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Eingriffe
Der französische Theoretiker Roland Barthes hat einmal das
fotografische Porträt als ein Kräftefeld bechrieben,
in dem sich unterschiedliche imaginäre Größen
verschränken: Vor dem Objektiv bin ich der, für den
ich mich halte, für den ich gehalten werden möchte und
für den der Fotograf mich hält. Was von diesen Kräften
als Sichtbares letztlich ins Bild eingeht, wird ein Betrachter
des Fotos kaum je auszumachen wissen.
Hin
und wieder jedoch zeigt sich in einer Fotografie eine Spur dieses
Wollens, das eine bestimmte Bildgestalt vorfinden möchte.
Ein befremdendes Element ist ins Bild eingedrungen, eine Irritation,
die dem Illusionismus der Fotografie einen Riß zufügt.
Die bescheiden-dienende Botschaft des Fotos "Ich zeige euch die
Dinge, wie sie sindä erfährt ihren Widerspruch, wenn jene
Wünsche, Befehle, Zusprüche, die das Objekt definieren
wollen, durch ein Zeichen bildgegenständlich werden.
Eine
frühe Fotografie aus dem Album der englischen Königsfamilie
gibt Zeugenschaft eines solchen Eingriffs: Mittelpunkt der Aufnahme
ist der Prinz von Wales, der in schmucker Uniform für den
Fotografen aufgestellt ist. Die Bildkomposition, ganz der Konvention
der Atelierfotografie gehorchend, gerät aber aus dem Gleichgewicht
durch eine Hand, die aus dem rechten Rand ins Bild greift; es
scheint, als wolle sie stützend oder zurechtweisend das Kind
in Positur bringen. Ein traumhaft-surreales Motiv: Dieser Hand
ist eine gespensterhafte Anmutung eigen, die nur die Ahnung einer
Anwesenheit gibt. Daß sie auf der lichtempfindlichen Platte
festgehalten wurde, ist gewiß einem Versehen geschuldet.
Dennoch zeigt sich in diesem kleinen Bildunfall etwas vom Wesen
der Fotografie, von dem Fremdzugriff auf das fotografierte Objekt.
Im Erscheinen der Hand visualisiert sich jener inszena-torische
Wille, der jedem fotografischen Akt unsichtbar eingeschrieben
ist, der Wunsch, etwas in einem bestimmten Lichte zu sehen. Jeder
kennt die Prozedur im Atelier, wo der Fotograf uns mit anleitenden
Worten in Szene zu setzen versucht. Durch Gehorsam bemühen
wir uns, inneres Selbstbild und au-ßen-geleitetes Image
zu amalgamieren. Trotz solchen Bemühens kann es geschehen,
daß die Anweisungen sich nicht zur gefälligen Pose
übersetzen; der Fotograf rückt dann mit feinen Handgriffen
seinen Kunden zurecht, Kopf-, Schulter- oder Fußstellung
sollen in einem günstigen Verhältnis zueinander stehen.
Die Hand hilft dem ungenü-gen-den Sprechen. Auf diese Art
entsteht ein Foto - ohne daß Hand und Sprechen jedoch ins
Bild mit aufgenommen wurden.
Hans
Bellmer
Auch
wenn der alten englischen Fotografie die anonyme Hand nur zufällig
eingeschrieben ist, so gewinnt sie dennoch Modellwert. Sie ist
zwar nicht zum Requisit der Atelier-Porträtfotografie geworden,
nimmt aber in frühen wissenschaftlichen, medizinischen oder
anthropologischen Aufnahmen einen Platz als genrespezifisches
Motiv ein. Die Hand ist gewissermaßen allegorisches pars
pro toto für die Macht des Gestalters: Die lenkende Hand
des Regisseurs wird Teil der Inszenierung.
Daß gerade im Bereich der wissenschaftlichen Bildwerke dieses
Motiv für eine gewisse Zeit Bedeutung hatte, ist - paradoxerweise
- mit dem Realismus der Fotografie zu erklären. Der Reichtum
an genauen Details, die im neuen Medium sichtbar vor das Auge
traten, stellte alte Wahrnehmungsweisen auf eine Probe; man mußte
erst lernen, die Fotos zu lesen. In dem Überangebot an Bildinformationen
lag die Gefahr, das Eigentliche, das Besondere, das, worauf das
Augenmerk zu richten war, zu übersehen. Das Bild bot zuviel
Information auf einmal, weil man noch kein spezifisches inszenatorisches
Vokabular entwickelt hatte, das dem Betrachter Anleitung bei seiner
Lektüre gab. Als eine Art Anschauungshilfe greift die Hand
eines Arztes ins Bild, um zeigenden Hinweis auf ein zu vermittelndes
Krankheitsbild zu geben. Er richtet das Objekt - und damit den
Blick des Betrachters. Die Augenmacht funktioniert im Sinne der
Wissenschaft nur, wenn sie konzentriert wird. Der Wunsch nach
Erkenntnisbildung und Bildklarheit mußte die Abschweifungen
des Blicks kontrollieren, ihn in Gestalt der ikonographischen
Handreichung stützen. Die Hand stellt den Versuch dar, den
erläuternden Kommentar in der Fotografie sichtbar zu machen,
der für das Verständnis des Gezeigten nötig ist.
Das Objekt soll im tatsächlichen und übertragenen Sinne
begreifbar gemacht werden.
Bei
heutiger Betrachtung der alten Bilder scheint sich jedoch die
Intention zur Eindeutigkeit aufzulösen zugunsten einer widersprüchlichen
Mehrdeutigkeit. Man könnte von dem Pathos der Hand sprechen,
von ihrer Symbolkraft: Sie ist nicht nur Werkzeug für rationale
Zwecke, richtet nicht nur die Dinge, sie vermag ebenso Schutz
wie auch Besitznahme, suchendes Ertasten und erotisches Wünschen
bis hin zum Obszönen zu vermitteln.
Der Künstler Hans Bellmer hat in einer Fotografie aus dem
Jahre 1934 die Ambivalenz des inszenierenden Eingriffs zum Thema
gemacht. Das Bild zeigt eine Puppe; eine Hand streicht ihr die
langen Haare aus dem Gesicht. Die Geste mutet zärtlich an
und scheint doch gleichzeitig dem Wunsch zu gehorchen, das wehrlose
Objekt gierig in Blick zu nehmen. Das Puppenantlitz ist vom Angreifer
abgekehrt, als suche es Schutz vor dem Übergriff. Nackt und
die mechanischen Innereien offenbarend ist dieser Körper
Sinnbild eines erotisch-begehrenden und eines medizinisch-sezierenden
Blicks. Blick und Hand koalieren sich zur Instanz der Aneignung,
egal ob sie wissenschaftlich oder erotisch motiviert ist.
Die
besondere Verweissymbolik der bildgewordenen Hand, die Sehen,
Zeigen und Begreifen verknüpft, ist längst aus der wissenschaftlichen
Fotografie verschwunden; andere Bildstrategien haben diese Funktion
übernommen. In den letzten Jahren ist sie allerdings wiedergekehrt
und zwar im Bereich bewegter Bildsimulation; sie hat damit eine
neue Stufe technischer Realisierung erfahren. Mit Hilfe des sogenannten
Datenhandschuhs und -helms ist es möglich, Hand und Blick
durch eine vom Computer errechnete virtuelle Landschaft zu bewegen.
Der umherschweifende Blick in die Kunstlandschaft und die simulierte
Hand bilden die entkörperlichten Körperkoordinaten der
Kunstwelterfahrung. Hier geht es nicht mehr um die Illusion, Sehen
und Wissen zu vereinheitlichen, sondern um den Genuß des
widerstandlosen Eindringens in das Innere eines Objekts. Das imaginäre
Kräfteverhältnis, von dem Barthes sprach, spielt in
diesen Simulationen keine Rolle mehr, selbst wenn dem Betrachter
anthropomorphe Gestalten vorgeführt werden: Objekt, Blick
und Hand sind im vornherein errechnete Elemente, die einander
nicht mehr in Irritation zu bringen vermögen.
© Gunnar Schmidt
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