus dem Lot. Im Aufeinandertreffen der Einzelnen entsteht immer die Gefahr, in den Sog der gebieterischen Expression des jeweils anderen zu geraten. Subjektivität definiert sich durch das Vorhandensein von Wille und Wunsch, als psychisch-materielle Kraft, die die Willens- und Wunschprojekte auch realisieren will. Subjektivität setzt sich (defensiv) als grenzbesitzende und (offensiv) als ausgreifend-grenzziehende Entität.
In der Form der Explosivität ist der aggressive Anspruch explizit artikuliert. Mit ihr wird der andere bestürmt, um ihn zu überrumpeln, ihn zum Objekt zu machen. Explosive Expressivitat ist sexuell – in einem männlichen Sinne. Die losgelassene Begierde ist gleichsam ödipal strukturiert, denn es soll das Eine besessen und im Zweifelsfall zerstört werden, wenn es nicht exklusiver Besitz sein kann. Man könnte von einem denotativen Einsatz sprechen, denn die Alternative ist klar gesetzt.
Wenngleich Heart of Darkness ein Text ist, in dem die Unverständlichkeit kultiviert ist, so ist er doch ganz klar in der Bezeichnung der Begierden der Kolonialisten: Sie wollen den Besitz, die Ware, das Elfenbein. Jeder Schlag, jede Explosion ist eine Geste der Besetzung, ein Ausgreifen nach dem Ding. Überall dort, wo das Elfenbein ist – real oder in der Imagination –, entsteht ein geschäftiges Tosen oder begehrendes Raunen:

Suddenly there was a growing murmur of voices and a great tramping of feet. A caravan had come in. A violent babble of uncouth sounds burst out on the other side of the planks. All the carriers were speaking together, and in the midst of the uproar the lamentable voice of the chief agent was heard [...] (27)
The word ivory would ring in the air for a while - and on we went again into the silence [...] (50)

Wo der Besitz gar unsicher erscheint, hebt ein ohrenbetäubender Lärm an: krachende Kanonenrohre oder dissonantes Geschrei.
Der Warenstrom, der aus dem Inneren des Waldes heraustritt, bietet sich an für exklusive Besetzungen. Es findet eine Fixierung, eine obsessive Beschäftigung mit dem einen Objekt statt. Das kommt einer Initiation in den Mangel gleich, denn ich verfolge nur das, was mir zu meiner Vollständigkeit fehlt. Das seiner Unvollständigkeit gewahr gewordene Subjekt artikuliert nun seine Begehrlichkeit über die Form expressiver Darstellung. Sie kann die Form schmerzhaften Aufschreis haben (man nimmt mir, was ich doch so sehr brauche) oder ausgelassener, lärmender Euphorie (ich habe bekommen, was ich benötige). So kündet beispielsweise das gellende Geschrei der Eingeborenen von einem tiefen Schock, denn man hat ihnen Kurtz genommen (wir werden noch sehen, daß Kurtz die Superware ist). Auch Marlow schließt sich für einige Zeit an den Warenstrom, investiert seine Lust und beteiligt sich an der tosenden Politik des Begehrens. Ist er zu Beginn nicht mehr als ein Beobachter, der Kaliko, Baumwolle und Perlen in den Busch verschwinden und Elfenbein herauskommen sieht, so wird er doch allmählich zu einem Beteiligten, denn er soll den Fluß hinauffahren. Um dies bewerkstelligen zu können, benötigt er Nieten, um sein Schiff instandsetzen zu können. Aber er muß feststellen: "And no rivets. Three carriers could have brought all that was wanted to set the steamboat afloat." (40) Marlow beginnt eine Auseinandersetzung mit dem Stationsvorsteher, die wirr und eigentlich ohne Ergebnis verläuft. Doch imaginiert Marlow, daß eine Bestellung für ihn aufgegeben wird. Sein Interesse an einer Sache wandelt sich zu einem obsessiven Wunsch. Er befragt die Zeichen (die wirre Rede des Vorstehers) nicht nach ihrem Realitätsgehalt, sondern deutet sie im Sinne einer Wunscherfüllung: Er will sich an den Warenstrom koppeln und einen Anstich vornehmen.
Die Nieten sind für sich genommen zu banal, als daß sie über ein Kräftefeld verfügen könnten, das den Realitätsverlust verursachen könnte. Sie stellen hier ein Deckobjekt14 dar, auf das sich die Wunschenergien verschoben haben. Das wahre Objekt der Begierde ist Kurtz, der jedoch ohne die Nieten nicht zu erreichen ist. Aber bleiben wir vorerst bei der Form der Artikulation. Marlow eilt also auf sein Schiff zurück, wo er dem Kesselschmied ankündigt, daß die Nieten bald kommen werden.

I slapped him on the back and shouted "We shall have rivets!" He scrambled to his feet exclaiming "No! Rivets!" as though he couldn't believe his ears. Then in a low voice, "You ... eh?" I don't know why we behaved like lunatics. I put my finger to the side of my nose and nodded mysteriously. "Good for you!" he cried, snapped his fingers above his head , lifting one foot. I tried a jig. We capered on the iron deck. A frightful clatter came out of that hulk, and the virgin forest on the other bank of the creek sent it back in a thundering roll upon the sleeping Station. [...] We stopped, and the silence driven away by the stamping of our feet flowed back again from the recesses of the land. (42-43)

Der so stille Marlow ist mit einem Male exaltiert, man könnte sagen: gewalttätig. Aus Rufen und lautem Getrommel auf dem eisernen Schiffskörper wird Musik komponiert, die begehrlich in den stillen Wald dringt. Die Textstelle ist signifikant, da sie einen völlig verwandelten Marlow zeigt – wenn auch nur für einen Moment –, der selbst nicht einmal weiß, warum er so gewandelt ist. Dieses Nicht-Wissen über das Warum ist ein Indikator dafür, daß hier eine Triebstrebung zum Vorschein gekommen ist.
Marlows kleine Explosion ist in dieser Perspektive paradigmatisch. Überall, wo es um die Ware geht, entsteht ein geschäftiges, verzweifeltes, euphorisches oder kriegerisches Getöse. Triebhaftigkeit offenbart sich als ein vom Gesellschaftlichen erzeugter Anteil der Subjektivität. Explosivität ist der Ausdruck einer inneren Heillosigkeit, die über diese Form destruktiv auf das Außen zurückwirkt. Irgend etwas ist zerrissen; das ist der Ursprung des Schreis. Der Schrei wird aber erst laut, ins Außen gekehrt, wenn er sich auf etwas richten kann, das ersatzhaft das Verlorene darstellt. Dieser Prozeß der Veräußerlichung und Vergegenständlichung wird im Anblick der Ware, jenes scheinbar "mit eigenem Leben begabte Produkt"15, freigesetzt. Die Einsamen begehren und verehren in einer Art profanen Mystizismus die fetischistische Ware, so als würde ihnen ein solcher Kult helfen, einen vergessenen/verdrängten Verlust zu überleben. Alles Streben ist auf das Elfenbein und auf Kurtz gerichtet, beide werden zu den heilversprechenden Idolen. Hat sich der Trieb erst einmal an dieses Außen geheftet, kann sich die ganze Palette lautstarker Expressionen entfalten.
Nicht nur der Kapitalismus produziert ein Unbewußtes, aber unter ihm kann sich ein differenzierter und reichhaltiger Ausdruck entwickeln. Er bringt eine Gesellschaftsform hervor, in dem eine Kultur der Äußerlichkeit einen idealen Nährboden findet. Noch das Banale ist mit einer Aura des Versprechens umgeben. Einem derart mächtigen Zusammenhang von Anreizen kann sich das Unbewußte nicht entziehen, es wird sich immer irgendwo anbinden, um nun als Veräußerlichtes gerade ebenso zu leuchten wie die Ware selbst .
Löst sich der Trieb, kehrt wieder Stille ein. Marlows Wunsch findet keine Erfüllung, und er bleibt jenseits der Warenströme. Die Bedeutung der Dinge verliert schlagartig ihre Tiefe; die Nieten und Kurtz sind des Kummers nicht wert:

I had given up worrying rayseif about the rivets. One's capacity for that kind of folly is more limited than you would suppose. I said hang! – and let things slide. I had plenty of time for meditation, and now and then I would give some thought to Kurtz. I wasn't interested in him. No. (44)

In der Meditation kehrt die Stimme nach innen und wird lautlos. Es entsteht eine äußere Immobilität, die mit einer unsichtbaren Bewegung sensibler Kräfte im Inneren korrespondiert. In der Buddhaposition gewahrt Marlow, daß es um ihn herum Verlautbarungen gibt, die sich der Stille erwehren oder sie einfach mit Ignoranz bedenken. Die Differenz wird akut.

All this [the Vegetation, the river] was great, expectant, mute, while the man jabbered about himself. I wondered whether the stillness on the face of the immensity looking at us two were meant as an appeal or as menace. (38)

In diesem Zusammenhang erscheint auch die Charakterisierung Kurtzens interessant. Er besteht aus kaum mehr als seiner Stimme. Obwohl er bereits mit dem Tod ringt, hat er noch die Kraft, laut zu sein.

A deep voice reached me faintly. He must have been shouting. (86)

Mit der Stimme kann er Ehrfurcht erheischen und das überstimmen, vor dessen Eingedenken das bürgerliche Individuum abgeschattet werden muß: die Vergeblichkeit.

Kurtz dicoursed. A voice! It rang deep to the very last. It survived his strength to hide in the magnificent folds of eloquence the barren darkness of his heart. Oh, he struggled [...]. (98)

Es ist nicht der Inhalt des Gesagten als vielmehr die klangliche Form, die die Information trägt. Marlow scheint in Kurtz eine Art symbolistischen Dichter zu sehen, der die klanglichen Kräfte des Wortes über die denotative Mitteilungsfunktion stellt. Der Bombast, der aus der Leere entsteht und gleichzeitig sie zu verdrängen bemüht ist, ist gerade dieses Ursprungs wegen überwältigend und drohend, denn das Subjekt will sich durch Blendung behaupten.
Der Vergleich mit Merkmalen der Musik Wagners drängt sich auf, die uns als Paradigma dienen kann, Kurtzens Klangpraxis zu beschreiben. Die drohenden Klanggewitter, die "übertäubenden Wogen des Wagnerschen Orchesters"16, die das Heldenhafte evozieren sollen, sind brontologische "Spektakelstücke" (Adorno). Für Baudelaire war sie (allerdings in einem bewundernden Sinne) eine "vergewaltigende Musik", in der die nicht zu stillende Begierde, die "Wahnsinnszuckungen von Herz und Sinnen"17 zum Tönen gebracht werden.
Der Wille, der aus der Musik spricht, ist keiner, der sich selbst gewiß ist, sondern einer, der sich als bloß fühlender erfährt. In ihm herrscht die Ausblendung des Realen und nicht die dialektische Distanz dazu. Er investiert sich in Effekte, bei denen das Individuum zum Anhängsel degradiert wird. Donner und Fanfare entstammen dem Bereich des Militärischen, sie dulden keinen Widerspruch. Diese Gewalt ist auch in Kurtz:

The volume of tone he eraitted without effort, almost without the trouble of moving his lips, amazed nie. A voice! A voice! It was grave, profound, vlbrating, while the man did not seem capable of a whisper. However, he had enough strength in him - factitious no doubt - to nearly make an end of us, as you shall hear directly. (86)

In diesem Textauszug ist die Dialektik offengelegt, die der begehrlichen Expression innewohnt. Wird nämlich der Ausdruck zu einem Moment des Kampfes (gegen ein unidentisches Innere oder Außen), so wird im selben Zuge die Subjektivität monadologisch und leer. Die Gestalt dieses Ausdrucks ist die der Ansprache, die das unbeherrschte Fremde lediglich affektiv binden will. Der russische Clown sagt es deutlich: "'You don't talk with that man [Kurtz] – you listen to him', he exclaimed with severe exaltation." (76) Das bedeutet den Tod für alter und ego. Der eine hat Lust als Objekt in der Vergewaltigung, der andere lebt in der entleerenden Verausgabung. Das ist die Abtötung des Austauschs.18
Adorno beschreibt die Dialektik von selbst inszenierter Größe und Ich-Verfall am Beispiel der Musik Wagners:

Eigenlob und Pomp – Züge der gesamten Wagnerischen Produktion und Existenzialien des Faschismus – entspringen der Ahnung von der Unbeständigkeit des bürgerlichen Terrors, von der Todgeweihtheit des Heroismus, der sich selbst proklamiert. [...] Das monadologische Individuum, dem der Komponist die Treue hält und aus dessen Aspekt er komponiert, steht nicht in absolutem Gegensatz zur Gesellschaft: seine Struktur folgt aus deren eigenem Prinzip, Das soziale Schicksal der Einsamkeit, rücksichtslos expressive Selbstaussage und ein Element vulgärer Selbstbehauptung und Selbstanpreisung sind miteinander nur allzu verträglich.19

Im Nahen des Todes noch imaginiert Kurtz Bilder von Reichtum und Ruhm, und kleidet sein Hochgefühl in eine edle Ausdrucksweise:

[...] images of wealth and fame revolving obsequiously round his unextinguishable gift of noble and lofty expression. My Intended, my Station, my career, my ideas - these were the subjects for the occasional utterances of elevated sentiments. (98)

Subjektivität, die sich allein durch den Besitz definiert, ist ausgezehrt, ist eine Hülle ohne Substanz darunter. Dort, wo sie am gefährdesten ist, muß sie sich denn auch am unerbittlichsten zur Wehr setzen und gar noch die eigene Agonie verleugnen.

There was silence. "Oh, but I will wring your heart yet!" he [Kurtz] cried at the invisible wilderness. (98)

Megalomanie kennt nur die Exaltation. In ihr steckt aber schon der tödliche Widerspruch. Sie kann sich nur erhalten, wenn sie beständig Grenzen überschreitet und sich der Gefährdung aussetzt Sicherheit erlangt sie nur bei ständiger Anwesenheit der Unsicherheit. In der permanenten Selbstbehauptung erst stellt sich die tiefe Empfindung der Sicherheit ein. Diese ist jedoch trügerisch, denn es darf keine Ruhe geben, immer muß das Subjekt in spannungsvoller Begierde leben. Und je größer die Widerstände werden, umso entschiedener, lauter und eindringlicher muß es seinem Begehren Ausdruck geben. Es gibt am Ende keine Erlösung, nur Vergeblichkeit. Das wagnerische Dröhnen in der Stimme Kurtzens sekundiert eine Gewalttätigkeit, die trotz ihrer schrecklichen Wirkungen nur eine hüllenhafte Subjektivität hervorscheinen läßt.
Francis Ford Coppola hat in Apocalypse Now, einer Filmadaption von Heart of Darkness, das Zusammenspiel von heroischem Klang und Tod in Szene gesetzt. In einer Sequenz greift eine Hubschrauberstaffel ein vietnamesisches Dorf an (die Filmhandlung spielt während des Vietnamkrieges). Der Kommandant hat ein Tonbandgerät in seinem Helikopter installiert und läßt aus dem offenen Flugzeugleib Wagners Walkürenritt erschallen. Das ist ein Aphrodisiakum für die Männer in den Hubschraubern und unbarmherzige Vergegenwärtigung des Todes, der ganz und gar unheroisch ist. Das Dröhnen der Motoren, das Schnarren der Rotorblätter und das Geknatter der Maschinengewehre und Bombenwerfer mischen sich mit dem Klang der Wagnerischen Fanfaren zu einer schreckenerregenden Megaphonie.
Dieses Auftrumpfen durch das Signalhafte erweist sich im Moment des Scheiterns als bloße Kraftmeierei und nicht als selbstbewußte Stärke. In Coppolas Film reagieren die Männer nach der Zerstörung eines Helikopters durch den Vietcong mit hysterischen Vergeltungsdrang. In Conrads Erzählung ist es der nur mehr geflüsterte Schrei ("he cried in a whisper" [100]), durch den Kurtz die Niederlage anerkennt.

The horror! The horror!

Das ist Panik im Angesicht der nicht mehr zu verdrängenden Wahrheit, die durch die Dialektik monadologisch-selbstexpressiver Darstellung vom Subjekt selbst als Stachel gegen die Subjektivität eingerufen wurde. Der Ausruf im Moment des Todes ist nicht existenzialistische Einsicht in das anankische Prinzip, sondern Offenbarung der Hohlheit, die das falsche Leben ausmachte. Nicht der Tod ist das Grauen, das Sterben im Leben ist es, das im Einleben in die Macht besteht. Was sich als Fülle ausgab, erscheint schlagartig als Entleerung des Möglichen.
Die lauttönende, aufreißende Politik des Ich ist eine der Projektion. Sie fugt anderen zu, was sie selbst an sich nicht wahrhaben darf. Zerstörung und Selbstzerstörung liegen dicht beieinander.
Kurtz ist der Superkapitalist. Er ist im Zentrum des Überflusses, dort, wo das Elfenbein in ungeheuren Mengen vorhanden ist. Er ist Gott der Wilden und wird von den Zivilisierten mit einer profanen Bewunderung verehrt. Wer über so viel Macht verfügt, besitzt auch die Aura der Tiefe und Wahrhaftigkeit. Der russische Clown lauscht ihm, und Marlow ist enttäuscht, als er von seinem vermeintlichen Tod erfährt: "I will never hear him." (67)

The point was in [...] his ability to talk, his words – the gift of expression, the bewildering, the illuminating, the most exalted and the most contemptible, the pulsating stream of light, or deceitful flow from the heart of an impenetrable darkness. (68)

Kurtz ist aber nicht allein der souveräne Herrscher über den Fetisch (die Ware, die expressive Sprache), er ist selbst der Fetisch. Je mehr er stirbt, umso ähnlicher wird er dem weißen kalten Stoff, den alle wollen.

I saw on that ivory face the expression of sombre pride, of ruthless power, of craven terror. (99)20

Und Kurtz klingt, als verkünde er die Wahrheit. Er funktioniert wie der Fetisch: er scheint eine Botschaft auszustrahlen. Aber das heroische und begehrliche Vibrieren in der Stimme ist nichts anderes als ein akustisches Scheinhaftes. Der Fetisch ist ein Ersatz für etwas, das abwesend ist und einen prinzipiellen Mangel umschreibt. Trotz seiner schillernden Erscheinung ist der Fetisch daher immer die Vergegenwärtigung einer Leere. Darin allein liegt seine Wahrheit. Sie ist nicht voll, üppig, lebendig; sie ist tot und leer. Kurtz ruft das Grauen an, "it had the appalling face of a glimpse of truth" (101). Es offenbart sich am Ende die Dialektik: Je mehr das Individuum das Wollen will, umso tiefer stürzt es in die unfreiwillige Objektivität, arbeitet es an seinem Scheitern.
Die Sprache kann trotz aller Exaltation nur über eines Auskunft geben – über das Nichts.

Linearität
Abseits vom erschreckten und erschreckenden Leben trifft Marlow auf das Rauschen und Raunen:

The rapids were near, and an uninterrupted , uniform, headlong rushing noise filled the mournful stillness of the grove, where not a breath stirred, not a leaf raoved, with mysterious sound – as though the tearing pace of the launched earth had suddenly become audible. (24)

Der Erzähler berichtet von etwas, das ich die Linearität genannt habe. Geräusche und Känge folgen dem Modus minimalisierter Oppositionen. Nichts zerreißt in einer plötzlichen Eruption. Das gleichmäßige Zittern der Atmosphäre wird dort spürbar, wo die Politik des Berstens nicht mehr besteht. Die Klänge kommen aus einem Unter- und Hintergrund, immer aus einem Jenseits zum definiten Raum der Zivilisation.

A great silence around and above. Perhaps on some quiet night the tremor of far-off drums, sinking, swelling, a tremor vast, faint; a sound weird, appealling, suggestive, and wild [...] (28-29)

Da sie selten laut sind und zu verfließen scheinen, sind die Klänge wie Emanationen einer Sphäre oder eines Ortes, der keine klaren Grenzen besitzt.
Die Musik der Explosivität/Expressivität hingegen ist eine, wie ich oben gezeigt habe, objekthafte, grenzbesitzende. Cage/ Charles sagen über solche "Musik-Objekte", daß an ihnen bestimmte Gefühle sich binden, da sie Vergegenständlichungen eines Willens sind. Die Musik-Objekte "biegen die Klänge zu dem, was die Komponisten wollen"21. An ihnen kleben die Kategorien von Besitz und Abgeschlossenheit, und sie klagen beim Hörer Verständnis ein; sie befehlen durch ihre Form ihre Entzifferung.
Mit der räumlichen Verflüssigung der linearen Musik geht nun eine Unbestimmtheit des Sinns/des Verständnisses einher. Ob sie menschlich ist ("far-off drums) oder naturhaft ("voice of the surf") oder mechanisch ("thump of the stern-wheel"), immer ist sie bar jeden Willens. Aufgrund dieser Unbestimmtheit möchte ich sie als eine entsemantisierte Musik charakterisieren. Die andere Musik ist bis zur Obszönität denotativ, hier hingegen sind die Zeichen leer.
Der Umstand, daß der Erzähler Marlow die Dimension der Bedeutung immer wieder ins Spiel bringt, scheint in diesem Zusammenhang eher eine Bestätigung der Nicht-Bedeutung zu sein und weniger eine Exposition des Sinns.
Als ein Einsamer unter Einsamen sucht er den Sinn und die Wahrheit, da sie das sind, was ihm Halt gibt.

[...] my isolation amongst all these men with whom I had no point of contact [...] seemed to keep me away from the truth of things [...] (19)

In dem, was Marlow kennt, findet er auch vorläufig einen Ruhepunkt:

The voice of the surf now and then was a positive pleasure, like the Speech of a brother. It was something natural, that had its reason, that had a meaning. (19)

Aber je weiter die Reise geht, umso mehr verschwimmen die Bedeutungen. Sie werden zwar ständig behauptet, aber ohne daß sie eine definitive Bennung erführen: "mysterious sound" (24); "I felt how big [...] was that thing [nature] that couldn't talk" (38); "mysterious stillness" (49); "An appeal to me in this fiendish row - is there?" (52); "inexplicable note of desperate grief in that savage clamour" (60); "voices [...] without any kind of sense" (68); "unapproachable silence" (81).
Marlow ist modern, weil er nach dem Sinn fragen kann. Aber in dieser Modernität ist er in einer Dialektik verfangen, denn dort, wo es keine greifbare Bedeutung gibt, entsteht eine Unheimlichkeit. Bedeutungslosigkeit gebiert angstvolle Leere. Das Inkommensurable entfaltet dem rationalistischen und objektidentifizierenden Bewußtsein gegenüber eine 'fatale Strategie' (Baudrillard), denn indem es sich der Definition und der Kontrollierbarkeit entzieht, ist es für den Modernen wie eine Drohung durch das Archaische oder den Wahnsinn.
Die Explosionen sind punktuell, gesellschaftlich, 'objektiv'. Doch was geschieht, wenn mit einemmal der Wald zu sprechen scheint?

[...] the murmur of many voices issued from the forest [...] (93)

In der Linearität vermischen sich Nähe und Ferne, wird die Zeit diffus (siehe unten), überschneiden sich das Naturhafte (Wald) und das Menschlich-Gesellschaftliche (Stimmen). Fatal/tödlich ist ein solches 'Objekt', weil es das Individuum als Subjekt außer Funktion setzt. Die Musik kann weder durch Herrschaft und Sinnzuschreibungen besetzt werden noch ist sie selber Herrschaft im Sinne bewußt eingesetzter und gezielter Effekte. Sie ist polymorph. Auch wenn sie vom Dröhnen übertönt werden kann, so ist sie immer gegenwärtig, und sie ist hörbar, wo die Macht aufhört .
Es ist an die Szene zu erinnern, in der Marlow mit dem Kesselschmied auf dem eisernen Deck des Schiffes einen lärmenden Tanz aufführt. Nachdem sie innegehalten haben, wandelt sich Marlows Verhalten vom exaltierten Aufruhr in rezeptive Einkehr:

We stopped, and the silence driven away by the stamping of our feet flowed back from the recesses of the land . The great vall of Vegetation [...] was like a rioting invasion of soundless life [...]. A deadened burst of mighty splashes and snorts reached us from afar, as though an ichthyosaurus has been taking a bath of glitter in the great river. (43)

Im expressiv-explosiven Modus kommt es darauf an, daß die Musik als Investition funktioniert; sie will etwas erheischen: Spureneffekte, Mehrwerteffekte, Lusteffekte, Bedeutungseffekte. Sie ist eine Setzung mit kontrollierter Wirkung. Im linear-unexpressiven Modus gibt es nur die gleichmäßige Verausgabung, der kein Motiv zugrunde liegt. Die eine Musik ist imperialistisch, utilitaristisch, akkumulierend, die andere ist nutzlos. Darin liegt ihre Subversivität. Es entsteht ein Klangband, ein akustisches Klima, das Gleichförmigkeit und Offenheit evoziert, eine Meditativitat.

It was very quiet there. At night sometimes the roll of the drums behind the curtain of trees would run up the river and remain sustained faintly, as if hovering in the air high above our heads, till the first break of day. (50)

Die Musik ist anwesend und abwesend zugleich ("high above our heads"). In ihr ist keine Beunruhigung, keine Kraft, die auf Überwältigung zielt. Das Merkmal der Entwicklungslosigkeit wird zu einem Synonym für Ruhe. In einer Szene wird der gleichmäßige Schlag des Schiffheckrades zu einem musikalischen Bild der Begierdelosigkeit. Sie bildet das Gegenmotiv zum lärmenden Treiben des konkurrenzhaften Lebens.

There was a great commotion in the bush; the shower of arrows stopped, a few dropping shots rang out sharply – then silence, in which the languid beat of the stern-wheel came plainly to my ears . (66)

Ob es das Trommeln in der Ferne ist, das Rauschen des Flußes oder der ruhige Schlag eines Rades, in all dem ist nichts Subjektives. Es gibt keine Höhepunkte und keine Zielstrebigkeit.
Eine derartige musica povera kommt ohne jegliche Theatralität aus. Diese ist immer an einen Inszenator gebunden, der so etwas wie eine ästhetische Fläche hervorbringt. "Die Fläche als Schein erstellen, heißt eben konstruieren: heißt Aktionen machen, die als die Effekte von etwas anderem, eines Anderen aufgefaßt werden und nicht als Ereignis, als das, was aufkommt."22 Verschwindet das Subjekt, wird die Musik arm, verliert sie ihre Positivität und ihren Fluchtpunkt. Deleuze und Lyotard nennen das Verfließen von etwas Nomadismus. Für die linearen Klänge heißt das, daß sie verströmen, ohne daß in ihnen ein Ziel erkennbar wäre, und ohne daß sie es mit Blockierungen, mit Widerständen zu tun hätten.

The monotonous beating of a big drum filled the air with muffled shocks and a ltngering Vibration. A steady droning sound of many Dien chanting each to himself some weird incantation came out from the black, flat wall of the woods as the humming of bees comes out a hive, and had a stränge narcotic effect upon my half-awake senses. (92)
His voice lost itself in the calm of the evening. (84)

Der Klang erfüllt den Raum oder er fließt ins Nichts, Die Unterscheidung von aktiv und passiv gilt nicht mehr: Es passiert.
Erfahrungen mit der Stimme können diesen Sachverhalt illustrieren.
Im tai chi gibt es Gesangsübungen, die eine Öffnung des Körpers bewirken. Der gesungene Ton läuft vom Kehlkopf in alle freigelassenen Richtungen, dringt tief in den Abdominalbereich, pflanzt sich in den ausgebreiteten Armen bis in die Fingerspitzen fort. Der Ton wird nicht gelenkt, und er ist ganz ohne Expressivität . D. Charles schreibt über dieses Singen:

Das setzt minder eine Fähigkeit zur vorgängigen Verinnerlichung und Konzentration (allzu oft ist Konzentration gleich Verkrampfung) voraus als eine beinahe 'objektive', 'objektale' Neudefinition des Tones selbst. Die Töne sind nicht mehr in sich selbst geschlossen und abgekapselt, was im Gegensatz zur herkömmlichen musikalischen Notenschrift steht, die den Umfang eines Tons auf einen bestimmten Raum innerhalb der Notenlinien beschränken will. In Wirklichkeit strahlt jeder Ton aus, und diese Ausstrahlung der Töne ist die große Entdeckung der zeitgenössischen Musik.23

Hingegen ist der Schrei expressiv, geballt, gepreßt, gewalttätig, von einer Aggressivität motiviert, von der R. Barthes sagt, sie sei der "gereizte Ausdruck eines gezwungenen Körpers, der explodiert."24 Er ist das Gegenteil von Durchdringung und Nicht-Behinderung. Diese Explosivität hat zum Ziel, strukturbildende Einschnitte in einer Materie (in der Stille, im Körper) zu erzeugen.
Das kapitalistische Begehren benötigt die Kanäle, die die Richtung auf das ödipalisierte Objekt weisen. Es will den exklusiven Ort besetzen und besitzen: den Landstrich, das Elfenbein, die Vagina. In der fetischistischen Karthexis verfällt das Individuum der Obsession. In der antiödipalen Anarchie der nomadierenden Töne, Geräusche und Klänge gibt es keine Trennung, sondern nur Kombinationen, Durchmischungen. Es können auch keine affektiven Aufwallungen und Sentimentalisierungen entstehen, die ja immer nur dort bestehen, wo ein Scheinhaftes existiert, ein mit Tiefe ausgestattetes Objekt, das fetischistisch verehrt wird. Marlow weiß, daß der Wunsch nach Theatralität einhergeht mit einer Desensibilisierung, mit einer gewissen Blindheit und Taubheit: "[...] you may be such a thunderingly exalted creature as to be altogether deaf and blind to anything but heavenly sights and sounds." (70) Daher klagt er eine Sensibilität ein, die "eine Partizipation der Klänge am Leben"25 ermöglicht: "The earth for us is a place to live in, where we must put up with sights, with sounds [...]." (71)
Die Klänge hinnehmen, wie sie sind. Oder wie John Cage sagt: "Man muß die Töne Töne sein lassen."26 Ohne Richtung bewegen sie sich in Richtung auf das Nicht-Semiotische.
Zwar stehen das Klirren der Ketten (22), das Keuchen der Brustkörbe (23) und das Stöhnen eines Gefolterten (37) in bedeutungshafter Beziehung zur Sozialkritik der Erzählung. Die Klänge sind aber auch zu 'lesen' als unwillkürliche Seinsäußerungen des Leibes, der sich lediglich in seiner Existenz kundtut.27 Deleuze/Guattari haben in der Literatur Kafkas eine ähnliche Tendenz der Klänge ermittelt, vom Extensiven zum Intensiven sich zu wandeln. Sie schreiben:

Was Kafka interessiert, ist ein intensiver klanglicher Rohstoff, der sich tendenziell selber aufhebt, ein deterritorialisierter, musikalischer Klang, ein Schrei, der sich ebenso der Bedeutung entzieht wie der Komposition, der Melodie und dem Wort, eine Klanglichkeit im Bruch, im Bestreben, sich von einer noch viel zu signifikanten Fessel zu lösen. Im Klang zählt allein die Intensität, die in der Regel monoton und stets a-signifikant ist, so der eintönige Schrei des geprügelten Wächters im Prozeß.28

In den Lautäußerungen des Körpers drückt sich keine Seele aus, sie sind weder Zeichen des Protestes noch der Unterwerfung, sie sind einfach nur klangliche Materie. Wie das Surren der Fliegen von dem ich bereits sprach, weisen sie auf einen Raum ohne Subjekt, der mit Intensität aufgeladen ist. Sie sind funktionslos wie Töne, denen die melodischen und harmonischen Beziehungen abhanden gekommen sind. Sie verfügen daher über eine Nicht-Abgeschlossenheit und Bindungslosigkeit. Für diese fast subperzeptive Energie haben die Weißen in Conrads Erzählung durchaus ein Gespür, allerdings ein ideosynkratisches: Sie fühlen sich von ihr gestört; hingegen scheint ihnen ihr eigenes Lärmen nichts auszumachen. Als eine Musik am "Nullpunkt" (Barthes) entzieht sie sich der von den Herrschenden eingesetzten Dialektik von Subjekt und Objekt. Die reine Verausgabung paßt nicht in die Logik des Kalkulierens, verfehlt die Theatralität und die Propaganda.

Die Eignungslosigkeit solcher Klänge ist daher mit der Stille verwandt. Theatralität ist das Resultat einer Einschreibung im doppelten Sinne: Sie ist die Schrift in einem Bühnenraum (Produktion), und sie ist die emotionale und intelligible Wirkung (Rezeption). Die semiotische Praxis der Explosivität benutzt die Stille als Einschreibungsfläche. Auf das Weiß, auf die Leere des Blattes wird eine Linie gezogen. Das ist eine Aufführung und die Schaffung eines distinkten Zeichens.

Instantly, in the emptiness of the landscape, a cry arose whose shrillness pierced the still air like a sharp arrow. (85)

Im Gegensatz zur Explosivität, die die Wirkung einer Konzentration ist, stehen die schwebenden Musiken in einem gänzlich anderen Verhältnis zur Stille. Klang und Stille bilden kein differenzielles Gegeneinander, es wird keine Ordnung in ein Nichts projiziert. John Cage sagt über seine Musik:

Stille ist nicht mehr eine Projektionsfläche in Hinblick auf einen Klang.29

Das Gemurmel von Stimmen, das verhallende und anschwellende Beben ferner Trommeln, das leise Geklingel des Schmucks der "wilden und prächtigen Frauensperson", all das kommt aus der Stille und wird von ihr wieder verschluckt. Stille ist dekonzentrierter Klang. Man stelle sich einen großen Gong vor, wie er in der asiatischen Musik verwendet wird. Er wird leicht angeschlagen, langsam bläht sich das Volumen seiner Resonanz auf, denn die Wellen müssen erst den Weg durch das Metall zurücklegen. Und langsam verhallt er wieder. Wo beginnt der Klang und wo hört er auf? Was entsteht, ist ein Raum, der noch bleibt, wenn schon längst keine Schwingungen mehr vom Gong ausgehen. Was bleibt, ist ein Empfindungsrest.
Stille kann übertönt werden, sie kann aber auch zu etwas gemacht werden, das eine Erscheinung hat.
Wir hatten gesehen: Immer, wenn der laute Schlag verklungen war, kam eine schwebende, horizontale Musik zu Gehör oder eine Stille.
Beide bilden den subversiven Untergrund zum propandagistischen Dröhnen, beide gehören der selben Ordnung an.

The bushes did not rustle. (84)

Durch die grammatische Verneinung entsteht diese Vermischung von Klang und Nicht-Klang, beide werden im selben Moment evoziert. Der eine ist gegenwärtig, der andere ist ein Empfindungs- oder Erinnerungsrest. Stille ist somit nicht das Nichts, sie ist nicht der Tod oder Repräsentant des Todestriebes (der Todestrieb ist still, sagt Freud), sie ist vernehmbare Energie.
Dieser Zustand wird vom gewaltsamen Laut oft übertönt, als müsse eine Bedrohung abgewiesen werden. Das ist das Muster, das in Heart of Darkness immer und immer wieder variiert wird.
Daß die Stille nicht bloß Negation der expressiven Ordnung ist, das dunkle Loch, das die Lebensäußerungen verschluckt, sondern ebenso ein eigensinniger Bereich, diese Erkenntnis setzt sich für Marlow erst im Laufe seiner Reise durch.
Zu Beginn ist die Stille noch das Bedrohliche oder doch das Ambivalente, das in seiner Rätselhaftigkeit das sinngebende Subjekt zu annihilieren droht. Daher wird die Stille nur als das Lautlose erlebt, mit dem man im Kampf steht.

Could we handle that dumb thing, or would it handle us? (38)

Das Schweigen des Anderen kommt über das Ich als die Verkörperung des Todestriebes. Es scheint, als gehöre Marlow noch zu den Desensibilisierten, die nur den überschwenglichen "himmlischen Klang zu vernehmen in der Lage sind. Das Innnen und das Außen sind klar von einander geschieden:

[The past] came in the shape of an unrestful and noisy dream, remembered with wonder amongst the overwhelming realities of this stränge world of plants, and water, and silence. And this stillness of life did not in the least resemble a peace. (48)

Die Lautlosigkeit ist hier noch ganz eine Qualität des Außen, obgleich sie schon mit dem Begriff Leben assoziiert wird. Es scheint, als wäre das, was Freud Reizschutz nennt, wie ein(allerdings schon brüchiger) Panzer um Marlows Körper gelegt.

Not the faintest sound of any kind could be heard. (56)

Solch irreale Klanglosigkeit gibt es nur bei totaler Abschaltung apperzeptiver Sensibilität. Darin liegt tatsächlich der Tod, wenn nicht einmal mehr ein Rauschen vernommen wird, egal ob es aus dem Innen oder dem Außen kommt.30
Obgleich der Stille immer ein Moment der Bedrohung anhaftet, wird sie dennoch im Verlauf der Erzählung als ein energon, als ein Lebendiges erkannt. Stille ist das Merkmal der Natur: "The great wall of Vegetation [...] was like a rioting invasion of soundless life." (43) Die Stille kommt aus einem Körper, dessen Lebendigkeit immens erscheint.

And in the hush that had fallen suddenly upon the whole sorrow-ful land, the immense wilderness, the colossal body of fecund and mysterious life seemed to look at her, pensive, as though it had been looking at the image of its own tenebrous and passionate soul. (87)

So wie die Natur körperhaft ist, so ist Marlow in seiner Leiblichkeit auch naturhaft. Der perverse Ton-Klang-Stille-Körper ist nicht wie eine kalte Statue, die das Außen und Innen klar markiert. Er hat Löcher, Falten, durch die das 'Interieur' erspürt wird.

[...] the mere incidents of the surface, the reality – the reality, I teil you – fades. The inner truth is hidden – luckily But I feit it all the same; I felt often itsmysterious stillness watching me at my monkey tricks [...]. (49)

Die Stille ist gleichgültig, sie hat die Bewegungsenergie eines sich verströmenden Objekts und nicht die Gradlinigkeit des Subjekts, daher erlebt Marlow sie als mysteriös. Sie ist nicht Abwesenheit von etwas, sondern Präsenz, die die Kraft hat, das Gesellschaftliche, das Affentheater (monkey tricks) aufzukündigen.

Silence implies alienation from reason, society, and history [...], schreibt I. Hassan, "Silence turns consciousness upon itself, altering the modes of its awareness [...].31

Stille bringt das Individuum zu sich selbst. Die Einsamkeit kann zwar immer die Gefahr der Selbstdestruktion beinhalten, aber die Gratwanderung am Rande der Subjektlosigkeit und der vergessenen Selbstbehauptung bringt erst Sensibilität (auch für das Soziale und seine Pathologien) hervor:

[...] how can you imagine what particular region of the first ages a man's untrammelled feet raay take him into by the way of solitude – utter solitude without a policeman – by the way of silence – utter silence, where no warning voice of a kind neighbour can be heard whispering of public opinion? [...] When they are gone you must fall back upon your own innate strength [...] (70)

Das Fortfallen einer dröhnenden Rhetorik geht einher mit einer plötzlichen Wendung zum Intensiven (strength). Das Moment der Ordnungssetzung zerfällt, es gibt keine teleologische Bestimmung mehr. Daher verliert auch die Aggressivität ihren Sinn, die ja mehr an ein Ziel gebunden ist. I. Hassan nennt das Prinzip, das der Stille unterliegt, Indeterminanz.32 Es gibt kein Zentrum – oder es gibt viele, die sich durchmischen. Die Körper (Marlows und der Natur) sind mehr als nur Dispositive einer Politik des Begehrens. Innen und außen, Subjekt und Objekt sind Begriffe, die in der Strategie des energons ihre bestimmende Kraft verlieren. Marlow berichtet davon:
Am Ende seiner Fahrt begibt er sich des nachts auf die Suche nach Kurtz. Er schreitet hinaus in die Dunkelheit, in den Wald, ins Herz der Finsternis. Er glaubt nicht mehr zurückzufinden und dennoch ist er nicht beunruhigt. Er befindet sich in einem Zustand der Offenheit, des Geschehenlassens. Es findet keine Auseinandersetzung statt, keine Grenzüberschreitung. Marlow spiegelt sich weder in etwas noch befindet er sich in einer Arbeit, in einer Tätigkeit des Überwindens. Sowohl die Spiegelung als auch die Arbeit an der Grenze sind die traditionellen Muster, über die sich das bürgerliche Subjekt herstellt und sich seiner bewußt wird.
Marlow berichtet von der Permeabilität, von der Erfahrung der Unbestimmtheit, als er einen Trommelklang gewahr wird und ihn mit den Tönen seines Leibes verwechselt.

And I remember I confounded the beat of the drums with the beating of my heart, and was pleased at its calm regularity. (93)

Der so beschriebene Zustand hat keine Ähnlichkeit mit existentiellen Unsicherheitserfahrungen, die ein Außen (das Bedrohende) und ein Innen (das Bedrohte) voraussetzen. Die Trommelmusik (außen/fern) und die Herzschläge (innen/nah) verstricken sich zu einem Kontinuum, zu einem Wärmestrom: keine Furcht, keine Langeweile in der Monotonie, kein Aufgebrachtsein, keine Bewußtlosigkeit, keine Lüsternheit. Es scheint, als gäbe es nur die Gegenwart und das Nomadisieren auf der Stelle. Man ist versucht zu meinen, Marlow nähere sich auf gefährliche Weise dem Wahnsinn. Was sich aber einstellt, ist eine Bewußtheit für das, was ist: "I was strangely cocksure of everything that night." (93)
Um adäquat beschreiben zu können, in welcher Verfassung sich das Individuum befindet, wäre die Anstrengung zu unternehmen, einen Subjekt begriff zu definieren, der sich von dem bürgerlichen unterscheidet. Wie oben ausgeführt wurde, ist in der Konstituierung des bürgerlichen Subjekts die Negation schon potentiell eingebaut: Im Prozeß der Selbstbehauptung ist immer die Gefahr der Regression mitgegeben. Die Fixierung einmal erworbener Ichgrenzen kann in eine Zwangshaftigkeit auslaufen, die durch ein Verhalten geprägt ist, das seine Möglichkeiten allein aus dem Alten, dem Gewohnten oder dem Verdrängten bezieht und jedwede Erweiterung abwehrt. Das ist die neurotische Tendenz.
Oder die Strukturen des Ich verwischen sich mit dem Inkommensurablen, was unweigerlich im Wahnsinn sein Ende hat. Kurtz steht paradigmatisch für diese Tendenz.
Daß sich aber gerade im Verflüssigen der Ichgrenzen ein Zustand einstellt, der weder neurotisch noch wahnsinnig zu nennen ist, läßt die Schlußfolgerung zu, daß es sich um eine Subjektivierung jenseits des traditionell-bürgerlichen Musters handelt. Legt der Text nahe, daß es trotz der Offenheit einen wie auch immer gearteten Kontext im personalen System gibt, der eine Einheit garantiert?
Die Textinterpretation kann die Subjekttheorie nicht liefern, sie kann lediglich bei der Erstellung einer Symptomatologie dienlich sein.
Ein weiteres Merkmal solcher Verfaßtheit besteht darin, daß das Fragen nach dem Wesen des Wahrgenommenen sich verflüchtigt. Die Musik schreibt sich nicht in die Leere ein, um die Kommunikation eines Sinns oder eines Wertes anzustreben. In der ruhigen Regelmäßigkeit des Immergleichen strebt die Erregungsspannung auf Null ("I was pleased at its calm regularity"). Die Musik wird als Ereignis für sich belassen und in der intensiven Ausrichtung angenommen.
Diese Abwesenheit von Differenz und Höhe in der Musik kennen wir aus der mittelalterlichen (Gregorianik) und orientalischen Musik.
Conrad ist auf seinen Reisen dieser auf Stille, Linearität und Monotonie fußenden Musik begegnet.33 Aber die Sensibilität und das Interesse für das so geartete Fremde war nicht auf Conrad beschränkt. Spätestens seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wuchs die (vorwiegend akademische) Neugier an griechischer, asiatischer und mittelalterlicher Musik. Und 1889 wurde erstmals einem größeren Publikum auf der Pariser Weltausstellung orientalische, rumänische und javanesische Musik vorgestellt.34
In diese Periode fällt auch der Beginn einer Entwicklung, die das Archaische in die Modernität integriert, die "Musik ohne Zusammenhang, Musik als Zustand, Musik als Klingen ohne Ausdrucksbezug"35 und wenig später das Geräusch als Musik kreiert.

Ein Zeitgenosse Joseph Conrads (1857-1924) steht beispielhaft für diese Richtung: Erik Satie (1866-1925).
Es soll nicht über Satie im Sinne einer Einflußgeschichte gesprochen werden.36 Vielmehr soll mit dem Vergleich angedeutet werden, daß Conrads Sensibilität für Klangereignisse zwei Tendenzen in der Entwicklung der Moderne aufspürt: Es ist einmal der Wille nach Ausdruck, Totalität und Subjektivierung und zum anderen die Ausdruckslosigkeit, die Partialität und die Ich-losigkeit.
Kurtz hatten wir als wagnerische Figur charakterisiert. Marlow, Kurtzens Antipode, wird mehr und mehr, je weiter er in die Finsternis dringt, zu einer Personifikation Satiescher Ideale. Satie komponierte bewußt gegen Wagner. Die Merkmale sind das "Sich-Verlieren-an" (den Klang, die Stille) und das "Sich-Ab-setzen-von"37 (dem Gesellschaftlichen). Anders als das fetischisierende Ausdrucksbegehren, das Stimmungen erzeugt, in die der Hörer sich einfühlen soll, ist die Satiesche Musik eine, die sich eher als "Ambiente"38 versteht. Sie ist dem Leib näher als der Seele. Man bewegt sich in ihr, man atmet mit ihr. Der Verweis auf das Atmen ist mehr als ein poetischer Vergleich. Wenn Marlow das Trommeln mit dem Herzschlag in eins bringt, so spürt der Hörer ganz genauso bei den frühen Klavierstücken Erik Saties, daß die Melodiebögen, die immer die Harmonik in den Hintergrund drängen (Horizontalität vor Vertikalität), ein Ausatmen sind und die Stille dazwischen die Dauer ruhigen Einatmens haben. G. Wehmeyer schreibt über die zweite Gnossienne: "Das Metrum liegt wie der Pulsschlag unter den freien Atemzügen der Melodie."39

In der Musik Saties finden wir all die Merkmale der Linearität: rhythmische Gleichförmigkeit, Orgelpunkttechnik, Abwesenheit jedweder Leitmotivik, die Harmonie ist hochgradig statisch und folgt keiner Funktionalität, so als wolle sie "in alle Richtungen entweichen".40 Die Melodien sind in der Regel nicht-chromatisch, modal und verweigern daher dominantische Wirkungen, haben also keine Tendenz zur Spannungsbildung und zielen auf keinen Abschluß. Die Musik ist a-signifikant.
Der Satie-Interpret Ulrich Gumpert berichtet, davon, daß während eines Konzerts ein Besucher eingeschlafen und während des ganzen Konzerts nicht aufgewacht ist. Und er fährt fort: "Ich habe dasals eine Art Sieg für mich verbucht: Ich habe die Statik so gut gespielt, daß der wirklich eingeschlafen ist."41 Das ist der Effekt minimierter Erregungsspannung.
Saties Verwendung griechisch-orientalischer Tonleitern zeigt die Nähe zu einer Idee des Orientalismus, in dem die Meditativitat ein zentrales Motiv ist. Die Stille, in denen die Melodien ver-tropfen, sind keine Risse ins Nichts, sie lassen einen auf den Körper hören. Wenngleich die Musik ohne Höhepunkte ist, ohne Zielstrebigkeit, so erweckt ihre Statik doch nie den Eindruck der Tödlichkeit. Das Geschmeidige und Gleitende evoziert "Zärtlichkeit und Humor", ist "bar jeglicher Sentimentalität"42. G. Wehmeyer schreibt:

Saties Musik ist nicht farbig. Ihre "Weiße" kommt durch das Fehlen chromatisierter Harmonik zustande. Sie ist unwagnerisch. Eine kirchentonartige, aus vorgeformten Bausteinen zusammengesetzte Musik muß sogar anti-tristianisch und unneurotisch sein, sie ist vielmehr klösterlich, geschlechtsfrei.43

Auch Marlow ist zölibatär – im Gegensatz zu Kurtz. Seine Erzählung – auch eine Form des Musizierens – folgt ganz dem Muster Satiescher Musik. Er ist der meditierende Buddha ("he sat apart, indistinct and silent, in the pose of a meditating buddha [111]), und spricht er, fließt die Rede in einem ununterbrochenen Strom dahin. Sie beginnt an einem Punkt, der unwillkürlich erscheint und doch von den Zuhörern einfach akzeptiert wird: "His remark did not seem at all surprising. It was just like Marlow. It was accepted in silence." (8) Am Ende hat sie die Zeit vergessen gemacht. Kurtz dröhnt und donnert und erzwingt eine momentane Aufmerksamkeit. Marlows Erzählen hingegen macht Schluß mit der Zeitökonomie, sie klagt Geduld ein und den Sinn für das Unabgeschlossene:

We looked on, waiting patiently – there was nothing eise to do till the end of the flood; but it was only after a long silence, when he [Marlow] said, in a hesitating voice, "I suppose you fellows remember I did once turn fresh-water sailor for a bit," that we knew we were fated, before the ebb began to run, to hear about one of Marlows inconclusive experiences. (10)

Stärker noch als in Heart of Darkness wird in Lord Jim die Zeit aufgelöst. Marlow erzählt dort die Geschichte in einem Atem, die die Länge von mehr als dreihundert Seiten einnimmt. Den Sinn für solche Irrealitäten hatte auch Erik Satie. Das Stück Vexations besteht aus nicht mehr als 52 Vierteltonschlägen, wobei das Baßthema (13 Vierteltonschläge) vier Mal wiederholt wird. Das Stück enthält die Anweisung, es 840 Mal zu wiederholen. Die note de l'auteur lautet: "Um dieses Stück 840 Mal hintereinander zu spielen, wird es gut sein, sich zuerst darauf vorzubereiten, in großer Stille, mit ernster Regungslosigkeit."
1963 ließ John Cage es mit einem Team von zehn sich abwechselnden Pianisten aufführen. Die ganze Prozedur dauerte achtzehn Stunden. Sinn oder Unsinn? Das ist die Einübung ins Vergessen, in die Unaufdringlichkeit. Marlow wird von dem Klang der Brandung, der Trommeln durchdrungen, ohne daß die Klänge ihn in seinem Tun behinderten, ja, die ihm sogar Versicherung seines Tuns sind. Zur Aufführung der Vexations hieß es in einer Pressestimme:

Einige schliefen. Andere lasen oder schrieben Briefe. Fotografen machten Aufnahmen, Menschen kamen und gingen. Ab und zu sorgte eine falsch gespielte Note für Abwechslung. Einige der Pianisten begannen zu interpretieren, spielten sehr sanft oder in einer Lautstärke [...] Als der Morgen anbrach, drang Straßenlärm in den Saal.44

Da die Musik in ihrer inneren Struktur das Moment der Beziehungslosigkeit trägt, erlaubt sie auch die Existenz des Beziehungslosen außerhalb ihrer Form, Zufall und Kreation. Individualität und Kollektivität bilden eine Einheit. Das Meisterliche der 'großen' Musik ("Kurtz had been essentially a great musician" [103]) ist hohl geworden, die eine Stimme wird von den vielen anderen absorbiert. Es entsteht eine "'kleine Kunst" mit Deterritorialisierungen, mit Vielheiten.45

"He drew men towards him by what was best in them." She looked at me with intensity. "It is the gift of the great," she went on, and the sound of her low voice seemed to have the accompaniment of all the other sounds, full of mystery, desolation, and sorrow, I had ever heard – the ripple of the river, the crowds, the faint ring of incomprehensible words cried from afar, the whisper of a voice speaking from beyond the treshhold of an eternal darkness. (108)

Die Aussage verschwindet unter der Strom reinen Klanges, in einer geheimnisvollen Energie.
Diese Abkehr vom Ideal der Kommunikation und das Annehmen der Stille als Raum, in dem etwas geschieht, haben von Beginn der Moderne an einen Platz in den Künsten gehabt. Die Trennung des Klanges vom Ausdruck ist nicht nur in Saties musique d'ameublement vorhanden, es gibt sie in symbolistischer Lyrik, in der impressionistischen Malerei, wo der (Farb-)Ton einen Wert jenseits des Dargestellten hat. Die Abkehr von der Zielgerichtetheit und dem Aktivismus wird von Conrad durch die Figur Marions dargestellt. Die Krise des Sinns ist bei ihm eine Krise auch der Macht und der Kommunikation. Ordnung erscheint als totalitär, sie ist überformt von einem Sentimentalismus und falschen Heroismus. Solcher Zusammenhang hat keine Sicherheitsverbürgende Kraft.
Kurtz, der keine Hemmung in der Befriedigung seiner Lüste kennt ("Kurtz lacked restraint in the gratification of his various lusts" [83]) macht sich genau darum zum Opfer des Mangels, den nur die lauttönende Eloquenz überdecken kann. Diese scheinbare Souveränität des Subjekts wird im letzten Akt der Dialektik offenbar:

But the wilderness had found him out early, and had taken on him a terrible vengence for the fantastic invasion. I think it had whispered to him things about himself which he did not know, things of which he had no conception till he took counsel with this great solitude – and the whisper had proved irresistibly fascinating. It echoed loudly within him because he was hollow at the core [...]. (83)

Diese Erfahrung prägt Marlow, der die Faszination für Kurtz mit allen anderen teilte. In seiner Erzählung der Ereignisse bewahrt er die Stille und Linearität, die die Subversivität des Objekts ausmacht. Sein Zölibat macht ihn zum Mönch, seine Erzählung ist das Oratorium. Er steht jenseits des begehrenden Lebens.
Das ist ein romantisches Motiv. Desgleichen weist es. aber auch voraus ins zwanzigste Jahrhundert, das Kunstkonzepte hervorbrachte, die auf eine Entsubjektivierung zielten. John Cage, ein Nachfolger Erik Saties, beschreibt in seinem Buch Silence den Weg von der Vergeblichkeit zur Zufälligkeit:

The novelty of our work derives therefore from our having moved away from simply private human concerns towards the world of nature and society of which all of us are a part. Our intention is to affirm this life, not to bring order out of chaos nor to suggest improvements in creation, but simply to wake up to the very life we're living, which is so excellent once one gets one' s mind and one's desires out of its way and lets it act of its own accord.46

Die Stimmen und Geräusche, die sich am Ende in Marlow noch einmal in einem anarchischen Akkord vergegenwärtigen, sind wie die aleatorische und simultaneistische Musik John Cages. Das Diffuse, das Nicht-Identische, das Sinnlose hat zu einer gewaltlosen Gestalt gefunden.
Ist dies als ein Modell zu verstehen oder nur als hilflose Negation?


1 Gilles Deleuze, Kleine Schriften, Berlin 1980, S. 94.

2 Die Musiktechnologie bietet dafür die notwendige hardware. Der Emulator ist ein Gerät, über das man digital jeden Naturklang abspeichern, abrufen und modifizieren kann.

3 Joseph Conrad, Heart of Darkness, Penguin Edition 1978. Alle Zitate aus HoD werden am Ende in runden Klammern mit der Seitenzahl versehen.

4 Christian Metz, "Aural Objects", Yale French Studies, 60 (1980). S. 25.

5 John Cage, Für die Vögel (im Gespräch mit Daniel Charles), Berlin 1984, S. 96, 100.

6 Daniel Charles, Musik und Vergessen, Berlin 1984, S. 17.

7 Charles, Vergessen, S. 88.

8 Cage berichtet davon, daß die amerikanische Regierun Versuche unternehmen ließ, bei denen Maschinen erprobt wurden, die im Falle eines Aufruhrs Klänge erzeugen sollten, die zur Taub heit führen sollten. Cage, Vögel, S. 109.

9 Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas, Frankfurt a.M. 1985, S. 117, 119.

10 Todorov, Eroberung, S. 141.

11 Todorov, Eroberung, S. 113-114.

12 Habermas zeigt am Beispiel Hegels, bei dem zum ersten Mal die Moderne bewußt als Problem abgehandelt wird, daß das "Prinzip der Subjektivität" in einer Dialektik von "expressiver Selbstverwirklichung", Freiheit und Reflexion einerseits und der Tendenz zur "Selbstverherrlichung und Illusionierung" mit den Folgen des Losreißens aus der Intersubjektivität zugunsten von herrschaftsbestimmten Subjekt-Objekt-Relationen andererseits verfangen ist. Siehe Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M. 1985, S. 28-75.

13 Daniel Charles, John Cage oder Die Musik ist los, Berlin 1979, S. 86.

14 Dieser Begriff stammt von mir und lehnt sich dem der Deckerinnerung an. Die Psychoanalyse versteht darunter eine scheinbar bedeutungslose Erinnerung, deren Analyse jedoch zu wichtigen Erfahrungen und Phantasien führt.

15 Karl Marx, Das Kapital, Berlin 1974, S. 86.

16 Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner , Frankfurt a,M. 1981, S. 143.

17 Zitiert nach Grete Wehmeyer, Erik Satje, Regensburg 1974, S. 82; Charles Baudelaire, "Richard Wagner und 'Tannhäuser' in Paris", Luc Decaunes (Hg.), Charles Baudelaire, Neuwied und Berlin, o.J., S. 202.

18 Richard Sennett beschreibt das Entstehen des Virtuosentums (am Beispiel Paganinis), des narkotisierenden Theaters Wagners und den Funktionswandel des Dirigenten vom bloßen Taktgeber zum musikalischen Helden im 19. Jahrhundert. Der Zuwachs an Persönlichkeit und Ausdruckskraft bei den Künstlern geht mit einem Schweigen und Unterwerfung auf Seiten der Rezipienten einher. "Freie Selbstäußerung" und "Selbstunterdrückung", "Expressivität" und "Passivität" bilden eine Einheit: "Der Virtuose übernimmt die Herrschaft über jene, die seine Empfindungen, seine Leiden, seine Träume nie begreifen werden." Sein Gott ist "'sein eigenes, dunkel trauriges Ich' [Liszt]." Siehe Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens, Frankfurt a.M. 1983, S. 227-243.

19 Adorno, Wagner , S. 11, 99.

20 Siehe auch die Seiten 69, 85 in HoD.

21 Cage, Vogel, S.. 183-185.

22 J.-F. Lyotard, Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin 1982, S. 104-105.

23 Charles, Vergessen, S. 92-93.

24 Roland Barthes, Cy Twombly , Berlin 1983, S. 86.

25 Cage, Vögel, S. 96.

26 Cage, Vögel, S. 109.

27 In diesem Zusammenhang ist auf den Umstand aufmerksam zu machen, daß die Weißen in HoD Merkmale der Leiblosigkeit auf weisen. Der Stationsvorsteher sagt: "'Men who come out here should have no entrails." (31). Marlow erzählt: "[...] this Papiermache Mephistopheles [...] it seemed to me that if I tried I could poke myforefinger through him, and would find nothing inside but a little loose dirt, maybe." (39) Kurtz ist "hollow at the core" (83)

28 G. Deleuze/F. Guattari, Kafka - Für eine kleine Literatur, Frankfurt a.M. 1976, S. 11.

29 Cage, Vögel, S. 35.

30 Cage berichtet davon, wie er in den schalldichten Raum des Tonstudios von Harvard ging und zwei Geräusche vernahm: das eine wurde durch sein Nervensystem, das andere durch die Blutzirkulation verursacht. Cage, Vögel, S. 13 7.

31 Ihab Hassan, The Dismermberment of Orpheus, New York 1971, S. 13.

32 Ihab Hassan, The Literature of Silence, New York 1967, S. 13.

33 Conrad notiert in sein Tagebuch am 3. und 4. Juli 1889: "Mosquitos. At night when the moon rose heard shouts and drumming in distant villages." "Bird notes charming. One especially a flute-like note." Zitiert nach Frederick R. Karl, Joseph Conrad. The Three Lives, London 1979, S. 291.

34 Wehmeyer, Satie, S. 25-33.

35 Wehmeyer, Satie , S. 18.

36 Es ist im übrigen wahrscheinlich, daß Conrad Satie nicht ein mal dem Namen nach kannte. F.R. Karl erwähnt ihn nicht in seiner Conrad-Biographie.

37 Dieter Schnebel, "Gotische Tänze, Schlaffe Präludien (für einen Hund), Sport und Vergnügen", H.-K. Metzger/R. Riehn (Hg.), Musikkonzepte Erik Satie, München 1980, S. 64.

38 A. Csampai/D. Holland, "Der Skandal Satie", Musikkonzepte, S. 75-76.

39 Wehmeyer, Satie, S. 42.

40 R. Shattuk, "Satie und die 'Musique de Placard'", Musikkonzepte, S. 83.

41 Jazzpodium, 2 (1985), S. 36.

42 Shattuk, "Satie", S. 83.

43 Wehmeyer, Satie, S. 88.

44 Zitiert nach dem Text auf dem Plattencover Erik Satie, Vexations. Reinbert De Leeuw.

45 Zu den Begriffen siehe Deleuze/Guattari, Kafka , S. 24 ff.

46 John Cage, Silence, Middletown, Connecticut 1961, S. 95.

* Zuerst veröffentlicht in Gunnar Schmidt, Literarische Konstruktionen des Mangels, Frankfurt/Main, Bern, New York, Paris 1987, 27-66