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Eichmanns Antlitze
Seinen Berichten über den Eichmann-Prozeß im Jahre
1961, die den sachlichen Titel Strafsache 40/61 tragen,
stellt der Autor Harry Mulisch ein Bildexperiment voran. Ein Porträt
Eichmanns wurde senkrecht halbiert und jede Hälfte durch
ihr eigenes Spiegelbild ergänzt. Aus der Montage erwachsen
zwei erstaunliche Metamorphosen: Wir sehen da ein flächiges,
lichtdurchtränktes, freundliches Antlitz, dem sein Widerspruch
gegenübergestellt ist in Gestalt einer durchfurchten, dunkel-dämonischen
Fratze. Engel und Teufel? Mensch und Monster?
Adolf
Eichmann
Mulischs
Bildtrick bekommt einen tiefen Ernst, weil er nach einem symbolischen
Ausdruck sucht, der hinter der Maske der Normalität des Massenvernichters
den wirklichen Eichmann anschaubar machen soll. Mulisch möchte
die Spur einer Regung, einer Wirkung dieses Lebens im Grauen entdecken.
Das Unfaßliche soll im Gesicht als das Menschenmögliche
ansichtbar werden. Sorgsam vermeidet der Bildzauberer dabei den
denunziatorisch-progandistischen Zugriff, er begibt sich nicht
auf die Stufe trivialen Bewußtsein, das in der Grimasse
lediglich die Enthüllung des enthumanisierten Ungeheuers
erkennen würde. Auf socherart schlichter Kategorisierung
haben die Nazis ihre rassistische Gesichterschau gegründet.
Mulisch dagegen versucht sich in einer Psychologie des Gesichts.
Diese widersinnigen Gesichter, die aus dem einen entstammen, sind
Bilder des Verbrechens und des moralischen Ekels: Das glatte Antlitz
teilt nach Mulisch die Mitleidlosigkeit des Mörders mit;
in der verzerrten Visage erkennt er hingegen den Abscheu, die
der Mensch beim Zuschauen seiner grauenvollen Arbeit erlebt hat.
Mulisch rettet durch seine Interpretation ein Stück Humanität
im Inhumanen.
Die
Bild- und Gesichtsbetrachtung spielt mit der alten Vorstellungen,
wonach das Gesicht Spiegel der Seele ist. Das Innerste des Menschen
soll hier zum authentischen Vorschein kommen. Die Muskeln, Linien
und Augen bilden den unwillkürlichen Wahrheitsausdruck
der Person. Dabei gilt es jedoch, die Spuren und Zeichen erkennbar
zu machen, wozu es der Kenntnisse und Techniken bedarf, anderenfalls
erschiene das Gesicht als bloße nichtssagende Maske.
Mulischs
Fotomontage ist eine Dechiffrier- oder Konstruktionstechnik, die
durch den Schnitt dem Wesentlichen auf die Schliche zu kommen
hofft. Sie motiviert sich aus der Vorstellung, daß es im
Unsichtbaren Sichtbares gibt, Wahrhaftigkeit hinter der Maske.
Am Bild kann sich der Wunsch erfüllen, die Wahrheit gleichsam
detektivisch ans Licht zu bringen, zu wissen, was der Mensch ist,
was noch in den dunkelsten Ecken seiner Seele stattfindet. Aber
es erfüllt sich damit implizit auch der Wunsch nach einer
Seele überhaupt, die diesem Menschen abhanden gekommen zu
sein schien. Eichmann bedroht unseren eigenen Status als mitfühlende
Menschen. Erkennen wir uns in Eichmann wieder, dann dürfen
wir nicht darauf setzen, daß wir unserer Seelen auf ewig
sicher sein können.
Mulischs
Annährung an Eichmann ist eine Rettungsaktion. Er gründet
sie auf dem einfachen Schema der Entgegensetzung oder Zweiteilung;
danach wohnen in jedem Körper zwei Wesen: Jekyll und Hyde,
kalte Statue und blutwarmer Tänzer, Helles und Dunkles, Ich
und Es. Jeder kennt dieses Modell und hat schon einmal den Kaltherzigen
als einen im Innersten Verletzten gedeutet, den Fröhlichen
als einen versteckten Melancholischen, den Herrschsüchtigen
als einen im Wesen Verzagten.
Die
Bildmontage will Segmente der Person ausweisen, zerteilt sie,
macht sie vorgeblich lesbar; sie nährt das Phantasma, man
könne der Person Eichmanns nahe kommen. Die symbolische Suche
nach einem Gesicht im Gesicht kann uns glauben machen, die Fremdheit,
die monadische Abgeschlossenheit überbrücken zu können.
So schützen wir uns vor der Angst vor dem Ungewissen. Man
begibt sich in eine trügerische Richterschaft: Auf ein Bild
zu schauen und es zu zerschneiden, ist etwas anderes, als in ein
Gesicht zu schauen und dem Blick, der darin wohnt, standzuhalten.
© Gunnar Schmidt
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