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Leuchtendes, schweigendes Land
Eine
Reise an den Rand, an die Kreuzstelle von Okzident und Orient:
Paul Bowles, der amerikanische Schriftsteller und Komponist, verläßt
1947 sein Heimatland, um fortan in Marokko zu leben. Bereits in
den 30er Jahren hatte er als junger Mann Nordafrika in der Begleitung
von Gertrude Stein und Aaron Copeland besucht. In seiner Autobiographie
schreibt er, daß er die Begegnung mit Tanger wie den Einritt
in eine Traumstadt erlebte, eine Stadt voller symbolkräftiger
Bilder: korridorähnliche Strassen, lange Treppengänge,
dunkle Hinterhöfe, schiefe Häuserwände wie in einem
expressionistischen Gemälde, Ruinen, Gewölbe, Terrassen,
die den Blick über das Meer freigaben. Für den New Yorker
schien sich an diesem Ort eine romantische Sehnsucht zu erfüllen,
denn es gab kaum Autoverkehr in der Stadt und keine Radios in
den Cafés, die die Stimmen der Menschen übertönten,
keinen modernen Kulturmüll, keine Strassenkriminalität: a doll's metropolis. Bowles lernt das Land in einem historischen
Augenblick kennen, bevor die kolonialistische Verwüstung
sichtbare Zeichen setzt.
Nach
der Übersiedlung erforscht Bowles in vielen Exkursionen das
Land, die Städte, Oasen, Täler, die Wüste. Auf
seinen Reisen hat er einen Fotoapparat dabei, zunächst
eine Voigtländer, später eine Zeiss-Ikon Kleinbildkamera
oder eine Leica. Die Negative, die in den 40er bis späten
60er Jahren entstehen, hat Bowles wie ein achtloser Knipser behandelt:
in Kartons oder lose zwischen Briefen und Manuskripten, manchmal
zerkratzt und von Ungeziefer angefressen, haben sie die Zeit in
Regalen und Schubladen nicht immer heil überstanden.
Paul
Bowles Produktionen als Schriftsteller, Komponist, ethno-musikalischer
Dokumentarist oder als Übersetzer sind von ihm stets als
Sendungen an eine Öffentlichkeit behandelt worden. Allein
seine fotografischen Bilder blieben - bis auf zwei oder drei Ausnahmen
- privat, ohne Empfänger: Heimlichkeiten in der Fremde.
Auch wenn Bowles kein ausgebildeter Fotograf ist und er seine
Bilder privatistisch und nachlässig behandelt hat, so ist
in der Begegnung mit dem fremden Land dennoch ein fotografisches
Ethos in ihm entstanden, das die Bildwürdigkeit seiner Umgebung
ästhetisch ernst nimmt. In einem Gespräch, das den inzwischen
veröffentlichten Bildern* beigegeben ist, antwortet Bowles
auf die Frage, wann er zu fotografieren begonnen habe: "Erst als
ich die Voigtländer kaufte, das war 1938, aber ich habe damals
nicht viele Aufnahmen gemacht. Ich habe Jane [Bowles, Pauls Ehefrau]
geknipst; erst als ich nach Marokko kam, habe ich richtig Fotos
gemacht." Was es heißt, richtig Fotos zu machen, wird
von ihm nicht erläutert; doch belegen vor allem die Landschafts-
und Architekturaufnahmen einen Sinn für ausgewogene Bildkompositionen.
Der Blick durch die Kamera ist dabei nicht am Pikturesken interessiert,
das ein touristisches Bedürfnis befriedigt; Bowles geht es
um die romantische Suche nach einer vormodernen Primitivität.
Er zeigt nicht den Einbruch westlicher Kultur; er nimmt die traditionellen
Bauten Marokkos in den Sucher, die sich in die eindrucksvolle
Berglandschaft fügen, die Wüste, in der der Mensch zu
einem kleinen Punkt wird, und Marokkaner in ihren althergebrachten
Kleidern. Jener erste Blick des jungen Bowles, der die unberührte
Kultur Norddafrikas zu entdecken glaubte, wird über die Jahre
hinweg in der Fotografie konserviert. Der Amerikaner in einem
von den Franzosen beherrschten und von der Modernisierung heimgesuchten
Land dokumentiert nicht die Konfliktzonen, die wunden Stellen,
die imperialistischen Versehrungen, sondern Orte und Menschen,
die über die Intensität des Archaischen zu verfügen
scheinen. (Das einzige Auto auf den Bildern ist das Jaguar Kabriolett,
mit dem Bowles sich in den 50er Jahren durch das Land chauffieren
ließ.) Bowles suchte die (noch) unverstellte Kultur und
Natur Nordafrikas. Der alte Bowles zeigt sich in Kommentaren zu
den eigenen Bildern als ernüchterter Romantiker oder Melancholiker,
der in ihnen das wiedererkennt, was verloren gegangen ist, was
einer unwiederbringlichen Zeit angehört: "Man kann Teile
von Tanger erkennen, dahinter: die italienische Kirche und den
Turm, und etwas Wald ... All das ist verschwunden, jetzt steht
da ein großes Schulgebäude." "Betonblocks - scheußlich,
einfach nichts!" In den Fotografien begegnet der Betrachter
verschwundenen Dingen, verlorenen Farben und Zeichen, Riten und
Festen, die der Modernisierung zum Opfer gefallen sind.
Neben
diesen ethnographischen Bildern stehen die Aufnahmen von Freunden,
Schriftstellerkollegen, arabischen Jungs und jungen Männer:
Andeutungen sozialer und sexueller Kontakte, Spuren aus der Welt
der Bohemiens, die in der Randzone der Kulturen die Ekstasen und
Verrücktheiten lebten. Bowles erzählt, wie aus dem Gemisch
von Alkohol, Kif und verfügbarer Sexualität eine Reihe
von Menschen wahnsinnig wurden, sogar zu Tode kamen. Bowles hat
in seinen literarischen Texten die Verwirrung, die Leere und die
Gewaltätigkeit oft zum Thema gemacht. Was erzählbar
ist, kann oder soll das Foto allerdings nicht zeigen. Es ist das
Dokument eines kurzen Augenblicks der Anwesenheit, das ein friedvolles
Beisammensein zur Ansicht bringt. Wie die Städte und Landschaften
erscheinen auch die Menschen als heil, als selbstgenügsame
Besucher oder Bewohner Arkadiens.
Welche
Wirklichkeit auch ins Bild spielen mag, sie wird von der Fotografie
entrückt; wir werden zu Zuschauern eines Geschehens, zu dessen
Zeit und Raum wir keinen Zugang haben, die Wesen sind ohne merkbares
Innenleben. Dieser Aspekt der Distanz zeigt Verwandschaft mit
der Erzählkunst Bowles’, in der die Menschen und Begebenheiten
ebenfalls von der Position der Außenansicht geschildert
werden. Bowles ist ein Betrachter, ein Außenstehender. Seinen
Texten ist gewissermaßen etwas Fotografisches eigen: Er
entwirft die Welt als sichtbare Äußerlichkeit, der
wir mit befremden zusehen. Charakteristisch für diese psychologisch-phänomenale
Exteriorität ist Empathielosigkeit; die Charaktere in den
Romanen und Erzählungen sind gleichsam Objektivitätsdaten,
die das Leben eher erleiden als gestalten. Bowles hat dazu einmal
angemerkt: "Meine Figuren denken nicht über sich nach. Denn
wenn sie nachdenken würden, wüßten sie, was sie
wollten. Sie wollen leben, im Sinne von Überleben, und nicht
etwa sterben." Die Abwesenheit psychologischen Tiefensinns
verdichtet sich im literarischen Szenario oft zu einer ethiklosen
Kälte. Dieser Sinn für die Oberfläche, der als
Modernitätschiffre das Gebaren der literarisch-imaginären
Schauspieler ins Absurde zu steigern vermag und in Szenen der
Gewalttätigkeit, Fremdheit und motivationslosen Verhaltens
sich entfaltet, wird in der Fotografie fast immer idyllisch gewendet.
Der Betrachter sieht Menschen, die ihm als Inbilder der Freundlichkeit,
Gelassenheit und zuweilen eines erotischen Versprechens erscheinen.
Die Fotografien, heimliche Wunschbilder, versammeln heitere Momente,
Glück, die das Leben und die Literatur verweigert. In ihnen
wird das Tragische abgeschattet, das unsichtbar die Menschen,
Landschaften und Städte umgibt.
Es
scheint, als suche der Fotograf den Augenblick eines Aufscheinens,
einer Helligkeit, die das Abgebildete erstrahlen läßt.
Am Wüstenrand, unter dem leuchtenden Himmel zeigt sich eine
andere Farbe. An einer Stelle des Romans The Sheltering Sky
wird diese Sehnsucht nach dem Ort ausgesprochen, der das Licht
und die Heiterkeit bewahrt: "Everything's getting grey, and it'll
be greyer. But some places'll withstand the malady longer than
you think. You'll see, in the Sahara here ..."
*
Paul Bowles, Fotografien. Wie hätte ich ein Foto in die
Wüste schicken können? Herausgegeben von Simon Bischoff.
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Stiftung für die
Photographie. Zürich-Berlin-New York: Scalo, 1993
© Gunnar Schmidt
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