Licht|Bild

Ist Licht eine sichtbare Sache? — Die Frage mag absurd erscheinen, ist doch Licht die Bedingung dafür, dass wir überhaupt etwas sehen. Genau an diesem Punkt des Etwas springt eine Lücke auf: Das Bewusstsein nimmt nicht die Allgegenwart von immateriellem Licht wahr, sondern die Weltdinge in ihrer Konkretheit. Das Licht ist ein Medium, das in den Formen, die es transportiert, verschwindet. Der Theoretiker Niklas Luhmann formuliert das Paradox so: "Das Medium kann nur an den Formen und nicht als solches beobachtet werden." (Die Kunst der Gesellschaft)

Was für die Wahrnehmung gilt, gilt auch für den fotografischen Akt, der technologisch den menschliche Wahrnehmungsapparat nachbildet (Linse — Retina/Film). Nicht Licht, sondern Häuser, Menschen, Landschaften, Sterne, Mikroben erstehen als Bild. Die Analogie von sehen und fotografieren ist aufschlussreich: Dass wir nicht das Medium, sondern immer nur Formen sehen, ist vielleicht nicht einem ontologischen Status von Medium und Form zuzuschreiben — der Sachverhalt gründet in der apparativen Ausstattung der Wahrnehmung.

Wechseln wir also die Technik, vielleicht erblicken wir das Medium hinter der Form.

Der Hamburger Fotograf Frank Wache scheint einen Weg gefunden zu haben, das Medium Licht sichtbar zu machen: Er nimmt ein unbelichtetes Polaroidbild und setzt es ohne Apparat in bestimmten Situationen dem Licht aus. Was entsteht, sind monochrome Quadrate mit unterschiedlichen Farb- und Lichtwerten: von orange über blau und milchig grau bis zu schwarz. Die Bilder entstehen an weit auseinander liegenden Orten: Spanien, Italien, Japan, Kambodscha, Deutschland, Polen.

11.12.03, Polen, Auschwitz-Birkenau, Block I

Wache dreht an der Schraube des Bildsinns und spielt mit der Abwesenheit der gewohnten Form, wenn diese Orte mit ihren individuellen Gegenständen in Legenden evoziert werden:

"27.09.02, Frankreich, Pyrenäen, Altstadtgasse in Pau, Straßenlaternen, 22.23 Uhr."

"11.09.03, Italien, Piemont, Passo della Gardetta, in einem Bunker der 30er Jahre, Eingang zum Mannschaftsstollen, 12.41 Uhr."

Die Rhetorik der Bildlegenden ist geläufig; Urlaubsfotos und Dokumentarfotos könnten so betitelt werden. Aber sie irritieren in ihrer Genauigkeit gerade deshalb, weil das Bild die erwartete Korrespondenz verweigert.

Das medientechnische Arrangement eliminiert die Form und bringt die Lichthaftigkeit eines Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Bild. Das Papier "sieht" etwas anderes als die gewohnte Optik. Der Vergleich mit der Röntgenfotografie drängt sich auf, die ja auch die Augenoptik umgeht und genau deswegen zu anderen Einsichten gelangt.

Ist das Licht also doch erfassbar? Das Neue der optiklosen Bilder mit dem Wort Lichthaftigkeit zu beschreiben, eröffnet zwei Lesarten: Zeigt das Bild tatsächlich nichts als ein physikalisches Substrat, das Medium Licht in seiner diffusen Gegenwärtigkeit? Oder scheint auch die singuläre Stimmung eines Ortes auf? Man wird nicht umhin können, mit Blick auf die Ästhetik der Fotografien Assoziationen zur monochromen Malerei Mark Rothkos, Malewitschs oder Yves Kleins aufzurufen — eine Malerei, die das Undarstellbare des Emotionalen, des Spirituellen oder Erhabenen zu bearbeiten suchte. Oder sie mit der parapsychologischen Aurafotografie um 1900 zu verknüpfen, die das unsichtbare Strahlen des Lebendigen ins Bild zu bannen hoffte.

Die Entscheidung innerhalb dieser Alternative muss nicht gefällt werden.

Die Neukonstellation von Licht, Apparat, Wort und Bild mit den Anspielungen auf das Bekannte und der gleichzeitigen Erwartungsenttäuschung reflektiert auf das Mediale, auf das Gemachte. So können wir in Zweifel ziehen, ob die Bilder wirklich an den Orten entstanden sind, von denen die Wörter berichten. Text und Bild sind vielleicht nichts als Fiktionen. Ein Betrachter mag die Leerstelle des Bildes als Projektionsfläche für Bilder benutzen, die er den Texten entlehnt; er mag die Physik oder aber die Esoterik des abstrakten Lichts darin erkennen.

Sicherheiten oder Gewissheiten sind letztlich nicht zu gewinnen. Nicht einmal das minimalistische Ethos verspricht Rettung, demzufolge die Kunst von der Metaphysik des Sinns, dem Metaphorischen oder Symbolhaften, erlöst werden soll. Das Bild, das auf nichts als sich selbst verweist, gibt es jedoch nicht.

Die Licht-Bilder von Frank Wache und ihre Legenden platzieren den Betrachter außerhalb des Szenischen und einer verlässlichen Semantik: Was geschieht im Bild, welche Rolle spielen die Wörter, was sind die Bedingungen der Welterfahrung durch die Medien?

Das Medium als Metadiskurs über das Mediale? — An einem Punkt, im Dezember 2003, implodiert die Unterscheidung zwischen Medium und Metamedium. Es entsteht ein fast schwarzes Bild mit einem erdbraunen Quadrat, in dem noch rötlich violette Spuren erkennbar sind. Die Bildunterschrift lautet: "11.12.03, Polen, Auschwitz-Birkenau, Block I (Frauen und Kinder), Baracke 14, 14.23 Uhr."

Für einen Ort mit derart historischer Bedeutung, der selbst zum Bild geworden und von Legenden erfüllt ist, ohne das Geschehene wirklich repräsentieren zu können, gibt es keine angemessene Darstellung — vielleicht nur die Undarstellbarkeit als abstrakter Fleck, als Spur.

© Gunnar Schmidt