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Artensterben
Staunen und Begeisterung löste die Erfindung der Fotografie
aus. Soviel Bildwahrheit hatte es noch nie gegeben. Und doch haftete
der Fotografie unübersehbar ein Makel an. Obwohl sie den
Realismus definitiv zu begründen schien, riß die Farblosigkeit
das Bild aus der Illusion einer Wahrnehmungsnähe zur Wirklichkeit.
Was blieb zu tun? Hilfe schien von den Retuscheuren zu kommen,
die die Bilder mit dem Ziel kolorierten, den Verlust an Lebensechtheit
wett zu machen. Doch welche Enttäuschung: Die Bilderwelt
wirkte nach der Kosmetik oft nur puppig und gekünstelt. Was
man mit der Fotografie zu vertreiben gehofft hatte, nämlich
die subjektive, verfälschende, von Vorlieben und Abneigungen
gelenkte Hand der Künstlers, griff in den automatischen Realismus
ein und beraubte ihn seiner kühlen Perfektion.
Eine
andere Forderung war zu stellen: Die Farbe mußte ebenso
wie die Formen aus dem Apparat kommen. Und so begann eine Jahrzehnte
dauernde Forschung, die das Problem der Farbe zu lösen hoffte.
Als schließlich die grundsätzlichen chemischen Prozesse
zur Herstellung und Entwicklung des Farbfilms und Papiers beherrscht
wurden, entstand jedoch nicht der endgültige Realismus, sondern
der betörende Augenreiz. Das spektrale Leuchten brachte ein
neues Erleben, Atmosphäre in die Fotografie.
Realismus
ist nicht einfach zu definieren als die richtige Abbildung
im Angesicht von etwas Vorgegebenen. Der Eindruck des richtig entspringt aus dem Wechselspiel zwischen überzeugender Bildrethorik,
ästhetischen Voreingenommenheiten beim Betrachter und technischen
Möglichkeiten zu einem historischen Zeitpunkt. Dieses nur
schwer zu durchschauende Verhältnis hat dazu geführt,
das verschiedene Epochen je eigene Farbigkeiten hervorgebracht
haben. Aus der Retrospektive kommen uns alte Farbfotografien nicht
nur sonderbar entrückt und artifiziell vor, sie atmen auch
den Geist vergangener Empfindungen, eines verlorenen Lebensgefühls.
Mag bei den Ingenieuren des technisch-chemischen Fortschritts
auch die Intention vorliegen, die Distanz zwischen Farbe und sogenannter
natürlicher Wahrnehmung zu verringern: Die fotografische
Farbigkeit wird implizit einer ständigen Neudeutung unterzogen,
die uns ein anderes Bildgefühl vermittelt. In dieser Perspektive
ist Fortschritt nicht die Ansammlung vieler expressiver Möglichkeiten,
die in der Geschichte erarbeitet wurden. Neuerung ist Vernichtung.

Emmanuel
Sougez, 1926-1928
Es
läuft ein Doppelspiel zwischen Echtheitsgewinn und Ausdrucksverlust.
Verloren ist das Reservoir aus überkommener Chemie, die es
ermöglichen würde, das Farbgefühl zum Beispiel
der 40er oder 50er Jahre nachzustellen und aufleben zu lassen.
Fortschritt im Namen der Echtheit ist verantwortlich für
das Artensterben im Bereich der Bilder. So hat beispielweise der
Fotokünstler Thomas Ruff eine Werkgruppe mit großen
Porträts beenden müssen, weil der Lieferant des Fotopapiers
eine bestimmte Qualität nicht mehr zur Verfügung stellte,
die die Farbhomogenität der Serie garantiert hatte.
Bildgenauigkeit
müßte nicht kritisiert werden, würde sie nicht
propagandistisch mit dem Bilderleben gleichgesetzt werden. In
einer Fernsehwerbung eines großen Farbfilmherstellers wird
suggeriert, daß die farbliche Überzeugungskraft der
Fotos den unmittelbaren Rückruf von etwas bereits Erlebtem
hervorrufen kann. Fast findet eine Verwechslung von Bild und Wirklichkeit
statt: Eine junge Frau betrachtet im Fotogeschäft die frisch
entwickelten Urlaubsbilder. In kurzen Flashes scheint brasilianischer
Karneval im Fotogeschäft loszubrechen. Der Spot appelliert
an ein triviales Realismusverständnis: "So war es!" Wer könnte
aber behaupten, eine lebhafte Erinnerung würde ihre Stimulans
in der Farbechtheit finden? Das Bilderleben hat eigene Gesetze;
es gründet auf Intensität, Abweichung von der bloßen
Imitation, Lumineszenz.
Die
werbemäßige Durchsetzung industriell hergestellter
Filme - mit dem Imperativ der Authentizität - bedeutet eine
Normierung des Farberlebens. Wer anderes möchte, muß
mit Melancholie auf den Reichtum der Farbfotografie in der Geschichte
schauen. Das Museum wird zur die Grabkammer des Farbgenusses.
© Gunnar Schmidt
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